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Warten auf Aufträge. Razan und zwei weitere palästinensische Models.

© Lissy Kaufmann

Models in Palästina: Rote Lippen in Ramallah

Im Westjordanland hat die erste Modelagentur eröffnet – ein Stück Alltag in dem besetzten Gebiet. Konservative Kräfte sehen das mit Misstrauen, weil viele Muslime dort es nicht gerne sehen, wenn Frauen ihre Schönheit zeigen.

In Ramallah im Westjordanland, wo die meisten Frauen auf den Straßen Kopftücher tragen, um ihr Haar zu verstecken, und lange Mäntel, um ihre Körperrundungen zu kaschieren, steht Razan im Schönheitssalon „Spaloon“ vor dem Spiegel und trägt roten Lippenstift auf. Sie wirft ihr geglättetes, dunkelrot gefärbtes Haar nach hinten, bevor sie nochmals die Wimpern tuscht.

Dann setzt sich Razan auf das große Sofa am Eingang. Sie trägt Leggings mit Leopardenprint und Ballerinas mit Nieten. „Ich wollte schon immer Model werden. Ich liebe Mode. Und das hier könnte der Beginn meiner Karriere sein“, sagt die 16-Jährige. Sie ist heute aus Beit Hanina zum Fotoshooting der ersten Modelagentur des Westjordanlandes gekommen: „Modelicious Agency“ hat vor drei Monaten in Ramallah eröffnet.

Zwischen Sperranlagen und israelischen Siedlungen sucht Tamer Halabi nach schönen Gesichtern und schlanken Beinen. Nicht nur aufgrund der politischen Lage ist das eine Besonderheit. In muslimischen Ländern ist es nicht gern gesehen, dass Frauen ihre Schönheit zur Schau stellen.

Tamer Halabi, 27 Jahre alt, ein moderner Mann in Jeans und Sonnenbrille, ist der Chef der Modelagentur, er hatte die Idee. Schon während seines Studiums in Jordanien hat er für eine Modelagentur gearbeitet. Nach seiner Rückkehr ins arabische Ostjerusalem wollte er etwas für seine Heimat tun und seine Erfahrung nutzen. „Am Anfang war es nicht ganz einfach. Ich habe mich zunächst mit einer Freundin, Liza, zusammengetan“, erzählt Tamer.

„Wir haben Freunden von unserer Idee erzählt, die es wiederum weitergesagt haben. Einige meinten, dass das überhaupt nicht gehen würde, eine Modelagentur im Westjordanland. Andere haben gesagt, dass sie es gut finden und ausprobieren möchten.“ Eine Modenschau, bei der sie die Agentur und ihre Arbeit vorstellten, war der Durchbruch. „Danach haben sich viele Mädchen bei uns gemeldet.“

Tamer sortiert nicht aus, wen er aufnimmt oder nicht. Für jeden Typ gibt es den passenden Job, sagt er. Eine Ernährungsspezialistin erstellt Essenspläne für die Mädchen, eine Trainerin übt mit ihnen das Posieren, eine andere das Laufen auf dem Catwalk. „Die Laufstegtrainerin kommt alle zwei Monate für ein paar Tage aus Jordanien hierher“, erzählt Tamer. Professionelles Modeln im Westjordanland gab es bisher nicht – und so kommen eben auch die Experten dafür aus dem Ausland.

Die Mädchen, die an diesem Vormittag zum Fotoshooting gekommen sind, tragen ihr zumeist langes Haar offen. Viele haben hohe Schuhe an und enge Hosen, der Lippenstift ist grell, die Nägel künstlich und bunt. Tiefe Ausschnitte sieht man hingegen nicht. „Es gibt natürlich Grenzen“, sagt Christina, die neben Razan auf dem Sofa Platz genommen hat. Im Gegensatz zu Razan ist die 19-Jährige aus Ramallah nicht Muslimin, sondern Christin. Doch das, sagt sie, mache letztlich keinen Unterschied. „Ich würde auf keinen Fall im Bikini modeln“, sagt das junge Mädchen mit den braunen Haaren. Sie studiert an der Bir Zeit Universität Übersetzung. „Vielleicht als Victoria's Secret Model würde ich mich in Unterwäsche zeigen – aber die Chancen dafür sind ja gleich null. Also: niemals.“

Viele wollen aus politischen Gründen nicht, dass Normalität im Alltag einkehrt

Tamer weiß, dass seine Modelagentur nicht mit einer Agentur in Europa oder den USA vergleichbar ist. „Wir wollen die Schönheit hier in Palästina zeigen – aber eben dezent und gemäß den Traditionen hier. Wir gehen nicht so weit, wie manche vielleicht befürchten.“ Und so wird Tamer neben Männern und Kindern auch verschleierte Models in seine Agentur aufnehmen. „Wir nehmen jeden, der zu uns kommt. Unsere verschleierten Models können zum Beispiel als Hostessen bei Veranstaltungen arbeiten.“

Der Einfluss der Eltern in der arabischen Gesellschaft des Westjordanlandes ist groß, ihre Ansichten entscheidend. Auch Razans Vater war besorgt: Wird unsere Tochter zu viel Haut zeigen? Mit wem wird sie zusammenarbeiten? Was genau wird sie überhaupt machen? „Es war ziemlich schwer, ihn am Anfang zu überzeugen“, erzählt Razan. Also brachte sie ihren Vater vor ein paar Wochen in die Modelagentur, damit er sich selbst ein Bild machen und mit Tamer Halabi sprechen konnte. „Danach sagte er, es werde sicher schon nichts Schlimmes passieren.“ Auch Christinas Eltern haben sich nach und nach erst an den Wunsch ihrer Tochter gewöhnt. „Sie waren zunächst geschockt, haben es dann aber verstanden. Sie sagten es ist in Ordnung, solange es mein Studium nicht beeinträchtigt.“

Tamer war von Anfang an klar, dass er mit der Angst der Eltern umgehen muss. „Wir haben deshalb einmal im Monat eine Art Sprechstunde, zu der die Eltern kommen. Sie können sich über uns und unsere Arbeit informieren und sehen, wie die Arbeit der Models aussieht.“ Die Mädchen werden nicht die Cover von „Vogue“ oder „Cosmopolitan“ zieren, sondern hauptsächlich vor Ort arbeiten: auf lokalen Modeschauen, als Hostessen bei Veranstaltungen oder als Fotomodels für lokale Bekleidungsgeschäfte. „Im Mai werden wir dann für ein paar Tage nach Berlin gehen und dort bei einer Modenschau mit fünf unserer Models dabei sein“, erzählt Tamer.

Doch nicht nur die eher konservative arabische Gesellschaft, in der Frauen ihre Schönheit nicht zur Schau stellen sollen, macht die erste Modelagentur im Westjordanland zu einer Besonderheit, sondern auch die politisch angespannte Lage. Viele vor allem konservativ eingestellte Kräfte sind der Meinung, es dürfe auf keinen Fall Normalität und Alltag einkehren. Denn damit würde die Besatzung verharmlost und gezeigt, dass doch alles gar nicht so schlimm sei.

„Wir wissen, dass manche unsere Arbeit nicht gutheißen. Sie sagen, dass wir uns nicht darum kümmern, was um uns herum passiert. Das ist nicht wahr. Aber wir wollen hier ein Leben aufbauen, wir müssen es sogar“, sagt Liza Masri, Tamers 25-jährige Geschäftspartnerin. „Wir sind junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahre alt, wir haben Träume, und wir wollen der Welt zeigen, dass wir kreativ sind – trotz der Besetzung. Sie werden uns niemals davon abhalten, das zu tun, was wir wollen.“

In der Modelagentur. Razan Abu Assab, 16 Jahre alt, schminkt eine Kollegin vor dem Fotoshooting.

© Lissy Kaufmann

Und so möchte auch Christina ihren Traum leben. Sie hat ihre flachen Ballerinas für das Shooting gegen rosafarbene High Heels getauscht. Der Friseur des „Spaloon“ kämmt ihre bereits geglätteten Haare und sprüht noch mal etwas Haarspray auf die Frisur. Dann verschwindet Christina in das Nebenzimmer für die Innenaufnahmen. Nach gut zwanzig Minuten Posieren vor der Kamera ist der erste Teil geschafft. „Wir können uns umziehen und neu schminken“, sagt Christina. Die Kosmetikerin sorgt diesmal für den Abendlook.

Für einen Moment könnte man vergessen, dass man mitten im Westjordanland ist, mitten in einem Konfliktgebiet, wo der Anblick von Soldaten, Grenzzäunen und Checkpoints an der Tagesordnung ist. So alltäglich, ja fast banal sind die Fragen, mit denen sich die Mädchen beschäftigen.

Doch dann ziehen sich Liza Masri und eines der Mädchen die Kufija über. Liza bindet das schwarz-weiß-karierte Palästinensertuch um die Stirn: „Wir wachsen damit auf, Palästina zu lieben. Wir denken an Palästina, wenn wir arbeiten, essen, ja sogar wenn wir schlafen“, sagt sie stolz.

Selbst Modeln ist in einem Konfliktgebiet wie dem Westjordanland nie ganz unpolitisch. Doch es ist eine Chance, ein bisschen Normalität in diese Region zu bringen und jungen Frauen die Chance zu geben, sich für ein paar Stunden um das zu kümmern, was Millionen andere Mädchen auch beschäftigt: das Outfit, das Make-up, die Frisur und die neuesten Schuhtrends.

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