zum Hauptinhalt
Frauen im Bikini sehen die frommen Sittenwächter nicht gerne.

© dpa

Türkei: Muslimische Sittenwächter am Strand

Die türkische Badesaison schreckt konservative Muslime auf, die Bikinis und Musik verbieten möchten. Aber sie haben wenig Chancen. Die Ausländer sind in der Überzahl und kümmern sich wenig darum.

Grauer Bart, Turban, ein Gewand nach der Art islamischer Gelehrter: Zum Erstaunen von Strandbesuchern in Sakarya südlich der türkischen Metropole Istanbul tauchte neulich ein älterer Herr am Wasser auf, der den Sonnenhungrigen etwas zu sagen hatte. Frauen sollten sich doch bitte verhüllen, riet er den Damen im Bikini. Zur Lektüre ließ er den Wochenendausflüglern noch eine Broschüre mit Tipps zum islamisch korrekten Verhalten von Frauen da. Musik hören zum Beispiel sei auf keinen Fall drin.

Der namentlich nicht bekannte fromme Strandwächter sei Mitglied einer religiösen Stiftung aus dem frommen Istanbuler Stadtteil Fatih, berichteten die Zeitungen. Ob seine einsame Mission von Sakarya Erfolg hatte, ist nicht überliefert; die Stiftung und auch das staatliche türkische Religionsamt distanzierten sich.

Fest steht, dass die sommerliche Badesaison in der säkularen, aber überwiegend muslimischen Türkei die Gegensätze zwischen Frommen und Freizügigen einmal mehr deutlich hervortreten lässt. Die einen wollen den Anblick halb nackter Menschen nicht hinnehmen, vor allem jetzt im Fastenmonat Ramadan nicht. Die anderen wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie bei 30 Grad am Wasser an- oder auszuziehen haben.

Wenn es nach dem Strandwächter von Sakarya ginge, gäbe es das Problem überhaupt nicht. Laut seiner Broschüre sollten Frauen nicht einmal Hochzeitsfeiern besuchen dürfen, bei denen Musik gespielt wird. Ohnehin dürften Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemannes das Haus verlassen. Doch längst nicht alle Türken hören auf Leute wie den Sittenwächter vom Strand. Promis aus Showbusiness und Wirtschaft zum Beispiel tummeln sich derzeit an der Ägäis und lassen sich von den Paparazzi fotografieren, mal mit mehr, mal mit weniger Textilien am Leib. Die Zeitungen füllen ganze Beilagen mit den Farbfotos von Bikini-Mädchen am Strand.

Strenge Muslime sehen eine sexuelle Komponente

Für manchen Muslim ist das ein Graus, denn das Fastengebot im Ramadan bedeutet auch sexuelle Enthaltsamkeit bis zum Sonnenuntergang. Und das hat den Mufti der Provinz Zonguldak am Schwarzen Meer, Nuh Korkmaz, zum Nachdenken gebracht. Ihm geht es nicht um den Strandbesuch an sich. Tagsüber im Meer baden dürfe auch der Gläubige im Ramadan, unter der Voraussetzung, dass er kein Wasser schlucke und damit das Fastengebot breche, urteilte Korkmaz.

Sorge bereitet Korkmaz vielmehr die mögliche sexuelle Komponente des Sommers am Strand. Männer sollten die Körperregion zwischen Bauch und Knie bedeckt halten, erklärte er – enge Badehosen stuft er als nicht gottgefällig ein. Auch Frauen sollten sich züchtig bedecken. Bei frommen Türkinnen sind seit einigen Jahren bunte Ganzkörperbadeanzüge mit eingenähtem Kopftuch in Mode.

Laut Korkmaz müssen Fastende im Ramadan am Strand noch auf mehr achten als nur auf die korrekte Bekleidung: Frauen und Männer dürften tagsüber keinesfalls am selben Ort ins Wasser steigen, denn das sei unmoralisch, erklärte der Mufti. Ohne örtliche Trennung der Geschlechter zähle der Badespaß bei Sonnenschein als Verstoß gegen das Fastengebot. Einige Türken bleiben da lieber ganz zu Hause: An den Sonnenstränden des Landes seien die ausländischen Urlauber im Ramadan klar in der Überzahl, meldete die Zeitung „Milliyet“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false