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Feuer

© AFP

Waldbrände: Griechische Feuer

Über 50 Menschen starben - und noch immer sind Dörfer von Großbränden eingeschlossen. Der Peloponnes und der Notstand.

Das Unheimlichste ist die Stille. Kein Vogel singt, keine Grille zirpt, kein Blatt raschelt im Wind. Totenstille – das Wort bekommt hier oben, in den Bergen über Zacharo auf dem Peloponnes, seine eigentliche, furchtbare Bedeutung. Tod und Zerstörung so weit der Blick reicht. Ganze Dörfer haben die Feuerstürme, die seit dem vergangenen Freitag auf dem Peloponnes wüten, in Schutt und Asche gelegt. Die größte Brandkatastrophe, von der Griechenland seit Menschengedenken heimgesucht wurde, hat der Natur die Farben genommen: abgebrannte Olivenhaine, abgeflämmte Weiden, alles Grau in Grau, und dahinter die schwarzen Gerippe der Wälder des Minthi-Gebirgszuges. Rauchschwaden hängen an diesem Sonntagmorgen wie Frühnebel über der Mondlandschaft. Selbst die Sonne hat ihre Farbe verloren: Als graue Scheibe schimmert sie kraftlos durch die Aschenwolke, die über dem ganzen Peloponnes liegt. Auf Satellitenbildern sieht man, wie riesige Rauchfahnen ins All ziehen.

Mindestens 53 Menschen sind in den letzten Tagen gestorben, „aber wir haben allen Grund anzunehmen, dass es mehr werden“, sagt Panos Efstathiou vom griechischen Gesundheitsministerium. Denn noch sind die Bergungsmannschaften gar nicht in alle Regionen vorgestoßen. Über ein Dutzend große Brände waren gestern Nachmittag immer noch nicht unter Kontrolle. Nach und nach traf zwar die versprochene Hilfe aus dem Ausland ein, Löschflugzeuge und Hubschrauber aus vielen Staaten, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Norwegen und Island – aber dann erreichten die Flammen auch die antiken Stätten von Olympia.

Am Hera-Tempel wird das Olympische Feuer entzündet, das nächste Mal am 25. März 2008 für die Sommerspiele in Peking –, nun kämpfen nur hunderte Meter entfernt Feuerwehrleute verzweifelt mit Flammen von ganz anderer Art. „Das Feuer brennt nun auf dem Berg Kronos, 100 Meter von der antiken Stätte entfernt“, meldet der Bürgermeister am Nachmittag. „Und der Wind ist so stark, dass ich nicht weiß, ob das automatische Sprinklersystem die Flammen aufhalten kann.“ Und auch für die Dörfer rundum scheint die Hilfe zu spät zu kommen. „Wir werden lebendig verbrennen“, ruft eine Frau aus Lambeti im Radio. Sie schildert, wie die Menschen mit Gartenschläuchen versuchen, ihre Häuser zu retten.

Auch andernorts müssen an diesem Tag weitere Dörfer evakuiert werden, insgesamt mehr als 40. Hunderte Zelte wurden bereitgestellt, um die Opfer vorübergehend unterzubringen. Allein im Westen der Peloponnes sind mindestens 3000 Menschen obdachlos geworden.

Für viele war die letzte Nacht bereits die zweite in Todesangst. „Wo bleiben die Feuerwehren? Warum hilft uns niemand?“. Hunderte verzweifelter Hilferufe gingen bei Radio- und Fernsehstationen ein. Viele Einwohner flohen hinunter ans Meer. Etwa 3000 Menschen fanden zum Beispiel Zuflucht am Strand von Zacharo. Aber nicht alle haben es geschafft.

Von Zacharo führt eine schmale, gewundene Straße durch die Hügel hinauf zum zwölf Kilometer entfernten Artemida. In einer Linkskurve bietet sich ein Bild des Grauens: Das verbrannte Wrack eines Löschfahrzeugs der Feuerwehr liegt umgestürzt im Graben, und auf der Straße stehen die ausgeglühten Reste von fünf Personenwagen. Als die Flammen am Freitagabend immer näher an Artemida herankamen und die erhoffte Hilfe ausblieb, hatten mehrere Familien wohl beschlossen, den Ausbruch zu wagen. Sie wollten durch den brennenden Wald hinunter nach Zacharo, ans rettende Meer. 23 Personen bestiegen fünf Autos. Die Sicht muss gleich Null gewesen sein. Nach wenigen Kilometern stieß der Konvoi dann mit dem entgegenkommenden Feuerwehrwagen zusammen. Für neun Menschen wurde die Stelle zur Todesfalle. Einige verbrannten in ihren Autos, andere versuchten noch zu Fuß zu fliehen, wurden aber von den Flammen überwältigt.

Wo immer die Bergungsmannschaften jetzt in die vom Feuer verwüsteten Gebiete vordringen, stoßen sie auf schreckliche Szenen. In der Nähe von Makistos, ein paar Kilometer oberhalb von Artemida, fanden sie die verkohlten Leichen einer Mutter und ihrer vier Kinder. Die Mutter hielt die drei Kleinsten umschlungen, die Leiche des Ältesten, eines 15-Jährigen, fand man wenige Schritte entfernt. Die Frau hatte versucht, im Auto zu fliehen. Per Handy rief sie noch ihren Mann an: „Wir verbrennen!“ Dann brach das Gespräch ab.

Jene, die aus den verbrannten Dörfern fliehen konnten, stehen in den meisten Fällen vor dem Nichts. Am Strand von Zacharo sitzt mit anderen Obdachlosen der 57-jährige Dimitris Papadopoulos. Immer noch ziehen schwarze Rauchwolken aus den Bergen aufs Meer. „Wir haben alles verloren: Haus, Hof, Herden und Olivenbäume“, sagt der Mann. „Unsere Existenz ist zerstört – was soll nun werden?“

Die Regierung verspricht schnelle Hilfe. Der konservative Ministerpräsident Kostas Karamanlis ist in der Katastrophenregion schon umhergereist, er spricht von einer „nationalen Tragödie“, hat landesweit den Notstand ausgerufen und eine dreitägige Staatstrauer. Er sagt aber auch: „So viele Brände zur gleichen Zeit an so vielen Stellen in Griechenland, das kann kein Zufall sein.“

Eine wochenlange Hitzewelle mit Temperaturen um die 40 Grad hatte das Land austrocknen lassen. Seit Mai bis zu den aktuellen Bränden gerechnet, hatten die Flammen bereits rund 65 000 Hektar vernichtet. Aber in den vergangenen drei Tagen sind weitere 70 000 Hektar verbrannt. Was bleibt, ist die Suche nach den Tätern. Bis zu eine Million Euro gibt es als Belohnung für Hinweise auf Brandstifter. Sieben wurden bereits festgenommen.

Die Ursachen für die Brände sind vielfältig. Natürlich gehört auch Fahrlässigkeit dazu. Das Feuer auf der Insel Euböa zum Beispiel brach während Schweißarbeiten in einem Haus in Styra aus. Man erzählt sich nun aber auch von den im Wortsinn brandgefährlichen Zuständen auf Griechenlands offenen Müllhalden, von denen es mindestens 400 gibt. Bei Temperaturen über 40 Grad wird aus alten Gasflaschen, Glasscherben und faulen Essensresten ein explosives Gemisch. Schon öfter ist die griechische Regierung von den EU-Behörden aufgefordert, diesem Zustand abzuhelfen. Doch statt moderne Müllerverarbeitungsanlagen zu bauen, zahlt die griechische Regierung Jahr für Jahr lieber Strafen in Millionenhöhe.

Aber ganz oben auf der Liste der Verursacher von Waldbränden stehen Bodenspekulanten. Die Methode ist in Griechenland seit Jahrzehnten bekannt: Wenn der Wald brennt, lässt er freies Land zurück. Monate nach den Feuern errichten Bodenspekulanten bei Nacht und Nebel die Fundamente von Häusern. Kurze Zeit später legalisieren die Bürgermeister die Neubauten, meistens mit der Begründung, „diese Leute sind arm, man muss ihnen helfen“. Als Gegenleistung werden bei Kommunalwahlen die Stimmen der Familienmitglieder erwartet. Das staatliche griechische Fernsehen hat gerade das Amateurvideo eines am Samstag ausgebrochenen Waldbrandes nahe Athen gezeigt. Darin waren zwei Gestalten auf einem Hügel zu erkennen, nur Minuten nach Ausbruch des Feuers. Und in Athen hat die Feuerwehr am Samstag drei Gasflaschen entdeckt, die an ein Mobiltelefon gekoppelt waren. In die Ermittlungen haben sich jetzt jedenfalls auch der griechische Geheimdienst und die Anti-Terror-Einheit der Polizei eingeschaltet.

Ein Politikum ist das flammende Inferno so oder so, denn in drei Wochen wird in Griechenland gewählt. Als Premier Karamanlis vor zehn Tagen die vorgezogenen Wahlen ansetzte, war er sich eines neuerlichen Sieges ziemlich sicher. Jetzt muss er fürchten, dass ihn diese Katastrophe um die Wiederwahl bringt. Denn betroffene Anwohner und Lokalpolitiker kritisieren ihn scharf: Warum sind bei den Feuerwehren von 12 500 Planstellen nur 8000 besetzt? Stimmen Vorwürfe, dass Parteigänger der Regierung bei der Feuerwehr bevorzugt befördert werden? Und warum wurde die Armee nicht früher zur Rettung eingeschlossener Dorfbewohner eingesetzt? Das sind nur einige Fragen, auf die Karamanlis nun antworten muss.

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