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Derrick Kimera ist Geschäftsführer der queeren Menschenrechtsorganisation „Let‘s walk Uganda“. 

© privat

Aktivist Derrick Kimera: „Uganda ist sehr gefährlich für queere Menschen“

Seitdem das neue Anti-Homosexuellen-Gesetz in Uganda in Kraft ist, wird die Situation für queere Menschen immer schlimmer. Derrick Kimera, Geschäftsführer der Organisation „Let‘s walk Uganda“, fordert Hilfe aus Deutschland.

Drakonische Strafen bis hin zu lebenslänglicher Haft und der Todesstrafe: Seit Mai ist in Uganda eines der schärfsten Anti-Homosexuellen-Gesetze weltweit in Kraft. Wir sprachen mit Derrick Kimera. Der 23-Jährige ist Geschäftsführer der queeren Menschenrechtsorganisation „Let‘s walk Uganda“, die sich 2015 gegründet hat. Er ist gerade für einige Zeit in Berlin, um über die Situation queerer Menschen in seiner Heimat zu sprechen.

Wie nehmen Sie das queere Leben hier in Berlin wahr?
Es ist wunderbar zu sehen, wie frei und unbeschwert queere Menschen hier sein können. In Uganda haben wir im vergangenen Jahr einen Pride organisiert. Allerdings nur im Geheimen, damit Regierung und Behörden uns nicht verfolgen. Wir konnten nicht wie in Berlin auf der Straße für unsere Rechte demonstrieren und uns zeigen.

In Uganda ist es erlaubt, gegen queere Menschen offen zu demonstrieren. Aber wenn eine LGBTIQ-Person auf die Straße geht, um zu protestieren oder ihre Rechte einzufordern, ist das kriminalisiert. Selbst, wenn die Polizei dich lässt, kannst du das nicht machen – wegen des Hasses, der vielen Menschen von den religiösen Führern, von Katholiken und Muslimen, eingepflanzt wurde.

Religion ist ein Hauptgrund für den Hass auf queere Menschen?
Ja. Die religiösen Führer glauben, dass Homosexualität eine Sünde ist, zutiefst unafrikanisch – und eine psychische Erkrankung, die man mit Konversionstherapien heilen kann. Ich bin überzeugt, dass sie viel Geld aus anderen Ländern bekommen, um Hass in ihren Kirchen und Moscheen zu predigen. Sie nutzen die Bibel und den Koran als Verteidigung und legitimieren ihren Hass damit. Dabei gibt es in Uganda viele queere Menschen unter Muslimen und Katholiken.

Auch ein Bericht des „Institute for Journalism and Social Change“ zeigt, wie aus dem Westen Gelder fließen, um religiöse Organisationen in Uganda zu finanzieren. Dieses Geld wird dann zur Finanzierung von Homophobie und Anti-LGBTIQ-Gesetzen missbraucht.

Wie ist die Situation jetzt, nachdem das Gesetz verabschiedet wurde?
Homophobie hat es in Uganda schon immer gegeben. 2013 wurde ein ähnliches Gesetz verabschiedet, das dann aber vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurde. Das zeigt, dass die Gesellschaft immer wieder versucht hat, queere Menschen loszuwerden.

Durch das Anti-Homosexuellen-Gesetz wird die Homophobie verstärkt und legitimiert.

Derrick Kimera, Geschäftsführer der Organisation „Let‘s walk Uganda“

Durch das Anti-Homosexuellen-Gesetz wird die Homophobie verstärkt und legitimiert. Die Situation für LGBTIQ ist viel schlimmer geworden. Sie sind überhaupt nicht geschützt, können sich nicht an Behörden wenden, haben keine Rechte mehr, werden denunziert, diskriminiert. Viele wurden aus ihren Häusern vertrieben. Denn laut Gesetz dürfen Wohnungen nicht mehr an homosexuelle Menschen vermietet werden. Wer es doch tut, dem droht eine Gefängnisstrafe von sieben Jahren. Viele Vermieter haben Angst und setzen Menschen vor die Türe.

Zudem steigt die Obdachlosigkeit unter jungen queeren Menschen, weil viele Eltern ihre Kinder verstoßen, wenn sie von ihrer Homosexualität erfahren. Manche laufen auch von zuhause weg, weil sie befürchten, dass ihre Eltern ihnen schlimme Dinge antun.

Wie war das bei Ihnen?
Let’s Walk Uganda ist im Internet sehr sichtbar, vor allem seit Einführung des Gesetzes. So erfuhr auch meine Familie, dass ich schwul bin. Mein Cousin hat in Sozialen Medien geschrieben: Ich bin enttäuscht von dir. Du hast unsere Familie beschmutzt. Mein Vater hat mich verleugnet. Er hat mir gesagt, ich solle niemals zurückkommen und mir verboten, mit meinen Schwestern zu sprechen oder in ihre Nähe zu kommen. Ich habe Familie verloren und Freunde. Das war eine harte Zeit für mich. Ich wurde regelrecht verfolgt, musste nach Kenia gehen und dort einige Zeit leben. Auch heute kann ich nicht ständig in Uganda leben, das wäre zu gefährlich.

Trotzdem machen Sie und Ihre Organisation Let’s Walk Uganda weiter.
Wir werden nicht aufhören. Die Leute brauchen unsere Hilfe. Aber das ist nicht einfach. Queere Aktivisten werden bedroht. Und LGBTIQ-Organisationen sind nun offiziell per Gesetz verboten. Die meisten haben ihre Arbeit eingestellt – wer für die Rechte queerer Menschen kämpft, muss mit bis zu 20 Jahren Haft rechnen.

Let’s Walk Uganda kann fast nur noch virtuell arbeiten. Obwohl wir Büros haben, können wir es nicht riskieren, dass unsere Mitarbeiter ins Büro gehen. Die Gefahr von Polizeirazzien ist zu groß. Früher haben wir 22 Notunterkünfte für queere Menschen betrieben. Das geht jetzt nicht mehr. Und Menschen, die früher zu uns gekommen sind, um sich beraten oder zum Beispiel wegen sexuell übertragbarer Krankheiten behandeln zu lassen, können nicht mehr kommen. Was das für die Zukunft bedeutet, kann sich jeder ausmalen.

Wie steht es generell um die medizinische Versorgung?
Besonders schwierig ist die Situation für HIV-positive Menschen. Sie haben durch das Gesetz keinen Zugang mehr zu Medikamenten und lebenswichtigen Gesundheitsleistungen. Denn das Gesetz verbietet es, queeren Menschen zu helfen. Wer es tut, muss mit drastischen Repressionen und mit mehr als zehn Jahren Haft rechnen. Ärzte und Gesundheitspersonal haben deshalb Angst.

Besonders schlimm ist es für trans Personen, die als solche erkennbar sind. Ein Beispiel: Vor etwa drei Wochen ging eine trans Frau, der es gesundheitlich sehr schlecht ging, mit starken Schmerzen in ein Krankenhaus. Als der Arzt merkte, dass die Person trans ist, verspottete er sie und lehnte eine Behandlung ab. Erst mithilfe der amerikanischen Botschaft und einer LGBTIQ-Organisation konnten wir ihr helfen. Sonst wäre sie gestorben.

Aufgrund solcher Vorfälle haben sich viele LGBTIQ in ihren Häusern eingeschlossen und müssen dort mit Lebensmitteln versorgt werden. Sie haben Angst, verfolgt zu werden.

Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten für queere Menschen, sich zu treffen?
Bevor das Gesetz in Kraft trat, hatten wir noch ein paar queere Bars, sehr privat, sehr geheim. Aber dann wurden auch sie geschlossen. Die bekannteste war die Ram Bar, in der sich jeden Sonntag LGBTIQ-Menschen trafen. Aber 2019 gab es eine Razzia durch die Polizei und andere Sicherheitskräfte, bei der Hunderte von queeren Menschen verhaftet wurden. Wir können uns also nicht mehr treffen. Auch nicht in Hotels: Es ist verboten, dass zwei gleichgeschlechtliche Menschen in einem Zimmer schlafen. Wenn ein Hotelangestellter dabei erwischt wird, wie er das erlaubt, wird er wegen Förderung von Homosexualität angeklagt.

Denken da nicht viele an Flucht?
Viele würden gerne das Land verlassen und nach Europa oder Amerika gehen. Sie haben jedoch kein Geld oder die strengen Visabestimmungen hindern sie daran. Einige gehen daher in Nachbarländer, wie Ruanda oder Kenia, das als einziges ostafrikanisches Land LGBTIQ-Flüchtlinge und Asylsuchende aufnimmt. Aber auch Kenia ist homophob und das Parlament diskutiert derzeit über ein ähnliches Gesetz wie das in Uganda.

Viele afrikanische Staats- und Regierungschefs übernehmen das queerfeindliche Verhalten des Präsidenten von Uganda. Nachdem bei uns das Gesetz ins Parlament eingebracht wurde, forderten kenianische Politiker dasselbe für ihr Land. Auch dort steigt der Hass gegen queere Menschen, es gibt vermehrt Razzien.

Wie sehen Sie die Zukunft von queeren Menschen in Uganda?
Ich sehe kaum eine Zukunft für die queere Community in Uganda. Selbst wenn das Gesetz morgen abgeschafft würde, wäre der Hass, den viele im Herzen tragen, noch da. Die Homophobie nimmt aufgrund der gesetzlichen Verschärfungen zu. Uganda ist sehr gefährlich für queere Menschen. In der Community herrscht große Depression.

Das große Problem ist, dass Organisationen wie der unseren die Hände gebunden sind und sie gezwungen sind, gegen das Gesetz zu arbeiten. Wir können nicht viel tun, wir können kaum informieren. Früher waren wir in verschiedenen Dörfern unterwegs, haben aufgeklärt. Nun bleibt uns nur noch das Internet. Doch viele queere Menschen in Uganda haben keinen Zugang zum Netz, zu Zeitungen, zum Fernsehen – und wissen somit wenig über das neue Gesetz. Sie werden einfach unvorbereitet festgenommen, bestraft und inhaftiert, ohne zu wissen, wieso.

Deutschland darf nicht zuschauen und darauf warten, wie queere Menschen Opfer der Todesstrafe werden.

Derrick Kimera, Geschäftsführer der Organisation „Let‘s walk Uganda“

Was können die Menschen hier in Deutschland tun, um zu helfen?
Wir brauchen Plattformen, wo queere Aktivisten darüber sprechen können, was im Land vor sich geht, damit die Welt weiß, was passiert. Natürlich helfen auch Spenden, wie etwa beim Bündnis Queere Nothilfe Uganda. Und es braucht Druck und internationale Sanktionen, damit wir unsere Menschenrechte zurückbekommen. Hier ist die Politik gefragt.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Zusammen mit anderen Organisationen fordern wir von der Bundesregierung mindestens 200 humanitäre Visa für queere Menschen aus Uganda. Nicht nur für sichtbare Aktivisten wie mich, sondern für Menschen, die keine laute Stimme haben, zum Beispiel für trans Frauen, die im ländlichen Uganda leben. Sie sind großen Risiken ausgesetzt, wie etwa Zwangskastration – solche Fälle gibt es immer wieder.

Ich habe Deutschland immer als sehr queerfreundliches Land wahrgenommen. Doch bislang hat die Bundesregierung kaum gehandelt. Warum gibt es keine humanitären Visa? Ich glaube, dass es in Deutschland viele gibt, die Menschen aus Uganda aufnehmen würden. Ich fordere die Regierung auf, nicht auf mehr zu warten, sondern zu handeln und sich auch in der EU für mehr Hilfe starkzumachen. Deutschland darf nicht zuschauen und darauf warten, wie queere Menschen Opfer der Todesstrafe werden.

Ein deutscher Freund von mir hat mir erzählt, dass die neue Koalitionsvereinbarung der Regierung die Möglichkeit von humanitären Visa vorsieht. Ich und so viele Menschen zu Hause hoffen, dass die humanitären Visa gewährt werden, denn ihr Leben hängt davon ab.

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