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Die Deutsche Bahn schreibt sich auf der Website Diversity auf die Fahne.

© IMAGO/Action Pictures

Nach Beschwerde durch die Deutsche Bahn: Prozess um geschlechtsneutrale Anrede geht weiter

Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte, dass die Bahn Personen nicht zwingen darf, bei der Anrede zwischen Mann und Frau zu wählen. Nun erhebt die Bahn Beschwerde.

Es war ein Urteil mit Signalwirkung: Im April entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, dass die Deutsche Bahn Menschen bei der Nutzung von Angeboten nicht mehr dazu zwingen darf, bei der Anrede zwischen Mann oder Frau auszuwählen. Berücksichtigt die Bahn die Anrede nicht-binärer Menschen nicht, verstößt es damit gegen das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung, so das Oberlandesgericht.

Nun aber hat die Bahn eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof erhoben. Das bedeutet, dass sie dagegen klagt, nicht in Revision gehen, also das Urteil erneut überprüfen lassen zu dürfen. Das Oberlandesgericht hatte eine Revision zuvor für unzulässig erklärt.

„Wenn sie das gewinnen, können sie gegebenenfalls den Bundesgerichtshof dazu bewegen, eine inhaltliche Berufung durchzuführen, also das Ganze nochmal inhaltlich aufzurollen und neu zu bewerten“, sagt René_ Rain Hornstein von der TIN-Rechtshilfe am Telefon. Die Organisation unterstützt trans*, inter* und nicht-binäre Menschen in rechtlichen Verfahren.

Bereits 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es neben den Optionen Mann und Frau auch eine sogenannte „Dritte Option“ geben müsse. Seitdem wurden immer wieder Urteile gefällt, die sich daran orientierten. Bei anderen Firmen ist es längst üblich, eine geschlechtsneutrale Anrede anzubieten, so etwa beim Fernbusunternehmen Flixbus, bei dem man als weitere Option „Person“ auswählen kann.

Kein wertschätzender Umgang

Und tatsächlich schreibt auch die Deutsche Bahn sich „Diversity“ groß auf die Fahne. So heißt es auf der Website: „Wir als Deutsche Bahn stehen für die Vielfalt der Geschlechter“. Auf Anfrage des Tagesspiegels sagt eine Bahnsprecherin: „Vielfalt und Toleranz sind Teil der Unternehmensidentität der Deutschen Bahn. Daher wollen wir bei unserer Kommunikation über die verschiedenen Kanäle auch alle Menschen ansprechen - unabhängig von ihrer geschlechtlichen Identität.“

An vielen Stellen nutze die Bahn heute schon genderneutrale Formulierungen, zum Beispiel bei der Ansprache neuer Mitarbeitenden im Rahmen der Personalgewinnung oder im Social Intranet DB Planet. „An anderen Stellen werden wir das in den nächsten Wochen schaffen und dann schon viele Millionen Kund:innen genderneutral ansprechen. Es gibt aber auch Bereiche wie beispielsweise bei der Online-Buchung auf bahn.de, bei denen die technischen Herausforderungen sehr hoch sind. Hier benötigen wir noch etwas mehr Zeit und bitten unsere Kund:innen noch um etwas Geduld.“

Es gibt Bereiche wie beispielsweise bei der Online-Buchung, bei denen die technischen Herausforderungen sehr hoch sind.

Bahnsprecherin

Hornstein nahm den Umgang der Bahn alles andere als wertschätzend wahr. „Ich entschied mich 2019 dazu, mit der Bahn wegen der Anrede zu korrespondieren. Erst haben wir Briefe ausgetauscht, aber da kamen sehr pampige Rückmeldungen.“ Auf inhaltliche Aspekte sei zum Teil gar nicht eingegangen worden. „Ich habe geschrieben, dass ich mich durch die falsche Anrede diskriminiert fühle, aber die Bahn hat das von sich gewiesen mit der Begründung, dass sie eine LSBTI-freundliche Arbeitgeberin sei. Die Tatsache, dass ich misgendert wurde, hat sie einfach ignoriert.“

Daraufhin entschied Hornstein sich, zu klagen und erhob Anspruch auf Entschädigung und Unterlassung. In erster Instanz ging der Prozess vor das Landesgericht Frankfurt am Main. Die Argumentation in den Schriftsätzen und Anhörungen sei damals sehr transfeindlich gewesen, sagt Hornstein. „Die Bahn hat mich darin als Mann bezeichnet. Außerdem wurde immer wieder impliziert, dass es sich bei dem Fall nur um eine Bagatelle handelt.“

Das Landgericht bestätigte Ende August den Unterlassungsanspruch. Die zwingende Auswahl einer Anrede als Frau oder Herr im Zusammenhang mit der BahnCard oder beim Onlinekartenkauf stelle eine Benachteiligung im Sinn des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dar, so das Urteil. Das Landgericht habe sich damals auch beim örtlichen Verkehrsanbieter-Verbund informiert, sagt Hornstein, und festgestellt, dass eine neutrale Anrede dort bereits möglich sei. „Nach dem Motto: So schwer kann das ja nicht sein.“

Hornstein wollte ein Grundsatzurteil

Einen Anspruch auf Entschädigung gestanden die Richter*innen Hornstein allerdings nicht zu. Die Bahn ging gegen das Urteil ohne Erfolg in Berufung, was das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen einer Fristverletzung verwarf.

Notfalls will Hornstein auch vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen.

© IMAGO/Arnulf Hettrich

Damit wurde das Urteil des Landesgerichts rechtskräftig, das zugunsten von Hornstein ausgefallen war. „Eine Richterin des Oberlandesgerichtes erzählte sogar, dass sie kurz zuvor ihre BahnCard erhalten hatte und dort mit Guten Tag XY angeredet wurde, ohne das explizit zu wünschen. So schwer scheint es also nicht zu sein, geschlechtsneutrale Anreden zu benutzen.“

Eigentlich bezog sich das Urteil nur auf Hornstein, aber um es umzusetzen, müsse die Bahn ihr gesamtes System umstellen, so das Gericht. „Das Angebot der Bahn, eine eigene Hotline für mich einzurichten, um Tickets nicht mehr über das binäre Onlinesystem zu buchen, und eine BahnCard100 bis zur Systemumstellung zu erhalten habe ich abgelehnt. Ich wollte ein Grundsatzurteil“, sagt Hornstein.

Die Bahn rechtfertigte die binäre Anrede vor Gericht zumeist damit, dass eine Umstellung des IT-Systems Verwaltungskosten in Höhe von drei Millionen Euro verursachen würde und anderthalb bis zwei Jahre Zeit in Anspruch nehmen würde. Das Gericht gab der Bahn ein halbes Jahr Zeit, um das System umzustellen.

„Die relativ junge gesellschaftliche Diskussion um genderneutrale Sprache birgt einige juristische Grundsatzfragen, die bisher noch nicht durch den BGH geklärt wurden“, so eine Bahnsprecherin gegenüber dem Tagesspiegel. „Wir haben uns an den BGH gewandt, um hier Rechtssicherheit und so auch Handlungssicherheit für die Zukunft zu erlangen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der geltend gemachten Schadensersatzansprüche. Wenn der Beschwerde stattgegeben wird, wird der BGH über die Rechtssache entscheiden.“

Hornstein selbst erhielt viele Hassnachrichten, als das Urteil des Oberlandesgerichts bekannt wurde, vor allem aus rechten Kreisen. „Das war eine große emotionale Belastung. Auch Teile der AfD haben dazu Sachen gepostet.“ Damit, dass die Bahn einen Antrag auf Nichtzulassung stellen würde, hatte Hornstein erst nicht gerechnet. Dennoch habe das Urteil des Oberlandesgerichts auf rechtlicher und diskursiver Ebene eine „immense Ausstrahlungskraft und Resonanz“.

„Aber sollte es tatsächlich nochmal inhaltlich aufgerollt werden und es kommt zu einem transfeindlichen Urteil, ziehe ich notfalls vor das Bundesverfassungsgericht.“

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