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Sitz des letzten Dogen von Venedig. Die Villa Manin bei Udine ist eins der bedeutendsten Bauwerke im Friaul.

© mauritius images

Italien: Kosmos der Melancholie

Geniale Verbindung: Die Werke Giambattista Tiepolos in der Villa Manin.

Was empfindet der Reisende, der aus dem winterlichen Norden in den zwar weniger winterlichen, aber ebenso kalten Norden Italiens kommt? Der Unterschied, der früher einmal gewaltig gewesen sein muss, als es nördlich der Alpen selbstverständlich Schnee und Eis gab, ist heute zur bloßen Ortsveränderung geschrumpft. Man fühlt sich also im Veneto, der beinahe durchweg flachen Landschaft „hinter“ der Lagunenstadt Venedig, in diesem Februar ganz wie zu Hause. Die gleiche Temperatur, der gleiche graue Himmel, und aus den brachliegenden Feldern steigt Melancholie.

In gewisser Weise melancholisch ist jedenfalls die Villa Manin wenige Kilometer vor der Stadt Udine, der Landsitz des letzten Dogen Venedigs, Ludovico Manin. Er trat sein Amt 1789 an, im Jahr der Französischen Revolution. Acht Jahre später stand Napoleon vor Venedig und drohte, die Stadt zu zerstören, sollte sie sich nicht ergeben. Ludovico Manin legte sein Amt nieder. Der große kleine Korse bezog die Villa – Landsitz der Familie Manin seit damals bereits 100 Jahren – und handelte dort den Frieden von Campo Formio aus, den Beginn der Neuordnung der europäischen Landkarte.

Das kleine Appartement Napoleons ist zu besichtigen, eine Kammer ist gemeinerweise mit zwölf Stichen geschmückt, die Napoleons Niederlage auf Raten beim Feldzug gegen Russland zeigen – das letzte Blatt den flüchtenden Kaiser im eiskalten November 1812. Aber das ist derzeit nicht die Hauptattraktion der Villa. Seit Jahrzehnten immer wieder für Ausstellungszwecke genutzt, ist bis in den April hinein eine umfangreiche Ausstellung zum Werk des Malers Giambattista Tiepolo (1696–1770) zu sehen, der zwar ausgerechnet nicht diese Villa, wohl aber Landsitze anderer wohlhabender Gutsbesitzer auf der Terraferma, dem Hinterland der Serenissima, mit Fresken versehen hat.

Vor allem aber hat Tiepolo Paläste und Kirchen ausgemalt, hat biblische und mythologische Szenen dargestellt, ohne im Schwung seines Pinsels, in der Grazie seiner Linienführung, in der Helligkeit seines Kolorits Unterschiede zu machen. Tiepolos Kosmos ist duftig und heiter, ein ewiges Schweben, ist Anmut und Bewegung. So wollte sich Venedig im 18. Jahrhundert dargestellt sehen.

Dieses Jahrhundert, im Italienischen das Settecento, ist zugleich die Blütezeit der venezianischen Vedutenmalerei. Antonio Canal, genannt Canaletto, kam ein Jahr nach Tiepolo zur Welt, 16 Jahre später Francesco Guardi, dessen Schwester Cecilia Tiepolo 1719 heimlich heiratet. Tiepolo, der seit dem 15. Lebensjahr in die Malereilehre gegangen war, kam im Alter von 30 Jahren erstmals nach Udine, wo mit dem Oratorio della Purità, einem kleinen Kastenbau, eines der schönsten Werke von Giambattista und seinem alsbald mitarbeitenden Sohn Giandomenico zu besichtigen ist. Fotografieren ist hier wie auch in allen anderen Bauwerken mit Tiepolo-Fresken strikt verboten; die freundliche Aufseherin des Oratorio verweist auf ihre Postkarten – mit zwei Euro das Stück nicht gerade ein Angebot im Internetzeitalter.

Das gebannte Schauen in den Himmel ist eine alte Übung

„Zefiro e Flora“, ein Tiepolo von vielen, die in der Villa Manin zu sehen sind.
„Zefiro e Flora“, ein Tiepolo von vielen, die in der Villa Manin zu sehen sind.

© Katalog

Ähnlich im Diözesanpalast, den der in Udine residierende (Titular-)Patriarch von Aquileia, Dionisio Dolfin, aufs Schönste von Tiepolo ausmalen ließ. Udine, heute Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Region Friaul-Julisch Venetien, hat überhaupt die Gelegenheit ergriffen, zeitgleich zur Villa Manin in der eigenen Burg mitten in der Stadt gleichfalls Tiepolo zu zeigen, allerdings im künstlerischen Zwiegespräch mit dem ein Jahrhundert früheren Paolo Veronese, gleichfalls einem Meister des Kolorits, das die venezianische Malerei seit ihren Anfängen kennzeichnet. Kein Nebenaspekt, wie Caterina Furlan, Kuratorin der Ausstellung, betont: „Den bisherigen Ausstellungen fehlte das Nachdenken über das Vorbild Veroneses, das so entscheidend war für Tiepolos Überwindung der ,altertümlichen Malweise‘.“

Es sind nicht allzu viele Besucher, die sich trotz Shuttlebus aus Udine derzeit in die Villa Manin verirren. Der Nachteil ist ein Vorteil für Kunstinteressierte, denn insbesondere die aquarellierten Zeichnungen, die in den Räumen im Obergeschoss der Villa rings um den zweistöckigen Hauptsaal ausgebreitet sind, lassen sich so in all ihrer Delikatesse studieren.

Tiepolo war ein geschwinder Maler, und der Schwung seiner hingetuschten Blätter findet sich unverändert in seinen großen Ölgemälden wieder, die aus Museen in aller Welt nach Passariano di Codroipo verfrachtet wurden, dem Ort gewissermaßen neben der Villa. „Er malt ein Bild in derselben Zeit, die andere brauchen, um auch nur die Farben anzumischen“, staunte Carl Gustav Tessin, der Tiepolo 1736 für den schwedischen Hof zu gewinnen suchte. Dass eine solche Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Ausführung insbesondere den Fresken, also den auf frischen feuchten Putz aufzutragenden Wand- und Deckenbildern, zugute kommen musste, versteht sich von selbst. Und auch einem Riesenformat wie dem Altarbild aus dem Dom von Este, schon fast ein Alterswerk aus dem Jahr 1759, das mit seinen knapp sieben mal vier Metern an der Stirnseite des Salone prangt.

Der berühmte Park hinter der Villa Manin mit ihren 17 Fensterachsen ist im Januar ohne großen Reiz, ihm ist im Laufe der Zeit ohnehin mancher Anziehungspunkt abhanden gekommen wie etwa der mittlerweile verlandete Teich, in dem sich aus der Ferne die Villa gespiegelt haben mag. Über die weiten Wiesen und Felder der Umgebung donnern gerade drei Düsenjäger der dicht am Ort stationierten italienischen Luftwaffe. Ugo, der uns ins 25 Kilometer entfernte Udine chauffiert, stoppt am Flugplatz, um mit dem Stolz des Ortsansässigen auf die eindrucksvollen Kunststücke der Flieger zu weisen. Enge Kurven, rasche Höhenwechsel, ganze Drehungen – die drei am Himmel haben’s drauf. In der Villa Manin werden Postkarten verkauft, die den weitläufigen Komplex samt Formationsfliegern zeigen, die die italienische Trikolore in den Himmel malen.

Immerhin, das gebannte Schauen in den Himmel ist, siehe Tiepolo, eine alte Übung. Der Maler beherrschte wie keiner nach ihm das Spiel der Perspektiven, konnte Körperteile in jedweder Drehung und Verkürzung malen, so virtuos, als hätte er die Ausführung seiner bozzetti, seiner rasch gefertigten Skizzen und Entwürfe, im gehörigen Abstand dirigiert. Tatsächlich stand er zeitlebens auf Gerüsten, in Udine, in den Villen, dann in Würzburg, wohin er sich 1750 vom Erzbischof anwerben ließ, und schließlich am spanischen Königshof. Im Veneto jedoch ist sein Erbe zu Hause.

Die Ausstellung Tiepolo ist noch bis zum 7. April in der Villa Manin zu besichtigen. Tickets (zehn Euro) können im Internet mit Zeitfenster im Voraus gebucht werden. villamanin-eventi.it

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