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Für die ihre Doku reiste Lupita Nyong‘o nach Benin, um die Geschichte und Kultur der einst gefürchteten Kriegerinnen zu erforschen. 

© SandStone Global Productions LTD. MMXIX / The HISTORY Channel

Vom Spielfilm zur Dokumentation: „Ich möchte nie die Vergangenheit verfälschen“

Interview mit Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o zu ihrer Doku über die westafrikanischen Kriegerinnen Agooji

Sind Sie nach „12 Years a Slave“ und den beiden „Black Panther“-Filmen jetzt auch im Doku-Bereich dank „Lupita Nyong‘o auf den Spuren von Afrikas Kriegerinnen“ Spezialistin für historische Themen?
Nein, davon bin ich weit entfernt! (lacht) Während der Schulzeit in Nairobi und später am Hampshire College in Amherst, Massachusetts, wo ich meinen Abschluss in Film- und Theaterwissenschaften machte, tat ich mich immer schwer, mir Geschichtsdaten zu merken. Das Thema der „Warrior Women“ hat mich aber, als ich für die Doku angefragt wurde, sofort in seinen Bann gezogen. Ich bin sehr interessiert an afrikanischer Geschichte, die von Afrikanern selbst erzählt wird, weil ich unglücklicherweise noch in der Schule Geschichte aus kolonialistischer Sicht gelehrt bekommen habe.

Die „Warrior Women“ des damaligen Königreich Dahomey waren mutig, aber auch grausam. So schnitten die Agooji beispielsweise besiegten Gegnern die Köpfe ab. Waren Sie geschockt, als Ihnen dies die Historiker, die Sie in Benin besuchten, erzählten?
Natürlich! Die Agooji waren auch am Sklavenhandel beteiligt. Das hat die Dynamik und Polarisierung von Benin bis heute verändert. Einerseits sind sie ein Symbol für die Kraft des Weiblichen, aber sie sind auch der Schmerz des Landes, denn sie haben den Schmerz mit verursacht. Menschen sagen schnell im Rückblick auf Geschichte: „Das war nicht human!“ Dabei wollen wir nicht zugeben, dass die Menschheit gut und schlecht, schön und hässlich zugleich ist. Wenn ich auf unsere Geschichte zurückblicke, sehe ich oft ein blutrotes Tuch. Aber ist es heute wirklich anders? Wir haben weltweit immer noch Kriege und Grausamkeiten, nicht nur durch den russischen Einfall in der Ukraine.

Was kann Ihr eigener Beitrag bei so einer Geschichtsdokumentation sein?
Mit der Doku möchte ich versuchen, falsch geschriebene Geschichte zu korrigieren! Hoffentlich weckt der Dokumentarfilm beim Publikum mehr Neugier, die zu mehr Erkenntnissen führt. Ich möchte dabei nie die Vergangenheit verfälschen! Auch in Afrika gab und gibt es noch grausame Rituale und Verbrechen gegen die Menschheit, für die weiße Kolonialisten und Rassisten verantwortlich waren und sind, aber eben auch die Ureinwohner selbst.

Hat sich Ihr Geschichtsbewusstsein durch die Produktion gewandelt?
In gewisser Weise ja. Ich habe das Gefühl, dass es Zeit für uns ist, unsere Geschichten zu teilen. Zu lange konsumierte ich nur die Geschichten anderer Menschen. Bei der Auseinandersetzung mit den Agooji versuchte ich als Spurenleserin, kreativ mit meinem eigenen Geschichtsbewusstsein umzugehen. Doch ich kann immer noch viel dazulernen.

Auch wenn es ein ernsthaftes Thema ist, hat die Doku einen lustigen Moment, wenn ein alter Dorfbewohner sagt: „Frauen müssen einen großen Po haben!“ Sie lächeln ihn zwar an, innerlich haben Sie ihm aber nicht zugestimmt, richtig?
Stimmt, denn ich dachte mir: Wie kann ich das testen? Mein Po ist ja nicht gerade so groß! Aber von vielen afrikanischen Männern weiß ich, dass sie geradezu beseelt von kurvigen Frauen sind. Da entspreche ich natürlich nicht deren Idealvorstellung von Weiblichkeit!

 Ich habe das Gefühl, dass es Zeit für uns ist, unsere Geschichten zu teilen.

Lupita Nyong’o

Was hat Sie am meisten bei der Doku bewegt?
Meine Reiseführerin Martine De Souza, die mich in Benin überall herumführte, stellte mir auch ihre Mutter vor, die mir erzählte, dass ihre Großmutter im Königreich Dahomey von den Kriegerinnen entführt und versklavt wurde. Ich fragte sie: „Wie kannst du von Geschichte erzählen und selbst in deiner Familie solch tragische Erlebnisse haben? Und die Frauen, die ihr das für das Geschäftsgebaren ihres Herrschers antaten, werden von dir noch gelobt?“. Und da sagte sie etwas zu mir, dass mich heute noch zu Tränen rührt: „Ich habe halt ein Babyherz.“ Das werde ich nie vergessen. Sie hat eine Macht des Vergebens, zu der ich selbst nicht fähig wäre.

In der Endsequenz sitzen Sie nachdenklich am Strand.
Es war Sonnenuntergang. Ich wusste sofort: Dieser Moment wird nie wiederkehren! Ich lebe seit langer Zeit in den USA, aber in diesem Moment konnte ich die Energie dieses Platzes spüren, an dem soviel Sklaven nach Portugal verschifft wurden. Wie in „12 Years a Slave“ fühlte ich mich am Strand sitzend wie eine dieser Sklavinnen. Und dieses Gefühl an einem an sich so schönen Platz ist wirklich verheerend.

„12 Years a Slave“ avancierte mit dem Oscar als „Beste Nebendarstellerin“ und vielen anderen Auszeichnungen zu einem großen persönlichen Erfolg für Sie. Konnten Sie das im Vorfeld nur ansatzweise erahnen?
Oh, mein Gott: nein! Es war mein erster Kino-Spielfilm. Zuvor hatte ich nur Kurzfilme wie „Roho“, „East River“ oder „Star Tours“ und die Fernsehserie „Shuga“ als Darstellerin gedreht. Außerdem noch die Dokumentation „In My Genes“ über das Leben der kenianischen Albinos, für die ich das Drehbuch schrieb und auch als Regisseurin und Produzentin verantwortlich war. „12 Years a Slave“ veränderte mein Leben von einem Tag auf den anderen. Wir würden jetzt ohne diesen Film nicht miteinander sprechen. Er gab mir eine Stimme mit der Verkörperung einer Frau, die ihre Stimme nicht erheben durfte.

Und was bedeutet Ihnen die Science-Fiction-Comic-Adaption „Black Panther“, in der Sie als Menschenrechtlerin Nakia von kriegerischen Afrikanerinnen flankiert werden?
Sehr viel, denn „Black Panther“ hat das lächerliche Klischee, dass sich schwarze Filme nicht verkaufen, zerschmettert! Das belegt auch der zweite Teil „Wakanda Forever“.

Das „Forbes Magazin“ zählte Sie vor zwei Jahren zu den „50 mächtigsten Frauen von Afrika“. Zurecht?
Ich war überrascht und natürlich geschmeichelt, aber ich konnte das am Ende des Tages gar nicht richtig einordnen. Ich sehe mich selbst nämlich gar nicht als mächtige Person. Aber gut, wenn es die anderen so sehen. (lacht)

Das Interview führte Marc Hairapetian.

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