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Männer sind deutlich seltener magersüchtig als Frauen. Auslöser für die Erkrankung sind meist größere Umbrüche im Leben der Betroffenen.

© Getty Images/Peter Dazeley

Isoliert und beschämt: Warum es magersüchtigen Männern so schwerfällt, ihre Krankheit zu akzeptieren

Ein junger Mann erkrankt an Magersucht. Dahinter steckt mehr als nur der Wunsch, dünn zu sein. Zwei Experten erklären die Auslöser und die besonderen Herausforderungen durch die Diagnose.

Von Stefanie Unbehauen, epd

In den vergangenen Jahren hatten sich bei Sven Steinbach (Name geändert) viele Sorgen angehäuft. Erst trennten sich seine Eltern, dann kamen Probleme in der Schule hinzu. Schließlich erkrankte noch seine Großmutter schwer, die eine enge Bezugsperson für ihn war. Freunde, die ihn hätten stützen können, hatte der heute 20-Jährige zu dieser Zeit keine.

Männer, die an Magersucht leiden, schämen sich oft dafür, weil die Krankheit nach wie vor als Mädchenkrankheit gilt.

Majdy Abu Bakr, Psychiater

Um sich abzulenken, fing er eine Diät an, beschäftigte sich mit Ernährung und legte zusätzliche Sporteinheiten ein. Mit der Zeit wurde sein Verhalten immer exzessiver, seine Diät immer strikter. Für den Schüler begann so eine Abwärtsspirale, die schließlich in der Klinik endete. Seine Diagnose: Anorexia nervosa, Magersucht.

Männer suchen sich häufig spät oder gar keine Hilfe

Majdy Abu Bakr, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Spremberg in Brandenburg, sagt: „Männer, die an Magersucht leiden, schämen sich oft dafür, weil die Krankheit nach wie vor als Mädchenkrankheit gilt.“ Dies führe dazu, dass sich betroffene Männer zu spät oder gar keine Hilfe suchten. „Kommentare und Hänseleien können dazu führen, dass sich der Betroffene noch mehr isoliert und dadurch weiter in die Sucht abrutscht“, warnt der Psychiater.

Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge erkranken von 1000 Männern etwa zwei im Laufe ihres Lebens an einer Magersucht. Bei Frauen sind es siebenmal so viele.

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von 1000 Männern erkranken laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Laufe ihres Lebens an einer Magersucht.

Die Erkrankung sei bei männlichen und weiblichen Betroffenen jedoch sehr ähnlich, sagt Abu Bakr. Auch die Behandlung sei gleich. „Der wichtigste Teil ist die psychotherapeutische Komponente. Viele Magersüchtige können über lange Zeit nicht akzeptieren, dass sie krank sind.“ Meist gehe es nicht um das Essen an sich oder den Wunsch, dünn zu sein, sondern um darunterliegende Probleme. „Die Erkrankung tritt meistens in einer Zeit des Umbruchs auf“, sagt Psychiater Abu Bakr. „Das kann eine Trennung sein, meistens jedoch die Pubertät, die gravierende hormonelle und soziale Veränderungen mit sich bringt.“

Viele Erkrankte erhalten Hilfe in spezialisierten Kliniken

Ziel der Behandlung sei die Rückkehr zu einem gesunden Essverhalten. „Wir versuchen, gemeinsam mit den Patienten andere, gesündere Kompensierungsstrategien zu finden und auf bestehende Konflikte oder familiäre Kommunikationsprobleme einzugehen“, sagt der Facharzt. Ein stationärer Aufenthalt in einer auf Essstörungen spezialisierten Klinik könne Betroffenen dabei am besten helfen.

Auch Sven Steinbach hat sich für eine stationäre Behandlung entschieden. Von September 2022 bis April 2023 war er in der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee in Bayern. „Ich wollte so weit weg wie möglich von zu Hause und meinen Problemen“, sagt der gebürtige Essener.

In Prien behandelt Ulrich Voderholzer, Ärztlicher Direktor der Klinik, seit 14 Jahren Menschen mit Essstörungen. Der Fall von Sven Steinbach sei mustergültig, sagt Psychiater Voderholzer. „Meistens ist eine starke Belastung oder eine Lebenserfahrung, die mit Verunsicherung verbunden ist, der Auslöser der Erkrankung.“ Dazu könnten auch Mobbing oder Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie zählen. Die Mechanismen hinter der Krankheit seien sehr komplex. Dabei gehe es um mehr als nur den Wunsch, dünn zu sein.

Über seine Entscheidung für einen Klinikaufenthalt ist Sven Steinbach auch im Nachhinein froh. „Auf meine Zeit in der Klinik blicke ich mit einem guten Gefühl zurück“, sagt er. Nach seiner Entlassung benötigte er jedoch erst einmal Zeit, um in den Alltag zurückzufinden. „Ich merkte, dass die Gedanken über Essen und Bewegung in manchen Momenten stärker waren als in der Klinik. Bis jetzt habe ich es aber gut geschafft, diesen Gedanken nicht nachzugeben“, sagt Steinbach. Er will die Zeit nach der Klinik-Behandlung für einen Neuanfang nutzen. Im nächsten Jahr möchte er eine Ausbildung beginnen und dann auf eigenen Beinen stehen.

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