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Eine türkische Frau schreibt  im Schulungsraum der interkulturellen Frauenbegegnungsstätte „verikom“ in Hamburg-Wilhelmsburg das Wort „Integration“ an die Tafel.

© dpa/Patrick Lux

Gute Erfahrungen mit Geflüchteten: Betriebe würden gerne mehr einstellen

Unklare Bleibeperspektive und Sprachprobleme sind die größten Hürden aus Sicht der Unternehmen. Umfrage von IHK und VBKI.

| Update:

Auf die Bitte der Berliner Sozialorganisation Unionhilfswerk hat Moll Marzipan in Neukölln einen Iraner als Azubi eingestellt und damit vor der Abschiebung bewahrt. Seit sieben Jahren hält sich der junge Mann in Deutschland auf, hat sich mit Schwarzarbeit in Kneipen durchgeschlagen - und kaum Deutsch gelernt. „Unfassbar“, sagt Moll-Geschäftsführer Achim Seitz, „wir bekommen es als Land nicht hin, den Leuten die Sprache beizubringen“. Bei Moll hat man dem neuen Azubi auch mit Hilfe des Hilfswerks die sprachlichen Grundlagen für die Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik vermittelt. „Das ist ein guter Typ“, sagt Seitz, der auch in der Berufsschule bestehen werde trotz Defizite im naturwissenschaftlichen Bereich.

Im Laufe der Jahre hat der Marzipanhersteller sechs Geflüchtete eingestellt, von denen drei noch immer zur 100-köpfigen Belegschaft gehören. Die anderen sind weitergezogen und arbeiten jetzt unter anderem als Lkw-Fahrer. Ein Ukrainer verdient sich derzeit „übergangsweise“ Geld bei Moll, wie Seitz dem Tagesspiegel sagte.

Umfrage bei 200 Betrieben

Die unzulänglichen Sprachkenntnisse sind nach dem unsicheren Aufenthaltsstatus das größte Hindernis bei der Integration Geflüchteter und neuzugewanderter Menschen in den Berliner Arbeitsmarkt. Wie eine gemeinsame Umfragen von IHK und VBKI ergab, würde eine klare Bleibeperspektive von fast 65 Prozent der Befragten eine Einstellung erleichtern. Von mehr Rechtssicherheit in der Ausbildung (durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Beginn der Ausbildung) oder der Aufhebung von Arbeitsverboten für bereits in Deutschland lebenden Menschen versprechen sich mehr als die Hälfte der knapp 200 Firmen eine bessere Arbeitsmarktintegration. 63 Prozent wünschen sich darüber eine Ausweitung des Angebots von beruflichen Sprachkursen.

Sebastian Stietzel, Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer, wünscht sich weniger Bürokratie.

© oromo/privat

„Auch in den 1960er Jahren bei der Anwerbung von Gastarbeitern aus Südeuropa war die Sprache das größte Problem bei der Integration“, sagt der Personalchef von Gegenbauer, Claus Kohls. Viele der rund 7000 Gegenbauer-Beschäftigten in Berlin haben Migrationshintergrund. Mit einer eigens entwickelten Sprach-App inklusive virtuellem Klassenzimmer und Telefontraining versucht Gegenbauer den Beschäftigten die deutsche Sprache näherzubringen. Gute Erfahrungen hat das Unternehmen nach eigenen Angaben mit dem niedrigschwelligen Ausbildungsgang „Fachpraktiker im Gebäudeservice“, der vor ein paar Jahre etabliert wurde und der in der Berufsschule nicht so anspruchsvoll ist wie „normale“ Ausbildungsberufe.

Der Umfrage von IHK/VBKI zufolge bewerten knapp die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen die Erfahrungen mit Geflüchteten und Migranten als sehr gut. Etwa 61 Prozent würden gerne mehr Bewerbungen von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte erhalten. Zwei Drittel der Unternehmen begleiten die Integration der Beschäftigten mit unterstützenden Maßnahmen wie etwa Sprachkursen auf Firmenkosten (27 Prozent).

28.800
Menschen aus Asylherkunftsländern arbeiten in Berlin

Nach Hochrechnungen Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern in Berlin im September bei 28.600. Das ist nur ein Bruchteil der insgesamt 1,671 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Berlinerinnen und Berliner. Trotzdem: „Die Zahl ist seit der starken Migrationsbewegung 2015/2016 kontinuierlich gestiegen und lag mit rund 27.000 im Juni 2022 neunmal so hoch wie mit rund 3000 im Juni 2015“, teilt die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Integration dazu mit.

Knapp 2000 Azubis

Ähnlich ist die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt - ebenfalls von einem niedrigen Niveau ausgehend: Die Zahl der Auszubildenden stieg von 80 im Juni 2015 auf 1870 im Juni 2021. Für das aktuelle Jahr (bis zum 30. September) weist die Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 2000 Ausbildungsbewerber mit einer Staatsangehörigkeit aus den Asylherkunftsländern aus. Die „zugangsstärksten Herkunftsländer von Asylbewerbern“ sind Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.

Markus Voigt, Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller VBKI, fordert mehr Unterstützung der Behörden vor allem für kleinere Firmen.

© Tsp/Mike Wolff

In diesem Jahr haben viele Menschen aus der Ukraine Zuflucht in Berlin gefunden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit ukrainischer Staatsangehörigkeit lag im Februar bei 5880 und stiegt nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) bis August 2022 auf 9600 an. Im November waren 20.700 erwerbsfähige Ukrainerinnen und Ukrainer bei der BA registriert. Dazu gehören Arbeitslose,  aber auch Ukrainer, die nicht arbeitslos sind, „weil sie Integrationskurse oder die Schule besuchen, Kinder betreuen oder langfristig arbeitsunfähig erkrankt sind“, erläutert die Senatsverwaltung. Oft fehlt die Bleibeperspektive

„Die Berliner Wirtschaft hat durch Initiativen wie die Jobmessen für Geflüchtete gezeigt, wie groß die Offenheit in den Unternehmen für Menschen jeder Herkunft ist“, kommentierte IHK-Präsident Sebastian Stietzel die Ergebnisse der aktuellen Umfrage. VBKI-Präsident Markus Voigt appellierte an die Politik: „Fehlende Bleibeperspektiven, bürokratischer Aufwand und fehlende Unterstützung durch Behörden bilden gerade für kleine und mittlere Unternehmen ein enormes Hindernis bei der Einstellung von Geflüchteten.“  

Viele Unternehmen würden zwar gerne Menschen mit Fluchthintergrund einstellen, haben aber bislang keine entsprechende Bewerbungen erhalten, das trifft zu für 49 Prozent der Firmen. Knapp ein Drittel der Unternehmen macht sich Sorgen wegen des voraussichtlichen Mehraufwands (Bürokratie, Betreuung). Fehlende Qualifikationen von Bewerberinnen und Bewerbern spielen dagegen eine untergeordnete Rolle (14,3 Prozent). Die Daten beruhen auf einer Online-Erhebung, die der VBKI mit seinem Projekt „Einstieg zum Aufstieg“ und die IHK durchgeführt haben.

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