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Illustration. Schwarzer Umriss von männlichem Gesicht, schaut auf Smartphone.

© Getty Images/Moor Studio

Social-Werbung für Millionen: So viel Geld geben die Parteien auf Facebook & Co im Wahlkampf aus

Zielgerichtete Botschaften, datengetriebene Strategien und KI-Fake-Bilder: Wie Parteien 2025 Wahlkampf in Sozialen Medien machen, wer am meisten ausgibt, wen sie erreichen.

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Es ist eine simple und zugleich brachiale Botschaft, die Christian Lindner in die Kamera spricht, ernst, aber mit zuversichtlichem Grinsen: „Alles lässt sich ändern.“ Wenn genug Menschen seiner FDP – und ihm – ihre Stimme bei der Bundestagswahl geben.  

„Es braucht immer jemanden, der neu denkt“, sagt er in diesem kurzen Video, das seine Partei seit Anfang Februar als bezahlte Werbung auf Facebook und Instagram platziert hat. Seither wird sie Nutzer:innen ausgespielt, in zahlreichen leicht unterschiedlichen Versionen, je nach Zielgruppe, ein sogenanntes „Dynamic Advertisement“.

Seitdem Parteien Plattformen wie Facebook oder Youtube als Weg erkannt haben, Nutzer:innen durch sogenanntes Microtargeting ganz gezielt anzusprechen, verstärkt sich die Intensität, mit der online geworben wird. Doch ist das Vorgehen der Parteien dabei transparent? Und auf welche Bevölkerungsgruppen zielen sie besonders?

Dank des europäischen Digital Services Act (DSA), der seit Anfang 2024 in Kraft ist, müssen die Unternehmen Meta und Alphabet (Google) mittlerweile veröffentlichen, welche Werbung von wem geschaltet wird. Das Projekt „Who Targets Me“ – Wer zielt auf mich ab – untersucht, wie viel Werbung welche Partei auf Google, Facebook oder Instagram kauft, was das alles kostet und wen diese Botschaften erreichen. „Who Targets Me“ hat seine ausführlichen Datensätze mit dem Tagesspiegel geteilt. Gemeinsam haben wir sie genauer ausgewertet.

Während nur die wenigsten Parteien auf Tagesspiegel-Anfrage ihr Budget für Online-Kampagnen nennen, lässt sich durch diese Analysen erkennen: noch mehr Geld als die FDP gaben vom 1. Januar bis zum 14. Februar 2025 die Grünen für Werbung auf Facebook, Instagram und Google aus.

Politikberater Martin Fuchs sagt: „Gerade wird ein immenser Aufwand betrieben, wir sehen den plakatreichsten und auch online-stärksten Wahlkampf, seit es Bundestagswahlen gibt.“ Dazu komme die Jahreszeit: „Winterwahlkampf ist analog total schwierig, vermutlich werden die Parteien am Ende rund 50 Prozent ihrer Budgets für digitale Strategien ausgegeben haben.“ 

Wie viel Mühe die Parteien auf die Inhalte ihrer Werbe-Postings verwendet haben, unterscheidet sich offensichtlich: Die Grünen setzen viel auf Bewegtbilder und auf das mutmaßliche Charisma ihres Spitzenkandidaten Robert Habeck. In Kurzvideos erklärt er eindringlich, wie die Grünen das Leben wieder bezahlbar machen, das Klima retten, die Wirtschaft ankurbeln wollen. Ob im Norwegerpulli im Wattenmeer oder im Jackett vor Greenscreen: Er wirkt dabei oft so angespannt wie die finanzielle Situation vieler Menschen im Land.

Die CDU-Werbung besteht überwiegend aus einer Art vertontem Plakat. Auch die FDP wirbt eher statisch und seit den sinkenden Umfragewerten zunehmend verzweifelt: Bitte lasst uns die 5 Prozent schaffen!

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Das BSW wirkt bitter und ironisch, nutzt Hashtags wie #VorsichtSatire. Volt spricht explizit die Jungen an, die SPD sehr häufig gezielt Wählerinnen – und Alice Weidel in einem Aufwasch gleich ganze Bundesländer („Liebe Sachsen!“). Andere Sprachen als Deutsch nutzt kaum wer. Allein zur Linken finden sich schnell Anzeigen auf Russisch, Arabisch, Türkisch, Kurdisch, Vietnamesisch und anderen Sprachen, obwohl auch einige der anderen Parteien laut „Who Targets Me“ dafür Geld ausgegeben haben.

Für Meta, dem Konzern hinter Facebook, Instagram und WhatsApp, ist das Werbegeschäft längst die Hauptumsatzquelle. Zwischen 2010 und 2024 stiegen die Werbeumsätze des Konzerns um 22 Prozent auf zuletzt rund 160,6 Milliarden US-Dollar. Vom 1. Januar bis zum 14. Februar 2025 gaben deutsche Parteien insgesamt 4.587.357 Euro für Werbung auf Meta-Plattformen aus.

Für die Parteien ist diese Art der Werbung günstig, pro ausgegebenem Euro ist die Reichweite enorm. Besagtes Video von Christian Lindner beispielsweise existiert laut „Who Targets Me“ in 19 unterschiedlichen Versionen. Es auf den Meta-Plattformen unterzubringen, hat die Partei aber lediglich 5000 bis 6000 Euro gekostet. Dafür wurde es mehr als eine Million Mal angesehen, am häufigsten in Nordrhein-Westfalen, wo Christian Lindners Wahlkreis liegt, zumeist von Männern zwischen 25 und 34 Jahren. 

Einigkeit bei der Themenwahl – aber Werbung gegeneinander

Thematisch fokussieren die Parteien sich auf Inflation, Wirtschaft, Sicherheit und Migration. Besonders beliebt sind kurze Werbevideos, in denen die Spitzenkandidaten in Häppchen auflisten, was die Probleme sind und wie ihre Partei sie angehen wird.

Robert Habeck zählt vier Punkte an den Fingern seiner Hand ab, Sahra Wagenknecht sinniert über neun Punkte mit einem Bücherregal im Rücken. Die SPD setzt auf Testimonials, besonders zu Themen, die Frauen ansprechen, etwa die Abschaffung des Paragrafen 218. Manche Statements sind aber auch leerer: „Ich wähle Olaf Scholz, weil er nicht Friedrich Merz ist.“

Bei Auswertung der Daten von „Who Targets Me“ zu Zielgruppen und Reichweite der Werbungen auf den Meta-Plattformen fällt auf, dass sie besonders häufig von Männern mittleren Alters rezipiert werden.

Wissenschaftler an der Universität München haben dieses Phänomen im Rahmen der Bundestagswahl 2021 untersucht und festgestellt, dass die Algorithmen der sozialen Medien erstens Wahlwerbung bestimmter Parteien „bevorzugen“ und sie zweitens Männern häufiger ausspielen als Frauen – eine Ausnahme war damals die Werbung der Grünen. Sie fanden auch heraus, dass mehr als 70 Prozent aller geschalteten Anzeigen gezieltes Targeting verwendeten.

Nach Analysen von „Who Targets Me“ zielen viele Parteien jetzt mit ihrem Werbe-Budget wesentlich stärker auf Frauen – sogar die AfD. Während keine der Parteien ihre Social-Media-Anzeigen explizit an eine bestimmte Altersgruppe richtet, gibt es bezüglich des Bildungsstands große Unterschiede: Die FDP adressiert besonders Hochschulabsolventen, Investoren und Startup-Szene, die Grünen explizit Doktoranden, die Linke Angestellte im sozialen Bereich, Menschen, die sich für soziale Bewegungen interessieren – und die krisengeschüttelten VW-Mitarbeitenden.

Beim Versuch, die Zielgruppe noch besser zu erwischen, wird das Targeting der Parteien immer spezifischer – und teilweise kurios. Die AfD gibt rund zehn Prozent ihres Social-Werbebudgets aus, um an Landwirtschaft Interessierte zu erreichen und knapp neun Prozent für Geschäftsführer:innen. Auch Menschen, die sich bei Facebook oder Instagram für Autos oder die Automobilindustrie interessieren, sprechen sie gezielt an.

Rund 40.000 Euro hat die CDU laut der Analyse vom 9. bis zum 15. Februar 2025 dafür ausgegeben, dass ihre Werbung Menschen mit Vorliebe für Museen ausgespielt wird. Im selben Zeitraum gehen 0,5 Prozent des SPD-Budgets an Anzeigen für Fußballfans und Volt adressiert gezielt Kopenhagen-Liebhaber:innen. Sowohl SPD als auch Grüne adressieren in den vergangenen Wochen am häufigsten „Eltern“.

58 Prozent der Deutschen nutzen Social Media

„Wir beobachten derzeit definitiv einen datengetriebenen Wahlkampf“, sagt Katja Muñoz, die sich bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) damit beschäftigt, wie Parteien soziale Medien nutzen – und welche Rolle Künstliche Intelligenz (KI) dabei spielt. Sie sagt: „Das Problem ist nicht, dass solche Systeme genutzt werden, sondern dass es keine Sicherheitsstandards oder auch Transparenz zu Ihrer Nutzung gibt.“ 

Wir beobachten derzeit definitiv einen datengetriebenen Wahlkampf.

Katja Muñoz, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und Linke haben sich zu einem „Fairness-Abkommen“ verpflichtet. Demnach soll der Wahlkampf sachlich, respektvoll und ohne Desinformation geführt werden: Wird KI bei der Erstellung von Werbung genutzt, dann mit Kennzeichnung, Deepfakes sind verboten. Microtargeting auf Basis sensibler Daten soll nicht durchgeführt und stattdessen allein soziodemografische Merkmale genutzt werden, um Wählergruppen zu identifizieren.

Doch längst sind KI-Systeme in der Lage, relevante Infos wie Religionszugehörigkeit, Familienstand und sexuelle Orientierung aus geposteten Inhalten und Fotos vorherzusagen. Sie müssen dann andere persönliche Daten gar nicht verwenden, um gezielt bestimmte Menschen mit Werbung zu bespielen.

Rund 58 Prozent der Deutschen nutzen laut Statistischem Bundesamt derzeit Soziale Medien. Der aktuellen ARD/ZDF Medienstudie zufolge ist Instagram mit Abstand die beliebteste Plattform, gefolgt von Facebook, TikTok und Snapchat.  

„Ich halte Microtargeting für sehr gefährlich“, sagt Katja Muñoz. Sie plädiert für mehr Restriktionen bei Datenerfassung und -verarbeitung für die Plattformen. Andererseits: Bei TikTok kann politische Werbung über offizielle Accounts von Regierungen und Parteien nicht mehr geschaltet werden. Dennoch funktioniert TikTok als Katalysator für politische Ideen, insbesondere die der Rechten. 

Eine andere beliebte Nutzung von KI in diesem Wahlkampf ist, direkt Inhalte damit zu generieren. Die AfD macht das besonders gern – und weiß, wo und wie sie Angst verbreiten und Emotionen auslösen kann: Sie zeigt brennende Windräder und glückliche blonde Familien. Und die Plattform-Algorithmen lieben alles, worauf vermehrt reagiert wird. 

Dass die KI-generierten Bilder künstlich wirken – geschenkt. „Es geht nicht um die Täuschung“, sagt Katja Muñoz, „es geht um den Effekt.“ Sie bezeichnet die Taktik als „kognitive Kriegsführung“, die bestimmte Themen und Argumentationsmuster im Unterbewusstsein verankert.  

„Who Targets Me“ hat auch dazu Wahlwerbung untersucht. Stand 19. Februar 2025 fanden sich unter 12.070 Beiträgen 73 mit KI-generierten Inhalten, die meisten von der AfD, gefolgt von CDU/CSU und der Partei des Fortschritts, von der FDP und Bayernpartei. In 86 Prozent der Fälle wurden die Beiträge nicht entsprechend gekennzeichnet.

Fortschreitende Spaltung der Gesellschaft

Am häufigsten wird KI bei den Themen Innenpolitik und Migration eingesetzt. Die AfD postet Bilder überfüllter Flüchtlingsboote, einer Frau im Hijab und einer verängstigten, flüchtenden Lehrerin. Die Junge Union der Stadt Oldenburg entscheidet sich für eine Art Brandmauer-Apokalypse.

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Doch auch die CDU nutzt KI-generierte Fotos, unter anderem ausgerechnet in einem Beitrag auf Facebook und Instagram zum internationalen Holocaust-Gedenktag. Gepostet wird ein KI-generiertes Foto. Es zeigt nur leider nicht Auschwitz, sondern ein Gefängnis, das es nirgends auf der Welt gibt. Es wurde mit KI generiert.

Zusammen tragen Microtargeting und KI-generierte Inhalte zur Spaltung der Gesellschaft bei, warnt die Forschung. Auf die Frage, wie sie sicherstellen, dass ihre Werbung diese Spaltung nicht verstärkt, antworten nur wenige der von uns angeschriebenen Parteien.

„Wir versuchen, positiv zu formulieren und nicht den politischen Mitbewerber negativ zu überziehen“, schreiben die Piraten. Sie haben für bezahlte Wahlwerbung online laut „Who Targets Me“ 2025 bislang null Euro ausgegeben. Die Tierschutzpartei erklärt: „Wir bemühen uns, auf möglichst viel Kritik einzugehen und unsere Position durch Fakten zu erläutern.“ Volt „setzt auf Austausch online und offline“. SPD und Linke verweisen auf das Fairness-Abkommen, Union und Grüne beantworten die Frage nicht.

Dass es mit der Fairness im Wahlkampf trotz aller Verpflichtungen nicht weit her ist, zeigt das Projekt „Sparta“ an der Universität der Bundeswehr München. 

Das Team um Professorin Jasmin Riedl analysiert neben anderen Aspekten des Wahlkampfs auf den Plattformen TikTok, X und Youtube, wer wen kritisiert. Dabei stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass besonders die FDP gern austeilt, die SPD jedoch von allen Parteien die meisten ihrer Posts für Kritik nutzt. 

Medien und Gesellschaft haben Diskursräume bereitwillig abgegeben, Social-Media-Plattformen sind die neue Eckkneipe.

Jasmin Riedl, Professorin an der Universität der Bundeswehr München

Das Projekt zeigt auch, dass die AfD auf Youtube uneinholbar vorne liegt, bei TikTok ist sie dicht gefolgt von der Linken. „Medien und Gesellschaft haben Diskursräume nahezu bereitwillig abgegeben, Social-Media-Plattformen sind sozusagen die neue Eckkneipe, in der diskutiert wird“, sagt Jasmin Riedl. Dass nun Tech-Unternehmen bestimmen, wie und worüber wir sprechen, findet sie problematisch. „Es ist eine Illusion von Diskurs, denn alles, was ich dort sehe, ist ja vom Algorithmus und somit vom entsprechenden Unternehmen kuratiert.“

Politikberater Martin Fuchs sagt: „Wahlkampf ist nicht der Ort für den Diskurs, da geht es nur um Mobilisierung.“ 

Trotz aller mühsam erkämpften Transparenz online und in Sozialen Medien: Bislang ist nicht bekannt, welcher Zusammenhang zwischen den digitalen Wahlkampfstrategien und den letztlichen Entscheidungen der Wählenden besteht. Auch für die Parteien bleibt das weitgehend Spekulation. 

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