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Olaf Scholz und Emmanuel Macron vor der Sorbonne, wo die Festveranstaltung zum 60. Jubiläum des Élysée-Vertrags stattfand.

© Michael Kappeler/dpa

60 Jahre deutsch-französische Freundschaft: Mehr Arbeit als Pathos zum Jubiläum

Scholz spricht von „Kompromissmaschine“, aber auch von „geschwisterlicher Zuneigung“. Zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags entwerfen beide Kabinette Ideen für Europa.

Der Raum in der Sorbonne ist voller Geschichte. Frankreichs Parlamentspräsidentin Yael Braun-Pivet erinnert daran, wie schon in früheren Jahrhunderten Gelehrte aus ganz Europa an der altehrwürdigen Pariser Universität zusammenkamen. Sie spricht vom „Wunder der Sorbonne“. Das „europäische Abenteuer“ habe hier begonnen, sagt Staatschef Emmanuel Macron in seiner Rede.

Für sein eigenes gilt das auch. Nach seiner ersten Wahl zum französischen Präsidenten 2017 präsentierte er hier, im großen Amphitheater der Universität, seine europapolitischen Vorstellungen. In den deutsch-französischen Beziehungen, um die es in diesem Festakt zum 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags insbesondere geht, haben sie zu einer noch intensiveren institutionellen Kooperation geführt.

Ausdruck dessen sind die offiziellen Veranstaltungen, die die Jubiläumsfeier begleiten. Die gemeinsame Parlamentsversammlung von Assemblée Nationale und Bundestag kommt zusammen, ebenso der Ministerrat wie der Sicherheits- und Verteidigungsrat. Künftig soll es einmal im Jahr eine Klausur beider Kabinette geben.

Scholz preist „menschliche Größe“ Frankreichs

Viele bewegte und getragene Worte werden gesprochen. Bundeskanzler Olaf Scholz preist die „menschliche Größe“ der Nachbarn, die den Deutschen „malgré tout“ die Hand zur Versöhnung reichten, also trotz allem, was nur wenige Jahre zuvor in den Konzentrationslagern und auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs passiert war. „Wir Deutschen“, so Scholz, „empfinden dafür tiefe Dankbarkeit.“

Der Kanzler hat dieses Mal bis auf Arbeitsminister Hubertus Heil das komplette Kabinett mitgebracht. Gastgeber Macron soll nur ja nicht wieder den Eindruck bekommen, dass Mitglieder der Bundesregierung Besseres zu tun hätten, als die deutsch-französische Freundschaft zu pflegen. Im Herbst war der Ministerrat verschoben worden – nicht nur wegen ministerieller Terminprobleme, sondern auch weil die gemeinsame Agenda wenig Berichtenswertes bot und in einer Reihe von Politikfeldern Verstimmungen aufgetreten waren.

In seiner Sorbonne-Rede geht Scholz kurz darauf ein. Es wird klar, dass ihm gelegentlich ein zu kitschiges Bild von der deutsch-französischen Zusammenarbeit gezeichnet wird. Nachdem das ursprüngliche Friedensprojekt zur Verhinderung von Kriegen zwischen Erbfeinden von einst „vollendet“ sei, gelte es heute immer wieder aufs Neue unterschiedliche Interessen, Herangehensweisen und Traditionen in Einklang zu bringen.

Der viel zitierte deutsch-französische Motor ist für Scholz „eine Kompromissmaschine – gut geölt, aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit“. Seinen Antrieb beziehe er „nicht aus süßem Schmus und leerer Symbolik, sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln umzuwandeln“.

Es geht also durchaus geschichtsbewusst, aber weniger emotional zu als in der Vergangenheit. Dazu passt, dass die ganz großen Gesten ausbleiben. Macron und Scholz schütteln Hände, auch eine kurze Umarmung gibt es, im Mittelpunkt aber stehen die gemeinsamen Zukunftsaufgaben.

Zumindest in ihren Worten scheinen sich Scholz und Macron eng abgestimmt zu haben. Der Franzose sieht durch Russlands Überfall auf die Ukraine „die humanistische Ordnung bedroht“, die gemeinsam nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut worden ist. Deutschland und Frankreich müssten „mehr denn je“ ein eigenständiges, souveränes Europa herbeiführen. Der deutsche Kanzler sagt, man arbeite „Seite an Seite daran, Europas Souveränität zu stärken“, für die „Sicherung unserer Werte in der Welt“.

Die beiden Regierungschefs im Vier-Augen-Gespräch am Sonntagabend.

© REUTERS/HANDOUT

Dass in Paris zuweilen das Gefühl vorherrscht, Olaf Scholz agiere etwa bei Rüstungsprojekten eher transatlantisch denn europäisch, erwähnt der Präsident als höflicher Gastgeber an diesem Tag nicht. Scholz tut ihm den Gefallen und bekennt sich dazu, „dass wir die kommende Generation europäischer Kampflugzeuge und -panzer gemeinsam entwickeln“.

In einer Erklärung beider Regierungen wird die Stärkung der europäischen Rüstungsindustrie versprochen. Quer durch den politischen Gemüsegarten – vom Digitalen über den Klimaschutz mit gemeinsamer Wasserstoffpolitik und das Soziale bis hin zur Raumfahrt – werden gemeinsame Projekte definiert, die an vielen Stellen freilich vage bleiben und eher einem Arbeitsprogramm gleichen.

Am konkretesten wird die Erklärung zur Verkehrspolitik. Grenzüberschreitend sollen die Zugverbindungen ausgebaut werden, für den Ausbau der Strecke Paris-Berlin zur Hochgeschwindigkeitsstrecke wird das Jahr 2024 genannt. In diesem Sommer soll es ein einheitliches Ticket für junge Menschen aus Deutschland und Frankreich geben.

In der Europapolitik erklären sich Deutschland wie Frankreich bereit, eine Änderung der EU-Verträge auf den Weg zu bringen, sollten die bestehenden Abkommen dem Fortschritt im Wege stehen. „Kurzfristig“ dagegen wollen sich Berlin und Paris dafür einsetzen, dass die EU-Ministerräte auch in außenpolitischen wie steuerrechtlichen Fragen mit Mehrheit entscheiden. Man will gemeinsam auf die entsprechende Passerelleklausel im Lissaboner Vertrag pochen.

So geht es mehr um einen Arbeitsbesuch, denn um das große Pathos. Trotzdem schließen Macron wie Scholz damit. „Vive l’Europe“, ruft der französische Präsident in den Saal. Der Kanzler beschwört die „geschwisterliche Zuneigung“.

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