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Lektion in Körpersprache: Beim G20-Gipfel auf Bali lauscht der Bundeskanzler (links) den Worten des französischen Präsidenten mit verschränkten Armen. 

© Foto: dpa/Steffen Hebestreit/BPA

Freundschaft adieu?: Beziehungsstatus: Es wird komplizierter

Paris und Berlin streiten, aber anders als früher. Gerade weil man sich so nahe ist, wächst die Empfindlichkeit. Und nun? Ein Gastbeitrag.

Wenn man wie ich seit langem über die deutsch-französischen Beziehungen berichtet, kommt man kaum hinterher, alle bilateralen Krisen aufzuzählen. Daher betrachte ich die jetzigen Streitigkeiten bei Energie- und Verteidigungsthemen mit Gelassenheit.

Gehören nicht Krisen oder zumindest Meinungsunterschiede zur Normalität dieses Tandems? Sind der „Doppelwumms“, von dem Frankreich angeblich im Vorfeld nichts wusste, oder der Streit über die Gaspreisbremse in Europa so schwerwiegend?

Als Helmut Kohl im November 1989 Europa mit seinem Zehnpunkte-Plan für eine deutsche Wiedervereinigung überraschte, hatte dies eine andere geopolitische Bedeutung. Mittlerweile sind aber die Kontakte zwischen beiden Ländern intensiver geworden. Europa ist inzwischen Innenpolitik. Man nimmt Probleme schneller wahr.

Sorge vor Entkopplung

Die Medien tragen ihren Teil dazu bei. Vor allem in Frankreich kochte in den Kommentarspalten anlässlich der letzten Reibereien die Wut auf Deutschland hoch. In Talkshows war gar von einer deutsch-französischen Götterdämmerung die Rede.

En passant sickerten mancherorts antideutsche Ressentiments durch, die leider immer noch wie Haifische unter der Oberfläche lauern. Diese französische Empfindlichkeit wurde hierzulande unterschätzt. Wenn Bundeskanzler Scholz in einer Europa-Grundsatzrede in Prag Frankreich unerwähnt lässt, wenn der engste Partner im Vorfeld nicht über den „Doppelwumms“ informiert wird, reagiert der wie ein Ehepartner, dem man die kalte Schulter zeigt.

Die französische Angst vor „découplage“ – vor der Entkopplung von Deutschland –, die Hass-Liebe zum Partner, mit dem man sich ständig vergleicht, die Befürchtung, Berlin liebäugle mit seinen östlichen Nachbarn und werde dem „tête-à-tête franco-allemand“ untreu: All dies nährt jenseits des Rheins Zweifel und Ängste.

Die Grundunterschiede bleiben

Um so überraschender war es, als in manchen französischen Medien plötzlich Worte wie „Versöhnung“, „Vertragen“ oder „Zusammenraufen“ auftauchten. Vorangegangen war eine Woche mit zahlreichen bilateralen Treffen voller Schwüre ewiger Freundschaft, zuletzt am vergangenen Freitag zwischen Olaf Scholz und seiner Amtskollegin Elisabeth Borne.

Ein paar Küsse links und rechts, Gas gegen Strom und endlich grünes Licht – mit Nuancen – für das langersehnte deutsch-französische Rüstungsprojekt, den Jagdflieger SCAF: Vom „Rien ne va plus“ nun also blitzschnell zu „One Love“?

Der deutsch-französische Motor braucht häufig eine längere Warmlaufphase, wenn neue Piloten hinter dem Lenkrad sitzen.

Pascal Thibaut, Deutschland-Korrespondent des französischen Senders RFI

Hinter diesen verstreuten Signalen verbergen sich dauerhafte Grundunterschiede zwischen unseren beiden Ländern, die immer wieder Reibung erzeugen. Beispiele gibt es so viele wie Käsesorten in Frankreich und Brottypen in Deutschland: die Rolle des Staates, die Industriepolitik, die Haltung zum transatlantischen Verhältnis oder zu gemeinsamen Schulden in Europa.

Gemeinsame Initiativen sind rar geworden

Um so fruchtbarer können Kompromisse sein. Das gilt für das bilaterale Verhältnis genauso wie für Europa. Politikwissenschaftler haben den schönen Begriff der „Konsenswerkstatt“ geprägt. Sie ist besonders erfolgreich, wenn nicht nur technokratische Probleme mühsam beseitigt, sondern auch anspruchsvolle Projekte gemeinsam initiiert werden. Der EU-Wiederaufbaufonds war ein solches Beispiel. Darüber hinaus sind deutsch-französische Initiativen derzeit jedoch zur Rarität geworden.

Eigentlich war davon auszugehen gewesen, dass der Sieg der Ampelkoalition vor einem Jahr die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern leichter macht. Die drei beteiligten Parteien, vor allem die Grünen, hatten die Vorschläge von Präsident Emmanuel Macron zur Weiterentwicklung der Europäischen Union stets unterstützt und Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre mangelnden Antworten darauf kritisiert. Die FDP gehört im Europaparlament der gleichen Fraktion an wie die Abgeordneten von Macrons Partei Renaissance.

Eine Partnerschaft so eng wie keine zweite weltweit

Der deutsch-französische Motor braucht häufig eine längere Warmlaufphase, wenn neue Piloten hinter dem Lenkrad sitzen. Das war mit Schröder und Chirac, mit Merkel und Sarkozy oder Hollande nicht anders. Und der Ukraine-Krieg hat die Regierungsmaschinerie auf beiden Seiten des Rheins zum Überhitzen gebracht.

Mangelndes Fingerspitzengefühl hat ein Übriges zu den Streitigkeiten der letzten Wochen beigetragen. Und das unterentwickelte Kommunikationstalent des Kanzlers war sicherlich nicht hilfreich.

Seltsam wenn man bedenkt, dass es keine zwei Länder auf der Welt gibt, die so viele Kontakte unterhalten – zwischen den Zivilgesellschaften, aber auch zwischen den Amtsträgern.

Die heftigen Reaktionen auf die brüske Verschiebung des deutsch-französischen Ministerrats durch Emmanuel Macron werden in Paris und Berlin hoffentlich als Weckruf vernommen. Ein von beiden Seiten gut gefüllter Gabentisch für den sechzigsten Jahrestag des Elysee-Vertrags im Januar wäre sicherlich angebracht.

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