zum Hauptinhalt
Präsident Bukele hat das riesige Gefangenenlager Cecot für die Massenfestnahmen errichten lassen.

© REUTERS/Secretaria de Prensa de La Presidencia

Ausnahmezustand in El Salvador : Der Kampf gegen Gangs gefährdet die Demokratie

Vor einem Jahr hat Präsident Bukele den Banden im Land den Krieg angesagt. 60.000 Menschen hat er seitdem verhaften lassen. Eigentlich geht es ihm aber um etwas anderes als Sicherheit.

Es war ein Wochenende im März 2022: El Salvador erlebte die gewalttätigsten Tage seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 1992. Innerhalb von drei Tagen wurden 87 Menschen ermordet.

Präsident Nayib Bukele reagierte sofort und rief am 27. März den „Krieg gegen die Banden“ aus – und den Ausnahmezustand im Land. Er befugte Polizei und Militär dazu, Menschen ohne Haftbefehl festzunehmen. Grundlegende Rechte wie die Versammlungsfreiheit oder das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren wurden ausgesetzt. Ein Jahr ist nun vergangen, seit Bukele diese Politik eingeführt hat.

Sie hat zwar die Lage in einigen Regionen verbessert und die Mordrate, die schon zuvor einen abnehmenden Trend hatte, weiter gesenkt. Aber die neue Sicherheitspolitik hat hohe Kosten. Bukele nutzt die Kriminalität in El Salvador als Vorwand, um den Rechtsstaat weiter abzubauen. Wir erleben Menschenrechtsverletzungen wie zuletzt während des Bürgerkriegs.

Repression statt Prävention

Die wahre Gefahr geht nicht von den Banden aus, sondern von unserem eigenen Präsidenten. Das Land befindet sich in der vielleicht schwersten demokratischen Krise seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 1992. Es hat kriminelle Gewalt gegen staatliche getauscht.

El Salvadors Präsident Nayib Bukele hat den vor 365 Tagen ausgerufenen Ausnahmezustand noch nicht wieder aufgehoben.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Camilo Freedman

Wegen der hohen Mordrate haben die Salvadorianer seit Jahren ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. El Salvador kämpft schon lange gegen Bandenkriminalität. Die beiden einflussreichsten Banden MS-13 und Barrio 18 – auch Maras genannt – hatten viele Teile des Landes in fester Hand. Bukele nutzt das für eine Politik, die mit Menschenrechten nicht vereinbar ist. Er stellt Repression über Prävention.

Ausnahmezustand als Dauerzustand

Sein Vorgehen ist nicht rechtmäßig: Der von Bukele ausgerufene Ausnahmezustand ist für Krisen gedacht. Nach nationalen und internationalen Standards zählt eine hohe Kriminalitätsrate nicht als Krise. Dafür gibt es schließlich staatliche Institution und geltendes Recht. Hinzu kommt: Der Ausnahmezustand darf rechtlich nur 60 Tage andauern. In El Salvador gilt er seit 365 Tagen. Für uns ist der Ausnahme- zum Dauerzustand geworden.

Die wahre Gefahr geht nicht von den Banden aus, sondern von unserem eigenen Präsidenten.

Sonia Rubio Padilla, Politologin und Menschenrechtsexpertin aus El Salvador

El Salvador war in den letzten Jahren keineswegs ein demokratisches Paradies. Heute kann man das Land allerdings kaum noch als Demokratie bezeichnen. Seit dem Ausnahmezustand erleben wir täglich willkürliche oder illegale Verhaftungen, Verfolgungen, Entführungen, Folterungen. Mindestens 120 Menschen sind bereits in staatlichem Gewahrsam gestorben. Untersucht werden diese Todesfälle nicht.

Während des Ausnahmezustands wurden, so die aktuellen Zahlen, mehr als 65.000 Menschen inhaftiert. Die Gesamtzahl der Gefängnisinsassen liegt aktuell bei über 100.000. Das entspricht 1,6 Prozent der salvadorianischen Bevölkerung. El Salvador ist von einem der Länder mit der höchsten Mordrate zum Land mit der höchsten Gefängnispopulation pro 100.000 Einwohner geworden. Es hat die USA vom ersten Platz der Rangliste verdrängt.

Durch den Ausnahmezustand darf die Polizei Menschen für 15 Tage vorläufig festnehmen. Zuvor waren es 72 Stunden. Während dieser Zeit kennen viele Inhaftierte die Gründe für ihre Festnahme nicht, sie können weder mit der Unschuldsvermutung noch mit einem fairen Prozess rechnen. Es sind Methoden, die wir aus der Diktatur kennen. Aus einer Zeit, von der wir dachten, wir hätten sie überwunden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Bilder des riesigen Gefangenenlagers Cecot, das Bukele für all diese Festnahmen gebaut hat, sind erschreckend. Das sogenannte „Terrorismus-Abriegelungszentrum“ ist für 40.000 Menschen ausgelegt. Offiziellen Angaben zufolge gehören 70 Prozent der Gefängnismitarbeiter zur Armee. Das Militär wandelt sich damit von einer Einrichtung zum Schutz der nationalen Souveränität zu einer Kontrollinstanz der inneren Sicherheit.

Die Regierung opfert einen Teil ihrer Bürger für ihre eigenen Interessen: Die Polizei hat es mittlerweile nicht nur auf Bandenmitglieder abgesehen, sondern auch auf Regierungskritiker.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Oberste Gerichtshof, die Verfassungskammer, das Institut für den Zugang zu öffentlichen Informationen, die Generalstaatsanwaltschaft – Institutionen, die nach dem Friedensabkommen von 1992 geschaffen oder reformiert wurden, um die Demokratie zu schützen – wurden von ihnen ausgehöhlt. Heute gibt es in El Salvador keine Institution mehr, die Bukeles autokratischen Kurs aufhalten könnte.

1,6
Prozent der salvadorianischen Bevölkerung sitzen im Gefängnis.

Allerdings trifft der Präsident auch in der Bevölkerung auf wenig Widerstand: Seine Zustimmungsrate lag zuletzt bei 87 Prozent. Bei den Wahlen 2018 verkaufte der 41-Jährige sich als junger, politischer Außenseiter, obwohl er damals schon fast ein Jahrzehnt im Politikgeschehen war. In der salvadorianischen Bevölkerung, in der ein tiefes Misstrauen gegenüber politischen Parteien herrscht, verfängt diese Strategie.

Gleichzeitig gab es frühe Anzeichen dafür, dass Bukele seinem eigenen Mandat mehr vertraut als demokratischen Prozessen. Der wirkliche Wendepunkt kam dann im Februar 2020. Um die Sicherheitslage im Land zu verbessern, wollte Bukele internationale Kredite beantragen. Das Parlament lehnte sein Anliegen allerdings ab.

Daraufhin besetzte der Präsident das Parlament mithilfe des Militärs. Ein erwarteter Putsch blieb aus. Aber dieser Tag markierte den Anfang des Endes der Demokratie, das mit dem jetzigen Ausnahmezustand seinen neuen Höhepunkt findet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false