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Drei Siegerinnen der Europawahl: Marine Le Pen deklassiert in Frankreich Präsident Emmanuel Macron. Ursula von der Leyens Chancen auf eine zweite Amtszeit wachsen. Italiens Regierungschefin Giorgia Melonis gewinnt mehr Einfluss.

© Gestaltung: Tagesspiegel; Fotos: IMAGO/NurPhoto, picture alliance/dpa, IMAGO/Abacapress

Europa wählt Sicherheit statt Klima : Der europäische Rechtsruck ist traurig und beunruhigend

Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gute Chance auf eine zweite Amtszeit. Aber sie wird sich nicht mehr wie bisher auf eine progressive Mehrheit stützen können.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Wahlen haben Konsequenzen. Wählerinnen und Wähler fällen ihr Urteil über die Politik der vergangenen Wahlperiode und teilen die Macht für die nächste zu.

Auf nationaler Ebene ergibt sich meist rasch ein klares Bild über Sieger und Verlierer. Auf EU-Ebene ist das oft komplizierter. Denn das Ergebnis der Europawahl ist die Summe aus 27 nationalen Entscheidungen. Es gibt kein „europäisches Wahlvolk“. In jedem Land entscheiden die Bürger vorwiegend aus nationalen Motiven.

2024 sind die großen Trends für das nächste Europäische Parlament (EP) gleichwohl bemerkenswert klar. Die großen Verlierer sind die grüne und die liberale Parteienfamilie samt ihrem „Paten“, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die großen Gewinner sind rechtspopulistische Parteien sowie nationalchauvinistische Parteien am rechten Rand.

Macron ruft nun Neuwahlen aus. Das zeigt, wie sehr er die Niederlage der Liberalen als persönliche Schlappe empfindet. Er hatte die Fraktion Renew im Europäischen Parlament seit 2019 politisch dominiert. Zu Hause in Frankreich hat seine Popularität inzwischen jedoch stark gelitten.  

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Zweite Amtszeit für von der Leyen wahrscheinlich

Der europäische Rechtsruck ist traurig und beunruhigend. Aber er bedeutet nicht, dass rechte Parteien die Macht in Europa übernehmen. Denn klar ist auch: Die Christdemokraten – auf EU-Ebene heißen sie Europäische Volkspartei (EVP) – bleiben die mit Abstand stärkste Fraktion im EP. Ursula von der Leyen hat gute Chancen auf eine zweite Amtszeit.

Da die Kräfte links der Mitte an Einfluss verloren haben, wird sich die Christdemokratin von der Leyen nicht wie bisher nach links verbiegen und auf eine „progressive Mehrheit“ stützen. Sie wird in Zukunft weniger Rücksicht auf Sozialdemokraten, Liberale und Grüne nehmen müssen.

Bürgerliche Parteien wie CDU/CSU, aus denen von der Leyen stammt, werden künftig quer durch Europa den Anspruch erheben, mehr von ihren Vorstellungen durchzusetzen. Genau das werden sie von der nächsten EU-Kommission einfordern.

Sicherheit hat Vorrang vor Klimapolitik

Insoweit ist die Machtverschiebung nicht beunruhigend. Sie spiegelt die großen tektonischen Verschiebungen seit der letzten Europawahl 2019 wider. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Klimapolitik bleibt wichtig, ist aber keine übergeordnete Priorität mehr. Das drängendste Thema ist jetzt Sicherheit. Äußere Sicherheit vor Russland. Innere Sicherheit und ökonomische Sicherheit.

Jenseits dieser großen gesamteuropäischen Linien wird es komplizierter. Denn da geraten die nationalen Trends der 27 EU-Staaten teilweise in Widerspruch zueinander. Grün hat quer durch Europa an Zustimmung verloren. Das deutsche Ergebnis schlägt wegen Deutschlands Gewicht und der außerordentlich hohen Verluste der deutschen Grünen nur besonders durch.

Die Klatsche für Europas Liberale hat in erster Linie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu verantworten. Die FDP hat ihr Europaergebnis von 2019 dank der kämpferischen Marie-Agnes Strack-Zimmermann ungefähr gehalten.

Machtkampf um Giogia Melonis Rolle

Zu den hohen Zugewinnen der antieuropäischen Rechten tragen viele Länder bei: Marine Le Pen in Frankreich, die Macron deklassierte, die deutsche AfD, aber mehr noch die FPÖ, die in Österreich stärkste Kraft wurde, sowie Geert Wilders Partei in den Niederlanden, auch wenn das rot-grüne Bündnis dort knapp vor ihm lag.

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Ein ganz anderer Fall ist Giorgia Meloni in Italien, dem drittwichtigsten EU-Staat. Ja, sie ist eine Rechtspopulistin. Aber auf europäischer Ebene verfolgt sie keine Blockadepolitik wie der Ungar Viktor Orbán, die polnische PiS, Marine Le Pen oder die AfD.

Meloni möchte zur Lösung europäischer Probleme beitragen, von der illegalen Migration bis zu einer gemeinsamen Front gegen Wladimir Putin. Deshalb gehört sie zu den Kräften, auf die Ursula von der Leyen sich bei der Bildung einer neuen Kommission stützen möchte.

Wahlen haben Konsequenzen. Alles in allem hat die Europawahl die Mehrheit im EP von Mitte-Links nach Mitte-Rechts verschoben. Die aktuellen Regierungsparteien in Frankreich und Deutschland verlieren an Einfluss, die in Italien und Polen legen zu. Diese Dynamiken werden zur Richtschnur für die Bildung der nächsten EU-Kommission.

Noch tun sich die deutschen Grünen und Sozialdemokraten schwer, die Machtverschiebung zu akzeptieren. Sie drohen von der Leyen, ihr die Unterstützung zu entziehen, wenn sie mit Meloni koaliert. Ernsthaft? Europas Bürgerinnen und Bürger haben gesprochen. Ihr Votum verdient Respekt.

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