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Joe Biden (r), Präsident der USA, spricht mit Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, im Oval Office des Weißen Hauses.

© dpa/Patrick Semansky

Gefährlicher Trip in die USA: Wie es zu Selenskyis Reise nach Washington kam

Der ukrainische Staatschef wollte schon früher zu Präsident Biden, bisher war es zu gefährlich. In einer kleinen Gruppe bereitete er sich auf die Reise vor.

Es war sein erster Auslandsbesuch in Kriegszeiten – und kaum jemand wusste vorab von den Plänen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in die USA zu reisen. Sie wurde innerhalb weniger Tage organisiert, nur ein enger Kreis von Mitarbeitern des Weißen Hauses und anderen hochrangigen Behörden war informiert, berichtet die „Washington Post“, die dazu mit mehreren US-Beamten und anderen in die Planung involvierten Personen, teils anonymisiert, gesprochen hat.

Selenskyj hatte dem US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden schon seit mehreren Monaten zu verstehen gegeben, dass er die Vereinigten Staaten besuchen wolle, sagte ein Beamter, aber die Sicherheitslage in der Ukraine habe eine solche Reise bis zu diesem Monat fast unmöglich gemacht.

Die Gespräche wurden demnach erst Ende November ernster, und ein Telefonat zwischen den beiden Präsidenten, das am 11. Dezember stattgefunden hat, war schließlich der endgültige Auslöser.

In diesem Telefongespräch soll Biden dem ukrainischen Präsidenten mitgeteilt haben, dass es gute Nachrichten gebe: Er habe das Pentagon angewiesen, der ukrainischen Luftverteidigung Priorität einzuräumen. Es sei demnach wahrscheinlich, dass die USA Kiew mit einer Patriot-Raketenbatterie ausstatten würden – eine Forderung, die Selenskyj seit Monaten stellt. Zudem versprach er ihm, dass das Weiße Haus 37 Milliarden Dollar an zusätzlicher finanzieller Unterstützung für die Ukraine beantragt hat.

Er weiß, dass er die Vereinigten Staaten braucht und dass die Unterstützung der USA zu den entscheidenden Faktoren gehört, die den Ausgang des Krieges bestimmen werden.

Andrea Kendall-Taylor, Politikwissenschaftlerin

Doch es waren angeblich weder die Aussicht auf Patriot-Raketen noch das Bedürfnis, für die finanzielle Hilfe persönlich zu danken, die ihn letztlich zur Reise bewogen haben, sondern mehr die Symbolik und Botschaft, die der ukrainische Präsident, ein ausgezeichneter Kommunikator, von dort senden wollte.

„Er weiß, dass er die Vereinigten Staaten braucht und dass die Unterstützung der USA zu den entscheidenden Faktoren gehört, die den Ausgang des Krieges bestimmen werden“, wird Politikwissenschaftlerin Andrea Kendall-Taylor, Senior Fellow am Center for a New American Security, von der „Washington“ Post zitiert. „Wenn man irgendwo hingeht, dann am besten in die Vereinigten Staaten“.

Er kam am 300. Tag der Invasion – kein Zufall

„Selenskyj kam am 300. Tag der Invasion, dem kürzesten Tag des Jahres und dem längsten Tag des Winters. Das war ein unglaubliches Signal, dass wir in den Winter gehen, und zwar vereint“, sagte ein Beamter des Weißen Hauses.

Am 14. Dezember, einem Mittwoch der vergangenen Woche, verschickte das Weiße Haus eine formelle Einladung an ihn. Zwei Tage später nahm Selenskyj an. 

Kurz vor seiner Abreise aus der Ukraine berichtete „Punchbowl News“, dass er nach Washington reisen wollte, um vor dem Kongress zu sprechen. Kurz ging Sorge um: Man hatte gehofft, Selenskyjs Reise geheim halten zu können, bis er sicher aus der Ukraine ausgereist war. Schnell wurde seine Delegation alarmiert. Doch diese meinten, sie hätten nie in Erwägung gezogen, die Reise abzusagen.

Empfang mit rotem Teppich, Hühnchen und Schokolade

Nachdem Selenskyj also von der Front aus Bachmut nach Kiew zurückgekehrt war, setzte er sich in einen Zug und fuhr zur polnischen Grenze. Dort wurde er von einem von US-Beamten organisierten Fahrzeug abgeholt und zu einem Militärflughafen gebracht.

Elf Stunden nach dem Start des Flugzeugs in Polen landete er auf der Joint Base Andrews. Dort wurde er mit einem roten Teppich und von einer Delegation an US-Beamten empfangen. Schließlich kam er in der Gästeunterkunft Blair House, gegenüber des Weißen Hauses, unter. Die ukrainische Flagge wehte, das Personal kochte Hühnchen, Fisch und andere Festtagsleckereien, darunter auch Schokoladen- und Doppelschokoladenkekse, heißt es in dem Bericht.

Selenskyj hatte Gelegenheit, sich zu entspannen, das gesamte ukrainische Team wurde auf Covid getestet, ein Standardverfahren für Treffen mit dem US-Präsidenten.

Nur ein kleiner Kreis war vorab informiert

Um jegliche Risiken und undichte Stellen vorab zu vermeiden, fand nach Angaben von US-Beamten ein Großteil der Kommunikation zur Reiseplanung mit Selenskyjs Team persönlich statt, wobei sich US-Botschafterin Bridget Brink direkt mit seinen Mitarbeitern in Kiew traf.

Ebenfalls informiert wurde vorab eine kleine Gruppe Kongressabgeordneter sowie die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Sie soll bereits im Oktober ihren Teil zu einem möglichen USA-Besuch von Selenskyj beigetragen haben, als sie sich mit Ruslan Stefanchuk, dem Sprecher des ukrainischen Parlaments, in Zagreb traf.

Ursprünglich dachte sie, dass Selenskyj im Oktober oder November nach Washington reisen könnte. Sie blieb in engem Kontakt mit Bidens nationalem Sicherheitsberater, Jake Sullivan, als die Reise endgültig festgelegt wurde.

Nun musste sie dafür sorgen, dass der ukrainische Präsident während seines neuneinhalb-stündigen Aufenthalts vor dem Kongress sprechen konnte. Dass er dies ausgerechnet jetzt tun wollte, sei kein Zufall gewesen, heißt es.

Wolodymyr Selenskyj spricht im Kongress vor einer überreichten ukrainischen Flagge, die von den Frontsoldaten in Bachmut, in der umkämpften ukrainischen Provinz Donezk, signiert wurde.
Wolodymyr Selenskyj spricht im Kongress vor einer überreichten ukrainischen Flagge, die von den Frontsoldaten in Bachmut, in der umkämpften ukrainischen Provinz Donezk, signiert wurde.

© dpa/Jacquelyn Martin

In zwei Wochen werden die Republikaner das Repräsentantenhaus übernehmen, und sie stehen weiteren Hilfen für die Ukraine skeptisch gegenüber. Umso wichtiger war es für Selenskyj, sie zu überzeugen – mit Blick auf einen brutalen Winter.

„Sein Land sollte innerhalb weniger Tage fallen. Man hätte ihn für tot gehalten, wenn er in Kiew geblieben wäre. Seine Worte haben also gewirkt, aber allein schon das Bild von Selenskyj im Kongress ein Jahr nach der Invasion sendet diese wirklich starke, unvermeidliche Botschaft“, erklärte Senator Chris Murphy der „Washington Post“.

Danach gefragt, ob der ukrainische Präsident sein Ziel erreicht habe, zeigte sich Republikaner Murphy durchaus optimistisch. „Ich denke, die Rede macht es wahrscheinlicher, dass Republikaner, die noch unentschlossen sind, sich nicht den Ukraine-Gegnern anschließen werden.“ Er hält es für wahrscheinlich, dass man im Repräsentantenhaus die finanzielle Unterstützung für Ukraine beibehalten werde. (Tsp)

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