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Anti-Gewalt-Demonstration in Serbien

© AFP/Oliver Bunic

Gewalt in Serbien: Vor allem Frauen werden Opfer

Eine Welle von Gewaltverbrechen erschüttert Serbien. Die Opfer sind meist Frauen, die Täter Ehemänner und Ex-Partner. Präsident Vucic versucht die Flucht nach vorn.

| Update:

Stolz präsentierte Serbiens Präsident Aleksandar Vucic am Wochenende in einem Polizeidepot bei Smederevo den Medien das Arsenal illegaler Waffen, die ihre Besitzer freiwillig abgegeben hatten. Er danke seinen Landsleuten für das „Engagement und die Verantwortung“, erklärte der allgewaltige Landesvater.

Er war sichtlich erfreut über das bisherige Ergebnis der Entwaffnungsaktion, die er nach zwei blutigen Amokläufen zu Monatsbeginn initiiert hatte. „Sie sehen selbst, um wie viel sicherer wir nun sind.“

Tatsächlich sind in der ersten Woche der noch bis zum 8. Juni laufenden Kampagne 13.500 illegale Schusswaffen und 2000 Granaten auf Serbiens Polizeidienststellen abgegeben worden. Strafrechtliche Ermittlungen hat, wer sich jetzt reuig zeigte, nicht zu fürchten.

Zwei Millionen illegale Handfeuerwaffen im Umlauf

Doch in einem Land, in dem sich außer 700.000 registrierten noch zwei Millionen Schusswaffen illegal im Privatbesitz befinden – Ergebnis einer Studie von 2018 –, ist Vucics Entwaffnungsaktion zwar im Prinzip begrüßenswert, aber nicht mehr als ein kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein.

Gemessen an der Bevölkerungszahl ist Serbien mit 39 Handfeuerwaffen pro 100 Einwohner neben Montenegro das Land mit der höchsten Zahl von privaten Schusswaffen in Europa. Weltweit weisen nur die USA und Jemen einen höheren Wert auf.

Nach den Amokläufen in Belgrad und Mladenovac zu Beginn des Monats war die Nation geschockt. Dennoch reißt die Welle von Gewaltverbrechen nicht ab. Vor allem Frauen werden zu Opfern von Serbiens alltäglichem Amok und der zunehmenden Familiengewalt.

Vergangene Woche wurden in Krusevac und Novi Sad erneut zwei Frauen ermordet. Die zuletzt stark steigende Zahl der Femizide ist damit seit Jahresbeginn auf 18 geklettert, im vergangenen Jahrzehnt starben so 266 Frauen. In fast allen Fällen wurden sie von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet.

Kirchenoberhaupt verhöhnt die Frauen

In sehr groben Worten verhöhnte Serbiens orthodoxer Patriarch Porfirije bei einem Festmahl in Valjevo letzte Woche die Frauen, die behaupten würden, dass sich die Serbisch-Orthodoxe Kirche nicht um Frauenanliegen kümmere. Sie seien „armselige Elende“. Später versuchte er über seinen Pressedienst abzuschwächen:

Sie seien keineswegs an alle Frauen gerichtet gewesen, sondern der Patriarch habe an „eine bestimmte Amtsträgerin gedacht“: Serbiens Gleichstellungsbeauftragte Brankica Jankovic bestreite der Kirche das Recht, sich „zu irgendeiner gesellschaftlichen Frage zu äußern“.

Sollen mit solchen Hassreden die unterstützt werden, die den Frauen das Leben nehmen?

Zorana Mihajlovic, Ex-Ministerin, über den höhnischen Kommentar des orthodoxen Patriarchen

Jankovic zeigte sich schockiert über die „erniedrigenden“ Auslassungen. „In den Tagen der Trauer“, in denen erneut die Schwächsten in der Gesellschaft zu Opfern von Gewalt geworden seien, sei das Mindeste, was man erwarten könne, „das Bewusstsein für die Verantwortung und die Schwere der eigenen Worte“, sagte sie.  

Als „unermessliche Schande“ bezeichnet indes die Ex-Ministerin Zorana Mihajlovic die Entgleisungen des Kirchenoberhaupts und fragt sich empört, ob „mit solchen Hassreden Gewalttäter unterstützt werden sollen, die den Frauen das Leben nehmen“.

Staatschef Vucic zeigt sich unterdessen zunehmend genervt von Journalistenfragen, warum er sich nicht in das Kondolenzbuch für die Todesopfer des Amoklaufs an einer renommierten Schule eingetragen oder sie besucht hatte.

An der Schule, die nur wenige Hundert Meter vom Präsidentenamtssitz entfernt liegt, hatte Anfang Mai ein Siebtklässler mit der Waffe seines Vaters neun Menschen getötet. Zu Wochenbeginn erlag eine weitere schwer verwundete Schülerin ihren Verletzungen.

Statt Taten kündigt der Präsident Neuwahlen an

Oppositionspolitiker, die ihre Landsleute in der letzten Woche zu zwei Großdemonstrationen gegen die Gewalt aufgerufen hatten, beschimpft der dünnhäutige Präsident als „Hyänen und Aasgeier“, die die Tragödie politisch zu missbrauchen suchten.

Forderungen nach einem Lizenzentzug von gewaltverherrlichenden, aber mit Staatsgeldern subventionierten TV-Sendern im Dunstkreis seiner Partei SNS weist Vucic zurück, ebenso wie die, seine Gefolgsleute an der Spitze von Polizei und Geheimdienst abzuberufen.

Stattdessen setzt Serbiens starker Mann erneut auf die Flucht nach vorn. Er kündigte einen Großaufmarsch seiner Anhänger und vorgezogene Parlamentswahlen an. „Kein Problem, ich bin bereit. Wir ziehen in die Wahlen, spätestens im September.“ 

Von seiner Wahlankündigung zeigt sich die Opposition in ersten Reaktionen allerdings kaum elektrisiert. Vucic tue alles, um die öffentliche Aufmerksamkeit auf etwaige Neuwahlen zu lenken, ätzt die Oppositionspolitikerin Marinka Tepic (SSP): Während der Präsident sich selbst wieder einmal „zum größten Opfer“ zu stilisieren versuche, fordere das Land „Gerechtigkeit für 18 getötete Kinder und Jugendliche“.

Die Menschen, die gegen die Gewalt demonstrierten, wollten „grundsätzliche Veränderungen“ und „nicht, dass wir mit Vucic über ein Wahldatum feilschen“, sagt auch Pavle Grbovic, Chef der oppositionellen PSG. 

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