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Wozu Whisky auch gut ist. Die schottische Brennerei Glenfiddich setzt auf Wasserstoff als Energieträger. Ihre Lkw fahren bereits mit Biogas aus den Abfällen der Destillerie.

© imago images/Cover-Images

Global Challenges: Angebote erhöhen, Nachfrage senken

Europa kann die notwendige Transformation im Energiesektor nur gemeinsam meistern. Ein Gastbeitrag.

Ein Gastbeitrag von Veronika Grimm

Die Transformationspläne, mit denen Deutschland und Europa ins neue Jahrzehnt gestartet sind, geraten durch die eng aufeinanderfolgenden Krisen massiv unter Druck. Vor allem die exorbitant gestiegenen Preise fossiler Energieträger und die sich abzeichnende Rezession erschweren den Weg in eine klimaneutrale Zukunft.

Anfang 2020 lautete die Parole: In dieser Dekade wird sich entscheiden, ob wir Klimaneutralität bis 2045 erreichen können. Das ist nach wie vor richtig. Die Aufmerksamkeit hat sich aber von diesem vergleichsweise fernen Ziel zur Bewältigung unmittelbar drohender Notlagen verschoben.

In jeder Krise liegt zwar auch eine Chance. So dürfte der Ausbau erneuerbarer Energien nun schneller vorangehen, klimafreundlicher Wasserstoff etwa ist bei hohen Gaspreisen früher rentabel als bei niedrigen.

Steigende Zinsen

Gleichzeitig aber geraten Transformationspläne der Unternehmen unter Druck. Gas als Übergangslösung auf dem Weg in die klimaneutrale Produktion ist zu teuer oder nicht verfügbar. Hinzu kommen Material- und Fachkräfteengpässe sowie ungünstigere Finanzierungsbedingungen infolge steigender Zinsen.

Mit diesen Herausforderungen sehen sich nicht nur energieintensive Bereiche wie die Stahl- oder Chemieindustrie konfrontiert. Auch viele andere Unternehmen, etwa Bäckereien oder Brauereien, werden nach den Corona-Belastungen die hohen Energiekosten nicht aus eigener Kraft stemmen können. Deshalb hat die Bundesregierung drei Entlastungspakete im Volumen von 95 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Zusätzlich soll noch ein Schutzschirm von 200 Milliarden Euro aufgespannt werden.

Die Gelder dürften allerdings nur ausreichen, wenn die Energie(preis)krise so schnell wie möglich überwunden wird, am besten durch eine enge Kooperation innerhalb der Europäischen Union. Nur so kann es gelingen, den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten und möglichst vielen Unternehmen Transformationschancen zu eröffnen. Entscheidend dabei ist, das Energieangebot zu erhöhen und gleichzeitig die Energienachfrage zu senken.

Engagiert und pragmatisch

So sollte die Gasbeschaffung ebenso engagiert wie pragmatisch vorangetrieben werden – etwa durch Verträge mit langen Laufzeiten, aber ohne Destinationsklauseln, damit das Gas im Laufe der Jahre bei sinkender europäischer Nachfrage in anderen Regionen eingesetzt werden kann. Im Strommarkt müssen übergangsweise alle Erzeugungskapazitäten aktiviert werden, Kohlekraftwerke ebenso wie Atommeiler. Denn der Angebotsengpass kann kurzfristig nicht allein durch erneuerbare Energien beseitigt werden.

Die zusätzlichen Kapazitäten würden den Strompreis nicht nur in Deutschland um etwa fünf Prozent senken, sondern auch in unseren europäischen Nachbarländern. Durch eine Laufzeitverlängerung sänken die CO2-Emissionen im Geltungsbereich des Emissionshandels pro Jahr um etwa 20 Millionen Tonnen.

Die Gefahr einer Diskussion über die Aufweichung des Emissionshandels wäre deutlich geringer, da Betriebe in anderen europäischen Staaten nicht in großem Umfang zusätzliche Emissionen deutscher Kohlekraftwerke kompensieren müssten.

Abschöpfung von Zufallsgewinnen

Um die Preise zu dämpfen, ist es aber auch unausweichlich, die Energienachfrage zu senken. Deshalb müssen Sparanreize in allen staatlichen Hilfsprogrammen einen zentralen Stellenwert haben. Gelingt das, würde Deutschland in puncto Energieeffizienz große Fortschritte erzielen – anders als in den vergangenen Jahren, in denen nicht zuletzt wegen der günstigen Energiepreise die Ziele stets verfehlt wurden.

Bei allen nationalen Maßnahmen ist darauf zu achten, dass die europäische Zusammenarbeit und die gemeinsamen Institutionen, etwa der Energie-Binnenmarkt, nicht beschädigt werden. Denn die dadurch entstehende Unsicherheit würde zu geringeren privaten Investitionen führen und die Transformation des Energiesystems entschleunigen. Bei der Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ darf deshalb nicht mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet werden.

Einige, aber nicht alle, kurzfristige Maßnahmen zur Ausweitung des Angebots und Dämpfung der Nachfrage zahlen auf langfristige Klimaziele ein. Vor allem der Weiterbetrieb der AKWs und die Reaktivierung der Kohlekraftwerke sollten deshalb schnellstmöglich wieder ein Ende haben.

Flexibilität im System

Werden die Weichen unverzüglich gestellt, sollte auch der Kohleausstieg um das Jahr 2030 weiterhin möglich sein, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Ausbauziele für die erneuerbaren Energien erreicht und die Flexibilität im Energiesystem erhöht werden.

Außerdem brauchen wir zusätzliche, perspektivisch mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke, um die Kohle- und Atomkraftwerke schnell ersetzen zu können. Ihr Betrieb wird zwar teurer sein als vor dem Ukraine-Krieg, weil der billige Lieferant Russland ausfällt. Es gibt aber keine Alternative.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass die EU-Mitglieder ihre unterschiedlichen Wege zur Klimaneutralität gegenseitig respektieren und kooperieren. Die gemeinsamen Energienetze müssen ausgebaut und die besten Standorte zur Erzeugung von erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff zügig erschlossen werden.

Diversifikation der Lieferanten

So ließe sich die Energieabhängigkeit der EU von Drittstaaten deutlich verringern, heute liegt sie noch über 50 Prozent. Um eine stärkere Diversifikation der Energielieferanten zu erreichen, sollten EU-Staaten schnellstmöglich gemeinsame Bezugsverträge für grünen Wasserstoff abschließen.

Mit Blick auf die notwendige Energiewende wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, privates Kapital zu mobilisieren. Unter Kanzlerin Angela Merkel wurde in der Energiepolitik zwar vieles vernachlässigt. Immerhin aber ist es gelungen, den Anfang 2005 gestarteten EU-Emissionshandel und auch den europäischen Strommarkt weiter zu entwickeln.

Daran muss – marktorientiert – festgehalten werden. Die größte Gefahr für die Transformation sind staatliche Krisenmaßnahmen, die den europäischen Strombinnenmarkt schwächen, die regulatorische Unsicherheit erhöhen und so das Tempo der Energiewende verlangsamen.

Denn Zeitverzug können wir uns nicht leisten. Der unlängst in dem USA verabschiedete „Inflation Reduction Act“ etwa beinhaltet milliardenschwere Steueranreize und Subventionen für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen – was beispielsweise den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in den USA massiv beschleunigen wird. Das ist gut für den globalen Weg in die Klimaneutralität, es zwingt uns aber auch, Schritt zu halten.

Schon um unsere internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, müssen wir die Energiekrise so schnell wie möglich überwinden, auch durch die Nutzung aller verfügbaren Kraftwerkskapazitäten. Auf diesem Weg helfen uns keine ideologischen Blockaden, stattdessen sollten wir pragmatisch mit klarem Kompass voranschreiten.

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