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Meloni und ihr Verteidigungsminister Guido Crosetto (links), der sich dazu bekennt, Medien durch Klagen zum Schweigen zu bringen.

© Imago/ipa-agency//Gianluca Vannicelli

Klage gegen Sänger der Band Placebo: Meloni und ihre Minister sind öfter beleidigt

Italiens Premierministerin will Brian Molko wegen Beleidigung vor Gericht bringen. Zum ersten Mal trifft das einen internationalen Star. Kritische Italiener:innen kennen die Reizbarkeit der Regierung Meloni schon länger.

Von gutem Stil lässt sich schlecht sprechen. „Ein Stück Sch...“ nannte der Sänger Brian Molko der weltbekannten Band Placebo Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, eine „Faschistin, Rassistin“ und rief ihr „Verpiss dich“ zu. Alles in verständlichem Italienisch – die heimischen Medien gaben seine Aussagen großflächig wieder – und vor Tausenden Fans auf einer Bühne bei Turin.

Die Turiner Staatsanwaltschaft ermittelte dann auch unmittelbar nach dem Abend des Placebo-Konzerts gegen den Musiker – wegen „Herabwürdigung von Repräsentanten des Staats“. Nun aber wurde bekannt: Auch die Ministerpräsidentin persönlich hat Molko verklagt.

Prominentester Fall: Roberto Saviano

Das Vorgehen gegen einen internationalen Rockstar hat einiges Interesse in der Welt erregt. In Italien ist die Nachricht allerdings eher ein C-Aufreger: Hier ist man die ungewöhnliche Reizbarkeit nicht nur der Regierungschefin, sondern auch ihres Kabinetts inzwischen gewöhnt. Mehrere nationale Prominente und auch einfache Landsleute mussten damit schon Bekanntschaft machen.

Am meisten Aufsehen erregte bisher Melonis Beleidigungsklage gegen den Schriftsteller und Mafia-Fachmann Roberto Saviano („Gomorrha“). Der hatte sie im Fernsehen als „bastarda“ bezeichnet, wofür im Deutschen ein weibliches Gegenstück für „Dreckskerl“ nötig wäre. Beleidigung wie Klage datieren ins Jahr 2020 zurück, der Prozess begann aber erst, als Meloni bereits einen Monat Regierungschefin war, im November 2022.

Auch ihre Minister erwiesen sich als auffallend klagefreudig: Innenminister Matteo Piantedosi drohte einem Arzt mit einer Verleumdungsklage, der im Februar vor laufender Kamera bezweifelte, dass der Schiffsbruch einer Migrantenbarke vor der kalabrischen Küste im Februar ein unvermeidbares Unglück war. Der Mann, der 30 Jahre lang in der Seenotrettung engagiert war, nannte die vermutlich hundert Toten „das Ergebnis ruchloser Politik“.

Carabinieri in der Redaktion

Noch während der Sendung ließ das Innenministerium wissen, man werde „durch alle Instanzen die Ehre der Regierung, von Minister Piantedosi und aller Teile des Ministeriums verteidigen“.

Vor allem Medien bekamen die Empfindlichkeit der Regierung bald nach deren Amtsantritt zu spüren. Der Tageszeitung „Domani“ schickte Claudio Durigon, Staatssekretär im Arbeitsministerium, sogar die Polizei in die Redaktion, um einen nicht genehmen Artikel zu beschlagnahmen, der längst im Netz stand. Durigon ziehe gegen jeden Artikel über ihn vor Gericht, sagt einer der Redakteure. Bis zu diesem Zeitpunkt war das schon achtmal passiert.

Italiens Regierungskoalition nutzt die Justiz, um die zum Schweigen zu bringen, die sie kritisieren.

Aus dem Jahresbericht des Europarats

Melonis enger Mitarbeiter Giovanbattista Fazzolari drohte der Turiner La Stampa im Februar mit Klage. Die hatte aus einem Gespräch des Staatssekretärs mit Melonis Militärberater zitiert. Fazzolari soll darin angeregt haben, Schießübungen an Schulen einzuführen.

Was man in vielen Fällen für menschlich verständliche Gegenwehr gegen teils unflätige Beleidigungen halten könnte, bekommt besonderes Gewicht, wenn mächtige Regierungsmitglieder klagen, erst recht, wenn sich die Klagen gegen Medien richten. Die Prozesshanseln im Kabinett haben bereits eine Mahnung des Europarats provoziert:

Gericht entscheidet über Klopapierrolle

Im jüngsten Jahresbericht zum Stand der Pressefreiheit in Europa wirft das Gremium der Regierung Meloni vor, die Justiz zu nutzen, „um die zum Schweigen zu bringen, die sie kritisieren“. Der Bericht zitiert die Worte von Verteidigungsminister Guido Crosetto: „Ich bin überzeugt, dass gegen Diffamierung Zivil- und Strafurteile das einzige Mittel sind, die Herausgeber, Redakteure und Journalisten verstehen.“

Das funktioniert nicht immer, was im Frühjahr der kuriose Fall von Matteo Renzis Beleidigungsklage gegen den Investigativjournalisten Marco Travaglio zeigte. Ex-Premier Renzi (2014 bis 2016), wollte Schmerzensgeld von ihm.

Travaglio, ein scharfer Kritiker Renzis, war als Studiogast in einer Sendung zugeschaltet. Hinter ihm im Bücherregal wurde eine Toilettenpapierrolle gut sichtbar, auf die Renzis Porträt gedruckt war.

Das Gericht in Renzis Heimatstadt Florenz verurteilte stattdessen ihn, 42.000 Euro an Travaglio zu zahlen – wegen „Missbrauchs der Justiz“.

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