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Flüchtlinge auf der „Geo Barents“ bitten auf Pappschildern: „Helft uns“

© Reuters/Antonio Parrinell

Krach um Seenotrettung: „Keine zweite Carola Rackete“

Erneut kreuzen Rettungsschiffe Italiens Beziehungen zur EU – und zu Berlin. Die meisten Schiffbrüchigen fischt allerdings die italienische Küstenwache aus dem Meer.

Gerade zwei Wochen ist die Regierung Meloni im Amt, aber das Armdrücken um Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer - vor allem das mit Deutschland - hat längst wieder begonnen. Etwa tausend Schiffbrüchige mussten lange vor Italiens Küste auf Schiffen privater Rettungsorganisationen auf einen sicheren Hafen warten. Erst am Sonntag durften die ersten, doch bei weitem nicht alle, an Land.

Am Dienstagmorgen konnte nun die „Rise Above“ ihre Leute an Land bringen. Das Schiff der Dresdner Hilfsorganisation „Mission Lifeline“ hatte vier Tage lang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens warten müssen, mit 89 Flüchtlingen und neun Crewmitgliedern an Bord.

Und offenbar diesmal ohne jene Unterschiede zu machen, die seit Freitag ein gemeinsames Dekret von gleich drei italienischen Ministern - neben Innenminister Piantedosi Infrastruktur- und Verkehrsminister Salvini und Verteidigungsminister Crosetto vorschreibt.

Kranke, Schwache und „die restliche Fracht“

Der Erlass verbot der „Humanity 1“, dem Schiff der NGO „SOS Humanity“, „länger in den italienischen Hoheitsgewässer zu bleiben, als für Hilfs- und Rettungsmaßnahmen für Personen nötig sind, die nach Feststellung der zuständigen staatlichen Stellen in einer Notlage stecken oder deren Gesundheit gefährdet ist“. Mit anderen Worten: Nur Kranke und Schwache dürfen von Bord, und wer das ist, entscheiden die Behörden selbst.

Und nun die Wende? „Fermezza e umanità“ heißt die Formel, die Innenminister Matteo Piantedosi ausgegeben hat und die wie vom früheren deutschen Innenminister Horst Seehofer entliehen scheint, der seit seinem „Masterplan Migration“ 2018 immer wieder von „Ordnung und Humanität“ sprach. Piantedosi ließ zu Anfang der Woche bereits Flexibilität erkennen und deutete Entscheidungen von Fall zu Fall für die Migrant:innen, die nicht ins Notfallschema passen - er sprach von „restlicher Fracht“.

Joachim Ebeling, Kapitän des unter deutscher Flagge fahrenden Rettungsschiffes Humanity 1 während einer Pressekonferenz im Hafen von Catania.

© dpa/AP/Salvatore Cavalli

Offiziell wird der neue Vorrang von Humanität gegen (Prinzipien-)Festigkeit damit begründet, dass das Dresdner Schiff ein SAR-Fall seit: Es habe die Schiffbrüchigen in der „Search-and-rescue“-, der Rettungszone im Mittelmeer aufgenommen, für die Italien zuständig ist.

Die Anklage aus der ersten Amtszeit versperrte Salvini sein Lieblingsministerium

Klar ist jedenfalls, dass Piantedosi die Linie seines Vorgängers und früheren Vorgesetzen weiterverfolgt - er war Kabinettschef, als Matteo Salvini 2018 und 2019 selbst Hausherr im Innenministerium war - aber mit deutlich mehr Vorsicht. Seine Hafensperren seinerzeit haben Salvini nämlich vor Gericht gebracht.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft im sizilianischen Catania, wo er sich seit letzten Monat verantworten muss, lautet: Freiheitsberaubung in einem besonders schweren Fall. Der Prozess lieferte Premierministerin Giorgia Meloni im Oktober den Grund, Salvini die Rückkehr in sein Lieblingsministerium zu verweigern.

Der Fall, um den es auf Sizilien geht, verweist auf ein Kuriosum, das andauert: Salvini sperrte damals einem Schiff der eigenen Küstenwache den Hafen, der „Gregoretti“, die 131 gerettete Flüchtlinge an Bord hatte.

NGO-Schiffe retten nur ein Zehntel der Schiffbrüchigen

Auch die Diciotti, die mit 177 aus dem MIttelmeer gefischten Flüchtlingen an Bord im August 2018 tagelang keine Landeerlaubnis von Salvini erhielt, war ein Schiff der italienischen Küstenwache.

Ein Faktum, das hinter dem Scheinwerferlicht auf den deutschen NGO-Schiffen oft unsichtbar bleibt: Es sind Italiens Küstenwache und die Steuerfahndung, die Guardia di Finanza - Ergebnis verwickelter Kompetenzen zwischen beiden - die den überwältigenden Anteil Schiffbrüchiger retten, die in Italien an Land gehen.

Schiffe der Küstenwache sind Teil der Behördenabläufe. Ein ausländisches Schiff muss in jedem Einzelfall um Zuweisung eines Hafens bitten.

Konteradmiral Vittorio Alessandro

Der „Corriere della sera“ rechnete dieser Tage die eigenen Zahlen des römischen Innenministeriums durch. Demnach sind von den etwas mehr als 87.000 Geflüchteten bis Ende Oktober gerade eben 11,7 Prozent von NGO-Schiffen aufgenommen worden. Fast exakt derselbe Prozentsatz ergibt sich für das Jahr 2020, während der Anteil im letzten Jahr bei 14,9 und 2017 bei 17,4 Prozent lag.

Wiederholen sich die Dramen von 2019?

Allen übrigen halfen staatliche Schiffe. Warum sie im Regelfall problemlos anlegen können, erkärte kürzlich Konteradmiral Vittorio Alessandro in einem Interview mit der Tageszeitung „il manifesto“. Nein, es gebe da keine rechtlichen Unterschiede, sagte Alessandro, der mehr als drei Jahrzehnte in der Küstenwache diente und mehrere Hafenbehörden leitete.

„Unsere Schiffe sind Teil der Behördenabläufe, während ein ausländisches Schiff den Search-and-rescue-Regeln der Zone unterliegt in der es operiert. Was heißt, dass es in jedem Einzelfall um Zuweisung eines Hafens bitten muss.“

Ich bin nur noch wütend.

Joachim Ebeling, Kapitän der Humanity 1

Trotz Piantedosis größerer Flexibilität bleibt unklar, ob sich vor Italiens Südküsten sich nicht doch ein Stück von 2019 wiederholt. Damals machte der Fall der „Sea Watch 3“ Furore, die mit mehr als 50 aus Libyen Geflüchteten wochenlang keine Einfahrterlaubnis für Lampedusa erhielt - bis Kapitänin Carola Rackete sich schließlich in der Nacht zum 29. Juni über das Verbot hinwegsetzte und in den Hafen steuerte. Im anschließenden Prozess wurde sie freigesprochen.

Zwei Geflüchtete sind über Bord gesprungen

Er wolle „kein zweiter Rackete werden“, scherzte jetzt Joachim Ebeling, der 59-jährige Bremer Kapitän der Humanity 1 vor italienischen Journalist:innen, fügte aber hinzu: „Ich werde mich nicht vom Hafen wegbewegen. Ich würde zig internationale Gesetze brechen, wenn ich der italienischen Regierung gehorche.“

Am Dienstag zeigte sich Ebeling, dessen Schiff weiter im Hafen von Catania liegt und den er nach Anweisung aus Rom verlassen müsste, „nur noch wütend“. Und er ist nicht der einzige, der revoltiert.

Auf der Humanity 1 sind Geflüchtete in den Hungerstreik getreten. Von der „Geo Barents“, dem Schiff von Ärzte ohne Grenzen, sprangen am Montag zwei ins Meer und retteten sich an Land. Und SOS Humanity klagt inzwischen gegen den Erlass aus Rom vor dem zuständigen römischen Verwaltungsgericht.

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