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Sie spricht, er lauscht: Giorgia Meloni während ihrer ersten Rede als vereidigte Ministerpräsidentin am Dienstag. Sie braucht noch die Bestätigung beider Parlamentskammern. Neben ihr Antonio Tajani, Parteikoordinator von Forza Italia.

© Imago/Ansa/Filippo Attili

Update

Vertrauensabstimmung in Rom: „Frauen, die etwas wagten“

Das Vertrauen der ersten Parlamentskammer hat Giorgia Meloni bekommen – nach einer Rede, die vor allem durch ihre persönlichen Stellungnahmen interessant wurde.

Gegen neun Uhr abends stand nach einem Redemarathon im Abgeordnetenhaus fest: Italiens neue Ministerpräsidentin hat dessen Vertrauen. 235 der 394 anwesenden Deputierten stimmten für sie, die erste Frau in diesem Amt.

Es sah zunächst so aus, als wolle Giorgia Meloni ausgerechnet diese Tatsache möglichst verstecken. Sie wolle als „der Ministerpräsident“ angesprochen werden, „il presidente“, hatte sie erklärt. Dabei braucht die weibliche Form von „Präsident“ im Italienischen, anders als eine deutsche Präsidentin, nicht einmal eine eigene Endung; der Artikel genügt.

Doch am Dienstag machte Meloni überraschend präzise ihr Frausein zum Thema – unmittelbar nachdem sie den schuldigen Dank an Staatspräsident Mattarella, ihren Vorgänger Draghi und sogar an ihre Bündnispartner Matteo Salvini und Silvio Berlusconi abgestattet hatte. Die beiden hatten ihr das Leben und die Zusammenstellung einer Regierungsmannschaft in den letzten Wochen reichlich sauer gemacht.

Dann zählte Meloni gleich sechzehn Italienerinnen auf, in deren Nachfolge sie sich sieht, darunter Rosalie Montmasson, eine der Mitkämpferinnen von Giuseppe Garibaldi, die aus den Geschichtsbüchern verschwunden sind, die revolutionäre Adelige Cristina Trivulzio di Belgiojoso, Schriftstellerin und Journalistin auf der Seite der italienischen Einheitsbewegung im 19. Jahrhundert, und die erste Ministerin Italiens – für Arbeit und Soziales –, die Christdemokratin und frühere Partisanin Tina Anselmi.

Dank an die Frauen mit „Ungestüm, Wut und Liebe“

Sogar die Kommunistin Nilde Iotti, die als erste Parlamentspräsidentin wurde, hatte Meloni in ihre Liste der Schwestern im Geiste aufgenommen. Unter den Zeitgenossinnen berief Meloni sich in ihrer Rede auf die 61-jährige Physikerin Fabiola Giannotti, die das Kernforschungszentrum CERN in Genf leitet.

Wir werden nicht ein Machtsystem durch ein anderes ersetzen.

Giorgia Meloni, neue Ministerpräsidentin Italiens

„Ich danke allen Frauen, die etwas wagten, aus Ungestüm, aus Einsicht oder aus Liebe.“ Ein Dankeschön an sie alle, „die die Bedeutung der italienischen Frauen bewiesen haben, wie ich das auch hoffe zu können“, erklärte sie. Und fügte hinzu: „Unter all dem, was ich heute auf meinen Schultern liegen fühle, ist selbstverständlich auch, dass ich die erste Regierungschefin unserer Nation bin.“

Sie sei sich der Tragweite dieses Faktums ebenso bewusst wie der Verantwortung, die sie „den vielen Frauen gegenüber“ habe, „die in diesen Minuten große und ungerechte Schwierigkeiten haben, ihre Talente zu verwirklichen oder ihr Recht darauf, dass anerkannt wird, was sie jeden Tag leisten“, sagte Meloni.

Gut möglich, dass das bei aller verständlichen Emotionalität auch ein erneuter Fingerzeig in Richtung ihrer unbotmäßigen kleineren Bündnispartner war, zumal es etwas später in der Rede auch darum ging, dass sie „die Stimmen von Millionen Italienern“ nicht dazu nutzen werde, um ein Machtsystem durch ein anderes zu ersetzen.

Ihre Regierung werde „ den Italienern, allen Italienern, eine Zukunft in größerer Freiheit Gerechtigkeit, Wohlergehen und Sicherheit“ geben, „auch wenn wir dafür ein paar Mächtige enttäuschen müssen“, so Meloni. „An Mut fehlt es uns ganz sicher nicht.“

„Nie Sympathien für den Faschismus gehabt“

Ohne sehr in die Details zu gehen, wiederholte die neue Ministerpräsidentin ihr Programm für die nächsten fünf Jahre – Regierungen in Italien halten allerdings kaum eine Legislaturperiode lang: Ein Präsidialsystem einzuführen, wofür der Rechten allerdings die verfassungsändernde Mehrheit fehlt; sie versprach, gegen die hohen Energiepreise zu helfen, sprach aber erneut gegen das Bürgereinkommen, das ein Teil der ärmsten italienischen Haushalte derzeit bezieht.

Und sie bekräftigte jenen „Fiskalfrieden“, der auch ihren Bündnispartnern Salvini und Berlusconi am Herzen liegt: Jetzt keine Forderungen der Steuerbehörden an die notleidenden Bürger – und natürlich auch an die Unternehmen. Zugleich sagte sie, wie viele Vorgänger schon, der Steuerhinterziehung an, die aber „nicht nur eine Jagd nach Staatseinnahmen sein“ dürfe.

Erneut distanzierte sie sich vom Faschismus, für den sie „nie Sympathien gehabt“ habe – ihre Partei Fratelli d’Italia ist freilich die Erbin jener älteren, des MSI, die von den hartnäckigsten Getreuen des Duce Mussolini 1946 schon gegründet wurde. Die antijüdischen Rassegesetze des Regimes von 1938 seien „eine Schande, die unsere Nation weiter zeichnet“. Erneut ging sie nicht auf die anderen völkermörderischen Verbrechen des Regimes ein, den Krieg in Abessinien und Libyen.

Die erste Gefahr: Beschuss aus dem eigenen Lager

Der Mut, von dem Meloni sprach, wird sie vor allem gegen die Abwehr von „Friendly Fire“ brauchen, den Beschuss aus dem eigenen Lager. Das zeigten bereits die ersten Tage nach ihrer Vereidigung am Sonnabend. Matteo Salvini, der das erhoffte Innenministerium nicht bekam, hat bereits begonnen, in seinem Haus, dem Ministerium für Infrastruktur und Verkehr, eine Art Nebenstelle aufzubauen.

Wir werden den Landesgrenzen wieder Respekt verschaffen.

Matteo Salvini, Minister für Infrastruktur und Verkehr

Den neuen „Minister für den Süden und das Meer, den FdI-Mann Nello Musumeci, ließ er wissen, dass er aber für Italiens Häfen zuständig sein werde. Und wie um seinen Anspruch zu bekräftigen, traf er sich als erstes mit dem Kommandanten von Italiens Küstenwache, wie er über Twitter verkündete: „Wir werden den Landesgrenzen wieder Respekt verschaffen.“

Mit seinem Kampf gegen Migration und Migranten sammelte Salvini vor Jahren Wählerstimmen ein und machte seine Lega eine Zeitlang zur stärksten Partei im Rechtsbündnis. Sie trugen ihm aber auch mehrere Gerichtsverfahren ein. Seit Anfang Oktober muss er sich in Catania vor Gericht verantworten, weil er im Juli 2019 einem Schiff der Küstenwache tagelang die Einfahrt in einen Hafen verweigerte.

Kein Innenministerium für einen, der vor Gericht steht

Die „Gregoretti“ hatte 131 aus dem Mittelmeer gerettete Schiffbrüchige an Bord. Der Vorwurf der sizilianischen Staatsanwaltschaft: Freiheitsberaubung in einem besonders schweren Fall. Für Giorgia Meloni war der Prozess der Grund, womöglich ein willkommener, Salvini das Innenministerium zu verweigern.

Ärger droht weiter auch vom tief verletzten Silvio Berlusconi. Der Medientycoon und Mehrfachpremier, dessen persönliche Partei Forza Italia am 25. September von den Wähler:innen auf kaum mehr als acht Prozent zurückgestutzt wurde, könnte Meloni bei der Vertrauensabstimmung am Dienstag und Mittwoch in Kammer und Senat erneut einen Schlag versetzen. Schon ihrem Kandidaten für den Präsidentenstuhl hatte er die Stimmen seiner Fraktion verweigert.

Aber auch die Streitigkeiten innerhalb der Partei werfen immer neue Schatten auf die noch junge Regierung. In der Forza Italia zerfleischen sich nach italienischen Medienberichten gerade die Fraktion der Falken – darunter der Patriarch selbst – und die regierungsgeneigten „governisti“, die Meloni möglichst stützen wollen – und bereits mit Parteispaltung drohen.

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