
© dpa/Philipp von Ditfurth
Misstrauensvotum gegen von der Leyen: Machtbewusst, erfolgreich, intransparent
Die Kommissionspräsidentin verändert die EU energisch, erst in der Klima-, nun in der Sicherheitspolitik. Aber sie lässt sich dabei ungern kontrollieren. Das rächt sich jetzt.

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Hochmut kommt vor dem Fall, sagt das Sprichwort. Die Verärgerung über das hochmütige Agieren der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist im Europäischen Parlament (EP) weit verbreitet. Zu ihrem Sturz durch das Misstrauensvotum wird es aber wohl kaum kommen.
Erstens befindet sich die EU in einer Multikrise. Sie verliert an globalem Einfluss, ist im Zollkrieg mit Donald Trump, braucht aber dessen Kooperation für die Verteidigungsfähigkeit Europas. Sie kämpft mit den Folgen der Pandemie und des Ukrainekriegs samt den gestiegenen Energiepreisen, was wiederum Konsequenzen für die Klimapolitik hat. Seit Jahren schwelen weitere Krisen ungelöst weiter: irreguläre Migration, Schuldenberge, Eurokrisen.
Wer will in dieser Lage den europapolitischen GAU riskieren und die Kommission aus dem Amt jagen? Zweitens kommt der Misstrauensantrag von der extremen Rechten. Mit der wollen die Kräfte der Mitte nicht stimmen, da mag der Unmut über von der Leyen noch so groß sein.
So hält der Vorgang gleich mehrere Lehren über die Krisen der EU bereit. Sowie über die Machtmechanismen, die es der Kommissionspräsidentin erlauben, den verbreiteten Ärger zu ignorieren, obwohl sie doch das Gesicht all dieser Krisen ist.
Ihr Hebel: Schulden aufnehmen und Geld ausgeben
Ursula von der Leyen ist extrem machtbewusst und in ihrem Machtstreben erfolgreich. Sie möchte sich aber nicht kontrollieren lassen und agiert intransparent. Jede der Großkrisen hat sie genutzt, um mehr Macht nach Brüssel zu verlagern. Der wichtigste Hebel: Geld ausgeben und Schulden aufnehmen, damit die EU zum zentralen Player wird und den Einfluss der Nationalstaaten zurückdrängt.
1 Zum Beispiel Pandemie
Die EU, so ihr Credo, müsse der zentrale Krisenmanager sein und die Hauptverantwortung für Masken und Impfstoffe haben. Da liegt der Ausgangspunkt des Misstrauensantrags. Ihre Kommunikation mit Pharma-Bossen ist nur noch lückenhaft überprüfbar.
2 Zum Beispiel Klimapolitik
In der Wirtschaftsflaute setzte CDU-Frau von der Leyen auf den Green Deal als Wachstumsstrategie. Die EU nahm 750 Milliarden Euro Schulden auf – auch, weil von der Leyen sich damals, in der ersten Amtszeit, auf eine Mitte-Links-Koalition mit rot-grünem Kern stützen konnte.
Dem Großteil ihrer christdemokratischen Parteienfamilie – auf EU-Ebene heißt sie Europäische Volkspartei (EVP) – ging das zu weit. Die große Mehrheit der EU-Staaten verabschiedete sich von der Strategie, als die Energiepreise drastisch stiegen und die Proteste auf den Straßen nach dem Muster der Gelbwesten in Frankreich vielerorts zunahmen.
3 Zum Beispiel Ukrainekrieg
Zuvor hatte sich die EU von Militärischem ferngehalten, um der Nato keine Konkurrenz zu machen. Von der Leyen drängte auf eine Rolle. Die EU finanzierte nun Waffenlieferungen an Kiew. In ihrer zweiten Amtszeit gibt es sogar einen Kommissar für Rüstungskoordination. Und sie plant 800 Milliarden Euro Schulden, um EU-Staaten beim Aufrüsten zu helfen.
Kurswchsel nach der Europawahl
Die Europawahl 2024 veränderte die Machtbasis: Die zweite Kommission von der Leyen stützt sich auf eine Mitte-Rechts-Mehrheit im EP. Die Schwerpunkte haben sich verlagert: weniger Klima-, mehr Sicherheitspolitik und ein schärferer Kurs gegen irreguläre Migration. Darüber ärgern sich nun Grüne und Rote.
Von der Leyen kontert deren Vorwurf, sie breche Absprachen für die Unterstützung ihrer zweiten Kommission, kühl mit dem Hinweis, Wahlen hätten nun einmal Konsequenzen.
Man kann darüber streiten, ob die EU die Aufgaben, die von der Leyen machtbewusst nach Brüssel verlagert, besser erfüllt als die Nationalstaaten: Pandemie, Klima, Ukrainehilfe und Rüstung. Unbestreitbar dürfte sein: Europa erlebt einen Bedeutungsverlust auf der Weltbühne und muss handlungsfähiger werden, um sich neben den USA, China und neuen Bündnissen wie den BRICS zu behaupten.
Eine Kommissionspräsidentin, die jeden Mehrheitswechsel und jedes Machtvakuum, das ihr teils zaudernde, teils uneinige Mitgliedsstaaten lassen, zielstrebig nutzt, hat ihre Licht- und Schattenseiten. Sie managt energisch, folgt dabei aber mehr dem sich drehenden Zeitgeist als strategischer Weitsicht. Und einen neuen emotionalen Schub für Europas Zusammenhalt, auf den viele hoffen, hat sie bislang nicht ausgelöst.
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