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Protest gegen die Regierung in Moldawien.

© Reuters/Vladislav Culiomza

Zwischen Russland und der EU: Moldau ringt vor allem mit sich selbst

An der kleinen Republik Moldau wird von allen Seiten gezogen. Die Präsidentin will einen EU-Beitritt, derweil stiftet Moskau Unruhe und hat Umsturzpläne.

Es sind vor allem Rentner, die auf den Straßen Kischinaus die blau-gelb-rote Trikolore schwenken. Etwa 4500 Menschen demonstrierten vergangenen Sonntag in der moldawischen Hauptstadt gegen ihre Regierung.

Zündstoff bot die Routineaktion vor allem, weil am Vortag sieben Rädelsführer verhaftet wurden, die im Auftrage Russlands Unruhe stiften sollten.

Die Aktion verdeutlicht das Katz-und-Maus-Spiel, das Kischinau und Moskau seit Monaten miteinander austragen. Die moldawische Präsidentin Maia Sandu und ihr ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj informierten Mitte Februar die Öffentlichkeit über russische Umsturzversuche im Land.

Moldaus Präsidentin Maia Sandu.

© Reuters/Vladislav Culiomza

Mit der Situation vertraute Quellen bestätigen jedoch, dass die Sicherheitslage eher chronisch als akut ist. Ein Umsturz stehe nicht bevor, aber der Kreml versuche fortwährend, das Land intern zu destabilisieren und Propaganda zu verbreiten.

Aus Wirtschaftsnot ins Ausland

Der Protest am Sonntag hatte aber noch ein anderes Anliegen: die horrenden Energiepreise. Auch dabei spielt Russland eine zentrale Rolle. Bis zum Krieg war Moldau komplett vom russischen Gas abhängig. Seit den internationalen Sanktionen gegen Russland versiebenfachte sich der Gaspreis, und die Inflation stieg auf über 34 Prozent.

Die kleine Republik ist eines der ärmsten Länder Europas. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt kaum mehr als ein Viertel des deutschen.

Der Unmut über die enorm gestiegenen Gaspreise ist entsprechend groß – für die Mehrheit der 2,6 Millionen Einwohner ist es derzeit sogar das größte Problem im Land. Danach folgen niedrige Einkommen, fehlende Arbeitsmöglichkeiten, Armut und Korruption. Letztere grassierte bislang unter jeder Regierung, egal ob pro-russisch oder pro-europäisch.

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Mehr als eine Million Moldawier leben mittlerweile im Ausland und halten die Wirtschaft per Rücküberweisungen am Leben. Kurzum: Die Lage ist desolat.

Die aktuell regierende „Partei der Aktion und Solidarität“ (PAS) unter Präsidentin Maia Sandu hat nun vor, alles zu ändern. Sie will den EU-Beitritt. Ihr Enthusiasmus erreicht jedoch bislang nur Teile der Bevölkerung.

Das ist das Gorbatschow-Syndrom: Die Regierung wird im Ausland geliebt, im Inland gehasst.

Igor Munteanu, Vorsitender der pro-europäischen Partei CUB

Zwar befürworte fast die Hälfte der Bewohner ein Näherrücken an die EU, aber beinahe 80 Prozent der Moldawier sind mit der Energiepolitik der PAS unzufrieden. Die Regierung federt die Preissteigerungen ab, aber für viele Haushalte reichen die Hilfszahlungen dennoch nicht aus.

„Das ist das Gorbatschow-Syndrom: Die Regierung wird im Ausland geliebt, im Inland gehasst“, fasst Igor Munteanu, Vorsitzender der pro-europäischen Oppositionspartei CUB, das Dilemma zusammen.

Auch die CUB strebt den EU-Beitritt an, bewertet die Bemühungen der Regierung jedoch als unzureichend. Wirtschaftlich verlasse man sich zu sehr auf EU-Gelder, und international betreibe man eine Neutralitätspolitik, die sich nicht auszahle und den Beitrittsweg versperre.

„Russland nutzt die Lage aus, um seinen Einfluss über Transnistrien zu erhalten“, sagt Munteanu. Damit bohrt er in einer Wunde, die Moldau seit drei Jahrzehnten begleitet. Denn der lange Arm Moskaus hat mancherorts mehr Gewicht als der Schulterschluss Kischinaus mit der EU.

In zwei Regionen Moldaus befinden sich Moldawier in der Minderheit: einerseits im autonomen Gebiet Gagausien, das von der namensgebenden turkstämmigen Ethnie bewohnt wird. Andererseits in der gewichtigen Separatistenregion Transnistrien. Sie macht rund ein Zehntel der Landesfläche aus. Russen sind hier die größte Bevölkerungsgruppe, erst danach reihen sich Moldawier und Ukrainer ein.

Stromexport sichert den russischen Einfluss

Transnistrien hat zwei Nationalflaggen: eine mit Hammer und Sichel, die andere ist quasi deckungsgleich mit der russischen. Als die Sowjetunion zerbrach, eskalierten die Spannungen zwischen der Region und dem Rest des Landes.

Rumänien unterstützte seinen kleinen Bruder Moldau, während Russland seinem Zögling Transnistrien unter die Arme griff. Auf den Krieg folgte die Spaltung des Landes entlang des Flusses Dnister.

Kranzniederlegung am transnistrischen „Tag für die Verteidiger des Vaterlandes“ in Tiraspol. Russland hat in der Separatistenregion schätzungsweise 1600 Soldaten stationiert.

© Imago/Sputnik/Uncredited

Seit 1992 wird Transnistrien von russischen Truppen permanent besetzt und entzieht sich so dem direkten Zugriff Moldaus. Die abtrünnige Regierung in Tiraspol ließ Grenzübergänge zum Rest des Landes errichten und behält unliebsame Besucher als politische Gefangene ein, um sie gegen Lösegeld oder inhaftierte Transnistrier zu tauschen. Freie Wahlen und unabhängige Medien gibt es hier nicht. Dafür jedoch ein existenzsicherndes Elektrizitätswerk.

Dort wird ein Großteil des moldawischen Stroms aus russischem Gas erzeugt. Der Mechanismus ist komplex: Russland beliefert Moldau zum Sparpreis mit Gas. Moldau leitet das Gas kostenfrei nach Transnistrien weiter. Dort wird es in Strom umgewandelt, der wiederum zurück nach Moldau fließt.

Der Stromexport macht einen Großteil des transnistrischen Staatshaushalts aus – und sichert Russland seinen Einfluss im ganzen Land. Wirtschaftlich rentabel ist der Deal für den Kreml nicht, aber Einfluss hat dort mehr Gewicht als bloße Geldwerte.

Durch Stromtrassen aus Rumänien und der Ukraine wäre es Moldau mittlerweile möglich, seinen Energiebedarf außerrussisch zu decken, doch das wäre trotz russischer Rekordpreise entschieden teurer und könnte schlimmstenfalls eine humanitäre Krise auslösen.

Aus Regierungskreisen erfährt man, dass ein Integrationsplan „samt aller möglichen Kosten“ derzeit geprüft werde, doch entscheidende Vorstöße gab es bis zuletzt keine. Und damit genau an dieser Stellschraube nicht gedreht wird, fährt Moskau ein hybrides Waffenarsenal auf, das Ländern wie Georgien und der Ukraine nur bestens bekannt ist.

Oligarch Ilan Shor bezahlt die Protestler

Dazu gehören zum Beispiel die regelmäßigen Anti-Regierungs-Proteste. Organisiert werden sie von einer Gruppe namens „Bewegung für das Volk“, die vom kremlnahen Oligarchen Ilan Shor bezahlt wird – einem Kriminellen, der das moldawische Bankensystem um eine Milliarde Dollar beraubt hat.

Heute sitzt der Verurteilte nicht in Haft, sondern im israelischen Exil – und gleichzeitig im moldawischen Parlament. Seine nach ihm benannte Shor-Partei landet in Meinungsumfragen derzeit auf Platz drei.

Die „Bewegung für das Volk“ besteht in Moldau überwiegend aus fahnenschwenkenden Rentnern, die vom pro-russischen Oligarchen Ilan Shor eingekauft werden.

© dpa/Aurel Obreja

Davor rangieren nur die Regierungspartei PAS und der „Block der Kommunisten und Sozialisten“, der als pro-russischer Taktgeber fungiert. Ein Anti-Regierungs-Bündnis könnte das Pendel zurück in Richtung Moskau schwingen lassen.

Neben Gas und gekauften Protesten besticht jedoch vor allem ein Mittel, um Russlands Einfluss zu mehren: Desinformation. Gestreut wird sie über Facebook, YouTube, Telegram, Internetseiten und nicht zuletzt das Fernsehen.

150
Kilometer ist Kischinau von der ukrainischen Hafenstadt Odessa entfernt

Auf besonders fruchtbaren Nährboden trifft sie dort, wo viel Russisch gesprochen wird: Gagausien und Transnistrien. Moldau ließ im Dezember zwar sechs TV-Kanäle schließen, doch eindämmen lässt sich der Schwall an Fake News nur schwer.

Als am 24. Februar 2022 die Invasion der Ukraine begann, bereiteten sich viele Moldawier auf das Schlimmste vor. Als im April russische Bomben auf Odessa fielen, hörte man 150 Kilometer in Kischinau die Explosionen. Viele verließen das Land.

Die Angst vor einem „langen Korridor“, der die Ukraine vom Schwarzen Meer abschneiden und Russland per Transnistrien mit Moldau verbinden würde, war damals groß. Heute scheint sie vorerst gebannt. Stattdessen wurde sie zurück ins Inland verlegt. Denn Moldau ringt mit vielen Problemen. Vor allem aber ringt es mit sich selbst.

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