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Organisiertes Verbrechen in Italien: Von der Bauern-Mafia zum Unternehmertum

Mit der Verhaftung des letzten Superpaten der Cosa Nostra steht die Mafia unter starkem Druck. Aber sie kann immer stärker auf eine mafiöse Bourgoisie für ihre neuen Finanzgeschäfte setzen.

Auf die mafiöse Verschwiegenheit ist nach wie vor Verlass, dennoch steht die italienische Mafia nach der Festnahme des Superpaten Messina Denaro unter starkem Druck. „Die Verhaftung von Messina Denaro ist ein wichtiger, ein grosser Erfolg für den italienischen Rechtsstaat: Immerhin handelt es sich bei ihm um den letzten bedeutenden Boss der Cosa Nostra“, betont Francesco Forgione.

Der ehemalige Präsident der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission in Rom gilt als einer der versiertesten Mafia-Experten des Landes und hat mehrere Bücher über das organisierte Verbrechen in Italien geschrieben. Das Ende der langen Flucht des Superpaten werde in der Cosa Nostra große Verunsicherung und möglicherweise ein Kampf um die Nachfolge auslösen.

„Gleichzeitig macht es natürlich sprachlos, dass Messina Denaro jahrelang in seiner engsten Heimat ein normales Leben führen konnte, ohne dass die Hundertschaften von Ermittlern, die auf ihn angesetzt waren, etwas davon mitbekamen“, betont Forgione. Die Erklärung dafür liefert er gleich selber: „Er konnte sich auf die ,omertà’, die mafiöse Verschwiegenheit, und auf ein verlässliches Sicherheitsnetz verlassen, das ihm die ,borghesia mafiosa’ der in der Provinz Trapani aufgespannt hat.“

Diese „mafiöse Bourgeoisie“ bestehe aus Freimaurern, Unternehmern, Freiberuflern und Lokalpolitikern, die nicht Mitglied der Cosa Nostra seien, aber mit ihr gemeinsame Sache machten. Allein in der Provinz Trapani gebe es über ein Dutzend Freimaurer-Logen, in der sich die heimlichen Unterstützer der Mafia regelmässig träfen. Doch die Mafia ist unter starkem Druck: „Wir haben Gesetze und Instrumente entwickelt, über die sonst kaum ein anderer Staat bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens verfügt“, betont Forgione. Er erinnert an den die Einführung der lebenslangen Isolationshaft für verurteilte Bosse - ohne die Möglichkeit, einer vorzeitigen Entlassung.

Eine weitere Maßnahme ist das flächendeckende Anzapfen von Telefonen: Jedes Jahr werden in Italien zehntausende von Anschlüssen abgehört. Und der Tatbestand der „Begünstigung der Mafia“ erlaubt es den Behörden, auch Personen zu verhaften und jahrelang einzusperren, denen keine „konventionelle“ Straftat nachgewiesen kann. Es reicht, dass sie die den Clans in irgend einer Form geholfen haben. Die im Lauf der Jahre entwickelten Anti-Mafia-Instrumente sind rechtsstaatlich nicht ganz unbedenklich, aber effizient. Sie erlauben es beispielsweise dem Staatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, jedes Jahr Hunderte von mutmaßlichen Mitgliedern der kalabrischen ‘Ndrangheta hinter Schloss und Riegel zu bringen.

In Lamezia Terme in Kalabrien findet gerade ein Prozess der Superlative mit über vierhundert Angeklagten statt. Dreihundert von ihnen wurden im Dezember 2019 bei einer einzigen Grossrazzia verhaftet; an der Aktion waren 2500 Mann der Carabinieri-Spezialeinheiten ROS, darunter auch Fallschirmjäger, beteiligt. Das sind Dimensionen der staatlichen Repression, die kein anderes Land der EU kennt. „Die Cosa Nostra befindet sich in einer tiefen Krise“, betont Mafia-Spezialist Forgione. Die „Strategie der Blutbäder“ der „Corleonesi“ sei gescheitert, die Anführer sind entweder tot oder in Isolationshaft. Aber natürlich ist die Cosa Nostra noch längst nicht geschlagen. Sie hat lediglich ihre Strategie gewechselt: Sie mordet kaum noch, ist abgetaucht und geht ihren Geschäften im Hintergrund nach.

Messina Denaro sei einer der Ersten gewesen, der eingesehen habe, dass die blutige Ära der „Corleonesi“ vorbei sei, sagt Forgione. Unter ihm habe sich die Cosa Nostra von einer Bauern-Mafia zu einer kapitalistischen Unternehmer- und Finanzmafia gewandelt, die in Windkraftanlagen, Supermärkte und in Privatkliniken investiere, eben mit der Hilfe der mafiösen Bourgeoisie, die sie dabei unterstützt und mitverdient.

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