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Deutschland kritisiert Israel scharf: „Die Politisierung humanitärer Hilfe ist inakzeptabel“
Seit 50 Tagen blockiert Israel jede Hilfe für Gaza. Gemeinsam mit Paris und London fordert die Bundesregierung ein sofortiges Ende dieser Politik. Ein Völkerrechtler spricht von Kriegsverbrechen.
Stand:
Seit mehr als 50 Tagen blockiert Israel jegliche Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen. Kein Wasser, kein Gas, keine Lebensmittel, kein medizinisches Material. Alle 25 Bäckereien des World Food Programme mussten Anfang April schließen – weil es weder Mehl noch Gas gibt.
Die Vereinten Nationen sprechen von der „schlimmsten humanitären Krise seit Kriegsbeginn“. Am Mittwoch haben auch die Außenminister der Bundesrepublik, Frankreichs und Großbritanniens mit ungewöhnlich scharfen Worten Israel aufgefordert, die humanitäre Hilfe sofort wieder zuzulassen.
„Die israelische Entscheidung, die Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen zu blockieren, ist nicht hinnehmbar“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Deutliche Kritik an Verteidigungsminister Katz
Die palästinensische Zivilbevölkerung, darunter eine Million Kinder, sei akut von Hunger, Krankheiten und Tod bedroht. „Das muss enden.“
Israels Politik ist klar: Es kommt keine humanitäre Hilfe nach Gaza.
Israel Katz, Verteidigungsminister Israel
Die Erklärung kritisiert ausdrücklich die jüngsten Ankündigungen von Israels Verteidigungsminister Israel Katz. Dieser hatte vor einer Woche erklärt: „Israels Politik ist klar: Es kommt keine humanitäre Hilfe nach Gaza“.
Diese Hilfe zu blockieren, sei eines der „wichtigsten Druckmittel“ gegen die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, sagte Katz weiter.
Die Regierung von Benjamin Netanjahu will damit die Freilassung der 24 Geiseln und 35 Leichen erreichen, die nach israelischen Angaben noch festgehalten werden. Sie waren beim Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppt worden.
Humanitäre Hilfe darf niemals als politisches Instrument eingesetzt werden.
Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens
In Israels Verhalten sehen die drei Außenministerien eine völkerrechtswidrige Politisierung humanitärer Hilfe. „Die jüngsten Kommentare von Minister Katz, mit denen die humanitäre Hilfe politisiert wird, und die israelischen Pläne, nach dem Krieg in Gaza zu bleiben, sind inakzeptabel.“
Hilfslieferungen dürften niemals als politisches Instrument eingesetzt werden, heißt es weiter.
„Empörung“ über Angriffe auf Helfer
Und: „Israel ist nach dem Völkerrecht verpflichtet, die ungehinderte Durchleitung humanitärer Hilfe zu gestatten.“ Die islamistische Hamas wird aufgefordert, unverzüglich die verbliebenen Geiseln freizulassen. Und sie dürfe keine humanitäre Hilfe „für ihren eigenen finanziellen Vorteil“ abzweigen.
Die drei europäischen Regierungen drückten in ihrer Erklärung zudem ihre „Empörung“ darüber aus, dass die israelische Armee humanitäres Hilfspersonal, Infrastruktur und Gesundheitseinrichtungen angreift.

© AFP/-
Das Außenministerium in Jerusalem erklärte, Israel komme seinen Aufgaben nach, die Palästinenser in Gaza seien ausreichend versorgt. Es zeigte sich „moralisch empört“ über die empfundene Gleichsetzung von Israel und der Hamas in der Erklärung.
Neue Anhörungen in Den Haag zu Israels Pflichten
Um die mögliche Verpflichtung der Besatzungsmacht Israel, den UN und anderen internationale Hilfsorganisationen die Arbeit in den palästinensischen Gebieten zu erlauben, geht es nächste Woche auch in Den Haag.
Am Montag beginnen die Anhörungen vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), den die UN-Vollversammlung mit einem Rechtsgutachten zu dem Thema beauftragt hatte.
Im Januar 2024 hatte das oberste UN-Gericht in einer Eilentscheidung Israel verpflichtet, mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung zu tun und die humanitäre Lage zu verbessern. Das Gericht sah Anhaltspunkte, dass Israel gegen die Völkermordkonvention verstößt. Das Urteil steht noch aus.
Völkerrechtler über Hunger als Waffe
Der US-Völkerrechtler Tom Dannenbaum der Fletcher School an der Tufts-Universität stützt die Position der europäischen Außenminister. „Der Entzug von Nahrung ist nicht gezielt gegen Hamas-Kämpfer gerichtet“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Er richte sich „eindeutig“ gegen die „Bevölkerung des Gazastreifens als Ganzes“. Nach dem humanitären Völkerrecht verliere eine Zivilbevölkerung ihren zivilen Charakter nicht durch die Anwesenheit von Kombattanten in dieser Bevölkerung.
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Der Jurist sieht auch keine Anwendung für die Völkerrechtsklausel, dass unter bestimmten Umständen Schaden der Zivilbevölkerung in Kauf genommen werden dürfe, nämlich wenn es proportional zum militärischen Vorteil der Gegenseite stehe. „Das ist hier einfach nicht haltbar“.
Dannenbaum verweist darauf, dass natürlich auch die Hamas internationales Recht breche, wenn es Hilfsgüter abzweige.
Israel behauptet das immer wieder und rechtfertigt die Blockade der Hilfe auch damit. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

© REUTERS/Mahmoud Issa
„Selbst wenn die Hamas sich bei Gelegenheit bedienen würde, entbindet das Israel nicht von seiner Pflicht, der gesamten Bevölkerung Zugang zu Hilfe zu ermöglichen“, sagt Dannenbaum.
Auch als Besatzungsmacht sei Israel zur Versorgung der ihr unterstehenden Bevölkerung verpflichtet. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte 2024 festgestellt, dass auch der Gazastreifen weiterhin als besetztes Gebiet gilt.
Langsam oder schnell sterben
Für den Völkerrechtler sind die Kriterien für ein Kriegsverbrechen erfüllt.
„Das Unrechtmäßige liegt im Prozess der Entbehrung, der durch die allmähliche Eskalation des Leidens auf die Menschlichkeit der Betroffenen abzielt, um ihren Willen zu brechen.“
Dies entspricht eher Folter als Mord.
Tom Dannenbaum, US-Völkerrechtler über die rechtliche Einordnung der Lebensmittelblockade
Der stufenweise Charakter sei kein milderndes, sondern ein konstitutives Merkmal dieses Unrechts. „Dies entspricht eher Folter als Mord“, sagt Dannenbaum.

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Abbas fordert Freilassung der Geiseln
Überraschenden Beistand bekam Israel dagegen am Mittwoch vom Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde und Fatah-Chef, Mahmoud Abbas.

© AFP/ZAIN JAAFAR
In einer ungewöhnlich harschen Rede nannte er deren Mitglieder „Hundesöhne“ und forderte sie auf, die restlichen Geiseln freizulassen.
Deren Festhalten in Gaza würde Israel den „Vorwand“ für die weitere Zerstörung des Palästinensergebietes liefern. Hamas sollte zudem die Waffen niederlegen.
Es war die härteste Verurteilung Abbas´der rivalisierenden Palästinensergruppe seit deren Terrorangriffen am 7. Oktober, die den Feldzug gegen Gaza ausgelöst hatten.
Zugleich forderte er die Staats-und Regierungschefs der Welt dazu auf, Israel zu zwingen, den Krieg zu beenden und seine Truppen abzuziehen.
- Annalena Baerbock
- Benjamin Netanjahu
- Boris Pistorius
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