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Der britische Premier Rishi Sunak (L) and Wolodymyr Selensky, der Staatspräsident der Ukraine, sprechen beim G7-Treffen in Hiroshima.

© AFP/Stefan Rousseau

Alle Augen auf die Ukraine: Spontangast Selenskyj richtet den G7-Kompass neu aus

Beim G7-Gipfel in Hiroshima kam am Samstag überraschend der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu. Der Krieg dort prägt den Gipfel. Und die Systemkonkurrenz mit China.

Um kurz nach 15:30 Uhr japanischer Zeit am Samstag brach im Pressesaal plötzlich Hektik aus. Die zum G7-Gipfel akkreditierten Journalist:innen versammelten sich vor einem Bildschirm, der Live-Bilder vom Flughafen in Hiroshima lieferte, zückten ihre Handy- und TV-Kameras und warteten nervös.

Zehn Minuten später kam das französische Flugzeug, das für diesen spontanen Besuch zur Verfügung gestellt worden war, zum Stehen. Als die Tür sich öffnete, trat Wolodymyr Selenskyj hervor. Die Reporter machten sich eilig Notizen, huschten dann zurück zu ihren Laptops, um ihre Aufmacher zu schreiben.

Die Ankunft des ukrainischen Präsidenten, der einst sein Geld im Showgeschäft verdiente, war mal wieder ein spektakulärer Auftritt: Vor und hinter Selenskyj gab es keine Sicherheitsleute. Der 45-Jährige winkte oder lächelte auch nicht, wie es sonst bei Staatsbesuchen üblich ist.

„Der Frieden wird heute näherkommen“

Statt Anzug trug der Selenskyj seinen mittlerweile bekannten olivgrünen Pulli und Stiefel, die Kluft der Kommandozentrale. Dann marschierte er schnell zu einem Auto, das ihn mit großem Konvoi gen Innenstadt von Hiroshima fuhr. Als wolle er ohne Worte sagen: „Ran an die Arbeit!“

Die Ukraine ist keiner der G7-Staaten, der führenden Industrienationen der Welt. Aber deren Gipfeltreffen in Westjapan, das seit Freitag läuft, hat Wolodymyr Selenskyj schon mit seiner Ankunft den eigenen Stempel aufgedrückt.

Erst Freitag war bekanntgeworden, dass Selenskyj, der zuvor durch mehrere europäische Staaten gereist war, am Sonntag nicht nur per Videocall am Programm teilnehmen, sondern auch persönlich erscheinen würde. Direkt nach seiner Landung kündigte er dann per Twitter „verstärkte Sicherheit für unseren Sieg“ an: „Der Frieden wird heute näherkommen.“

G7 wollen ihre Wirtschaft widerstandsfähiger machen

Doch das Statement, das die G7-Regierungschefs am Samstag veröffentlichten, vermittelt eher den Eindruck, als würde man sich im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf einen langen Konflikt einstellen. „Wir werden die Ukraine so lange wie nötig unterstützen“, heißt es im 40-seitigen Kommuniqué.

Die G7-Staaten – neben Gastgeber Japan sind dies die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien, dazu die EU – haben zudem untereinander versichert, die militärische Zusammenarbeit zu stärken. Dazu sind weitere Staaten eingeladen. Um diesen sicherheitspolitischen Kompass herum wird im Kommuniqué auch angekündigt, die Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaften gegen plötzliche Handelskrisen zu erhöhen. Dies soll insbesondere durch eine Diversifizierung internationaler Wertschöpfungsketten erreicht werden.

Friedensappelle am Ort der ersten Atombombe

Hier geht es darum, die ökonomische Abhängigkeit von Russland und China zu reduzieren. Neben der Förderung nachhaltigen Wirtschaftens weltweit soll in Zukunft auch die Nahrungsversorgung in ärmeren Ländern verbessert werden – durch Kooperationsprogramme und Infrastrukturinvestitionen.

Außerdem wollen die Staaten die „Bemühungen nuklearer Abrüstung stärken.“ Das wird zwar seit Jahrzehnten immer wieder angekündigt, könnte bei diesem Gipfel aber tatsächlich etwas mehr Bedeutung bekommen.

Denn neben den G7-Atommächten USA, Frankreich und Großbritannien sowie Staaten unterm US-amerikanischen Nuklearschutz wie Deutschland und Japan sind weitere Staaten mit nuklearer Beteiligung zugegen: Das eingeladene Indien besitzt Atomwaffen, Südkorea steht unter US-Schutz. Die Ukraine hingegen sieiht sich in akuter nuklearer Bedrohung durch Russland.

12.700
Atombomben gibt es weltweit

Wenn diese Staaten in Hiroshima zusammentreffen, hat dies zumindest zusätzliche symbolische Kraft. Die USA haben hier am 6. August 1945 die erste in einem Krieg eingesetzte Atombombe abgeworfen. Seither setzt sich die Stadt nicht zuletzt in Form der Initiative „Mayors for Peace“ für die Zerstörung aller Atomwaffen ein.

Ihr gehören weltweit mehr als 8.200 Bürgermeisterinnen an. Japans Premier Fumio Kishida hat in Hiroshima für eine Welt ohne Atomwaffen geworben. Beim Besuch im Atombombenmuseum schrieb auch US-Präsident Joe Biden eine solche Botschaft ins Gästebuch.

Russland und China die größte Sorge der G7

Die Realität ist allerdings weit von einer atomwaffenfreien Welt entfernt. Laut „Mayors for Peace“ gibt es gegenwärtig weltweit um die 12.700 Bomben, davon ungefähr 20 in Deutschland, die allerdings dem US-Militär gehören. Und während sich noch vor den USA die meisten Atomwaffen in Händen Russlands befinden, hat in den letzten Jahren auch Nordkorea erheblich aufgerüstet. Auch Iran unternimmt seit Jahren Anstrengungen, eine Atommacht zu werden. Dies zu verhindern, ist laut dem Kommuniqué von Samstag ein weiteres Ziel der G7.

Die größte Sorge beim Gipfel in Hiroshima aber ist der Umgang mit Russland und China, das im Text von Samstag zwanzigmal erwähnt wird. Und nicht nur Erwähnungen Chinas, von dem ein Angriff auf Taiwan befürchtet wird, haben über die letzten Jahre zugenommen. Auch der Ton hat sich verschärft.

Man wolle sich nicht gegen China stellen. Aber offensichtlich mit Blick auf Taiwan heißt es im Text des Gipfels: „Wir bleiben ernsthaft besorgt über die Situation in den Ost- und Südostasiatischen Meeren. Wir stellen uns deutlich gegen jeden Versuch, den Status quo auf einseitige Weise zu verändern.“

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