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Ukrainische Soldaten am Dnepr.

© AFP/Roman Pilipey

Ukraine-Invasion Tag 625: Kiews „Hochrisiko-Strategie“ am linken Dnipro-Ufer

Der aktuell vielversprechendste Frontabschnitt, Scholz rechnet mit langem Krieg, Orban will EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine verhindern. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

An den meisten Frontabschnitten geht es für die Ukraine kaum mehr voran. Eine Ausnahme bildet das linke Ufer des Flusses Dnipro. Seit Monaten schon erkämpfen sich die ukrainischen Einheiten hier nach und nach Boden und sind inzwischen teilweise bis zu vier Kilometer ins Landesinnere vorgerückt. Die zahlreichen Brückenköpfe, also die Orte, wo die Ukrainer am Ufer mit Booten angelandet sind, werden derzeit von den Soldaten untereinander verbunden. 

Das ist durchaus überraschend, sollten doch Einheiten, die über den Fluss setzen, ein vergleichsweise leichtes Ziel für die russische Artillerie sein. Das ist aber nicht Fall, was auch bedeutet, dass die russischen Truppen zum Schutz des Ufers höchstwahrscheinlich stark ausgedünnt sind. Funktionierende Brücken über den Dnipro gibt es aktuell nicht mehr. 

Die Experten des „Institute for the Study of War“ sehen durch die Offensivbemühungen der Ukrainer am Fluss die Russen vor einem Problem: Die Generäle in Moskau müssten sich jetzt entscheiden, ob sie Einheiten an anderen Frontabschnitten abziehen, wo Russland derzeit in der Offensive ist (Quelle hier). Am Ende könnte sich am Dnipro also auszahlen, dass die Ukraine seit dem Sommer an zahlreichen Abschnitten der Front in die Offensive gegangen ist. 

Gleichzeitig geben Experten wie der US-Militäranalyst Michael Kofman zu bedenken, dass die Ukrainer, je mehr Truppen am linken Ufer sind, auch die Versorgungswege ausbauen müssen. Das bedeutet: Mehr Schiffe auf dem Dnipro, mehr mögliche und verwundbare Angriffsziele für die Russen, falls die sich entscheiden, Verstärkung zu schicken. Kofman nennt das Vorgehen am Fluss „eine Hochrisiko-Strategie der Ukrainer“, die im Zweifel aber auch einen großen Erfolg bringen könne.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • „Lichtjahre“ von Mitgliedschaft entfernt: Um Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beginnen zu können, müssen die EU-Staaten einstimmig entscheiden. Ungarns Regierungschef hat nun klargemacht, dass er dies entschieden ablehnt. Mehr hier.
  • Als einziger Nato-Staat unterstützt die Türkei offen die Hamas. Nato-Generalsekretär Stoltenberg hält die Einheit des Bündnisses dadurch für nicht gefährdet. Mehr hier.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz sieht keine Anzeichen dafür, dass Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine beendet und Truppen zurückzieht. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Krieg sehr lange dauern kann“, sagte er auf einer Bundeswehr-Tagung in Berlin. Scholz erinnerte aber daran, dass der Krieg schon sehr viel länger dauere, als sich dies der russische Präsident Wladimir Putin vorgestellt habe. Deshalb sei er nicht pessimistisch. Wichtig sei, eine Durchhaltefähigkeit zu entwickeln und die eigene Infrastruktur gegen Angriffe zu schützen. Mehr in unserem Newsblog. 
  • Das ukrainische Militär hat auf der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim nach eigenen Angaben zwei Landungsschiffe mit Seedrohnen angegriffen und beschädigt. Der ukrainische Generalstab veröffentlichte am Freitag Videoaufnahmen, die den neuen Angriff an der Westküste zeigen sollen. 
  • Der Leiter der Militärverwaltung der umkämpften ostukrainischen Stadt Awdijiwka, Vitaly Barabasch, sagt im Nachrichtensender Espreso TV, die russischen Streitkräfte hielten Awdijiwka „rund um die Uhr“ unter Beschuss. Der durch tagelangen Regen aufgeweichte Boden hielte die russischen Bodentruppen noch zurück. „Sobald der Boden getrocknet ist, werden sie definitiv vorrücken.“
  • EU verurteilt russischen Angriff auf ein Frachtschiff im Schwarzen Meer. Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete ihn am Donnerstag als „weitere Eskalation“ und Beweis dafür, dass Russland auch den zivilen Seeverkehr terrorisiere. „Indem Russland Häfen und Exportanlagen ins Visier nimmt, verschärft es absichtlich die globale Ernährungskrise“, sagte er. 
  • Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg setzt weiter auf einen Vormarsch der ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Angreifer. „Wir müssen auf die Langstrecke vorbereitet sein. Kriege sind ihrem Wesen nach nicht vorhersagbar“, sagte Stoltenberg der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Was wir aber wissen, ist, dass die Geschehnisse rund um einen Verhandlungstisch untrennbar verbunden sind mit der Situation auf dem Gefechtsfeld“, sagte er.
  • In der umkämpften südukrainischen Region Cherson wurden mehrere Menschen getötet und verletzt. Im ukrainisch kontrollierten Teil starb laut Angaben von Militärgouverneur Olexander Prokudin ein 72-jähriger Mann durch russischen Beschuss von Wohngebieten in der gleichnamigen Gebietshauptstadt Cherson.

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