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Israelische Sicherheitskräfte stehen am Ort eines Angriffs im Gebiet Huwara.

© picture alliance/dpa

Update

Irrtümlich von israelischen Soldaten erschossen: Getötete Geiseln hielten weiße Flagge und trugen keine Hemden

Drei Geiseln waren am Freitagmorgen in ein Kampfgeschehen geraten und wurden von der israelischen Armee erschossen. Das Militär veröffentlichte neue Details zu dem tragischen Vorfall.

| Update:

Das israelische Militär hat neue Details zur versehentlichen Tötung von drei Geiseln durch israelische Soldaten bekannt gegeben. Bei der Tötung der Israelis, die am 7. Oktober von der islamistischen Hamas in den Küstenstreifen verschleppt worden waren, seien Einsatzregeln verletzt worden, sagte ein Sprecher der Armee.

Die getöteten Männer seien mehrere Dutzend Meter entfernt von den Truppen aus einem Gebäude gekommen, sagte der Armeevertreter am Samstag. Dabei seien sie ohne Hemd gewesen, einer habe einen Stock mit einem weißen Stück Stoff in der Hand gehalten.

Ein Soldat habe sich den Angaben nach bedroht gefühlt und das Feuer eröffnet. Zwei der Männer seien von einem Soldaten sofort getötet worden. Ein dritter Mann habe sich angeschossen noch zurück in das Haus flüchten können.

Nachdem er Hebräisch um Hilfe gerufen habe, befahl ein Kommandeur zwar, das Feuer einzustellen. Doch als der Verletzte zurück ins Freie kam, sei auch er von einem anderen Soldaten erschossen worden.

„Ich möchte sehr deutlich sagen, dass dieses Vorgehen gegen unsere Einsatzregeln war“, sagte der Militärvertreter. Den Angaben nach war auch ein Hilferuf auf Hebräisch zu hören.

Nach Tötung von drei Geiseln: Untersuchungen dauern an

Gleichwohl machte der Militärvertreter deutlich, dass es sich bei dem Gebiet um eine aktive Kampfzone handelte. Truppen seien dort bereits in Hinterhalte gelockt worden. Zudem seien Angreifer oft in „Jeans und Sneakers“ unterwegs.

Untersucht werde derzeit auch, ob es einen Zusammenhang mit einem Haus in der Nähe gebe, auf dem die Buchstaben SOS angebracht waren. Die Truppen im Gazastreifen seien an die Einsatzregeln erinnert worden, um solche tragischen Vorfälle zu vermeiden, hieß es. Die Untersuchung des Vorfalls dauere an. Unklar sei weiter, ob die Männer ihren Entführern entkommen konnten oder bewusst zurückgelassen wurden.

Proteste nach Tötung von drei Geiseln durch Israel

Der tragische Vorfall hatte in Israel spontane Proteste ausgelöst. Medienberichten zufolge sind am Freitagabend allein in Tel Aviv Tausende Menschen zum Protestieren auf die Straße gegangen.

Proteste in Tel Aviv.

© REUTERS/Violeta Santos Moura

Auf Bildern im israelischen Fernsehen war zu sehen, wie sich große Menschenmengen im Zentrum der Küstenmetropole versammelten und eine Hauptstraße blockierten. Sie forderten von der Regierung, sich für die sofortige Freilassung der Geiseln aus dem Gazastreifen einzusetzen.

Wir nehmen nur Leichen in Empfang!

Noam Perry, Tochter der verschleppten Geisel Haim Perry

Mit Plakaten, Spruchbändern und Postern mit den Namen und Bildern vieler anderer Geiseln marschierten die Demonstranten in die Richtung des Hauptquartiers der israelischen Armee. Wie die Nachrichtenseite ynet berichtete, schütteten sie rote Farbe auf die Straße. „Ihre Zeit wird knapp! Bringt sie jetzt nach Hause“, riefen die Menschen.

Die Organisatoren kritisieren, dass die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht genug tut, um die von der Hamas verschleppten Geiseln aus dem Gazastreifen freizubekommen. Mit einem neuen Geisel-Deal, wie es ihn bereits Ende November gab, würden solche Vorfälle wie der am Freitag in Gaza nach ihren Worten verhindert werden können.

Verunstaltete Israel-Flagge auf einer Straße in Tel Aviv.

© AFP/AHMAD GHARABLI

Angehörige von Geiseln kritisieren Regierung

Die Angehörigen der weiter im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln der Hamas haben Israel aufgefordert, mit den Kampfhandlungen aufzuhören. „Wir nehmen nur Leichen in Empfang“, sagte Noam Perry, deren Vater Haim Perry sich noch in den Händen der radikalislamischen Hamas befindet.

Ihre Zeit wird knapp! Bringt sie jetzt nach Hause.

Protestierende in Tel Aviv

„Wir wollen, dass Sie den Kampf beenden und Verhandlungen beginnen“, sagte sie bei einer Veranstaltung des Forums für Geiseln und vermisste Familien in Tel Aviv am Samstag.

Ruby Chen, Vater einer 19-jährigen Geisel, beklagte am Samstag: „Wir fühlen uns wie beim russischen Roulette“. Chen berichtete weiter: „Sie haben uns erklärt, dass die Bodenoffensive die Entführten zurückbringen würde“. Seitdem seien zwar Geiseln zurückgekehrt, „aber nicht lebendig“, kritisierte er.

Nach jüngsten israelischen Angaben befinden sich noch immer 129 Geiseln in der Gewalt der radikalislamischen Palästinenserorganisation.

Israels Militär spricht Familien der Geiseln Beileid aus

Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Freitag, es sei bisher unklar, wie die drei Geiseln in das Gebiet des Kampfgeschehens geraten konnten. Die Getöteten waren während eines Einsatzes in der Hamas-Hochburg Schedschaija im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens fälschlicherweise als Bedrohung identifiziert worden.

Dies ist für uns alle ein trauriger und schmerzhafter Vorfall, und die Armee trägt die Verantwortung für alles, was passiert ist.

Daniel Hagari, Israels Armeesprecher

Das Militär geht allerdings nach einer ersten Rekonstruktion der Ereignisse davon aus, dass sie entweder ihren Entführern entkommen oder absichtlich zurückgelassen worden seien.

Kurz nach dem Zwischenfall sei bereits der Verdacht aufgekommen, es könne sich bei den Toten um Geiseln handeln, sagte Hagari. Die Leichen seien daraufhin zur genaueren Untersuchung auf israelisches Territorium gebracht worden.

Die Armee identifizierte zwei der versehentlich Getöteten als den 28-jährige Heavy-Metal-Schlagzeuger Jotam Haim und den 25-jährigen Beduinen Samer El-Talalka aus dem Kibbuz Nir Am. Der Name der dritten getöteten Geisel werde auf Wunsch der Angehörigen nicht veröffentlicht. 

„Dies ist für uns alle ein trauriger und schmerzhafter Vorfall, und die Armee trägt die Verantwortung für alles, was passiert ist“, sagte Hagari weiter. Das Militär begann demnach sofort mit der Untersuchung des Vorfalls.

Israelische Soldaten nehmen an einer Bodenoperation im Stadtteil Shijaiyah in Gaza-Stadt teil.

© dpa/Moti Milrod

Hagari betonte, dass es sich bei Schedschaija um ein „aktives Kampfgebiet“ handele, in dem es in den vergangenen Tagen immer wieder zu anhaltenden Kämpfen gekommen sei. Er sprach den Familien der Geiseln sein Beileid aus.

Netanjahu spricht von „unerträglicher Tragödie“

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach am Freitag von einer „unerträglichen Tragödie“. „Der gesamte Staat Israel trauert heute Abend. Mein Herz ist bei den trauernden Familien in der schweren Zeit ihres Kummers“, schrieb der israelische Regierungschef am Freitagabend in den sozialen Medien. Er sprach den Familien sein Beileid aus.

Benjamin Netanjahu, Premierminister von Israel

© dpa/Ronen Zvulun

Er erinnerte an „unsere drei lieben Söhne“, die zuvor von der islamistischen Hamas in den Gazastreifen entführt worden waren. „Selbst an diesem schwierigen Abend werden wir uns um unsere Wunden kümmern, die Lektionen lernen und mit größter Anstrengung weitermachen, um alle unsere Geiseln sicher nach Hause zu bringen“, sagte Netanjahu.

US-Regierung bezeichnet Tötung der Geiseln als „herzzerreißend“

Die US-Regierung hat den Tod von drei Geiseln durch israelische Soldaten ebenfalls als „herzzerreißend“ und „tragisch“ bezeichnet. „Natürlich ist dies kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Freitag.

Er gehe davon aus, dass die Israelis sich den Vorfall genau ansehen würden, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Der Fall eigne sich aber nicht, um ein allgemeines Urteil darüber zu fällen, ob das israelische Militär in der Lage sei, im Gazastreifen präzise vorzugehen, sagte Kirby weiter.

Die US-Regierung hatte zuletzt nach Gesprächen mit der israelischen Führung die Erwartung geäußert, dass Israel von einem militärischen Vorgehen mit „hoher Intensität“ im Gazastreifen zu „gezielteren“ Militäroperationen übergehen werde. Einen Zeitraum dafür nannte Washington allerdings nicht. (dpa, AFP, Reuters)

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