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Die Überbleibsel des abgestürzten Flugzeugs am 24. Januar.

© imago/ITAR-TASS/IMAGO/TASS

Update

Wer war wirklich an Bord?: Was zum Absturz des russischen Militärflugzeugs bekannt ist – und was nicht

Russland spricht von 65 ukrainischen Kriegsgefangenen an Bord. Die Ukraine zweifelt das an. Nach wie vor sind wichtige Fragen zum Flugzeugabsturz offen – die sich vielleicht nie klären lassen.

| Update:

Nach dem Absturz des russischen Militärflugzeugs Il-76 am Mittwoch im Gebiet Belgorod (Russland) haben Behörden die Namen des getöteten Piloten und weiterer fünf Besatzungsmitglieder veröffentlicht. „Das ist für alle ein nicht wieder gutzumachender Verlust. Unser Beileid gilt den Familien und Freunden der Helden“, hieß es in einer Erklärung der Region Orenburg am Donnerstag.

An Bord der Maschine waren nach russischen Angaben insgesamt 74 Menschen, darunter laut Verteidigungsministerium in Moskau auch angeblich 65 ukrainische Kriegsgefangene. Der ukrainische Sicherheitsdienst hat eine strafrechtliche Untersuchung des Absturzes eingeleitet.

Die genaue Zahl der Kriegsgefangenen an Bord wird unter anderem vom russischen Oppositionellen Alexander Nevzorov angezweifelt und auch davon abgesehen sind aktuell noch wichtige Fragen offen:

  • Wer ist für den Absturz des Flugzeugs verantwortlich?
  • Wer war genau an Bord?

Die Ukraine und Russland machen sich gegenseitige Vorwürfe. Russland droht mit Konsequenzen.

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Russland droht Ukraine mit Konsequenzen für künftigen Gefangenenaustausch

Russische Stellen behaupten, die Maschine sei auf dem Weg zu einem Gefangenenaustausch von der Ukraine abgeschossen worden. Kremlsprecher Dmitri Peskow bekräftigte am Donnerstag den Vorwurf. Der angebliche Abschuss sei eine „ungeheuerliche Tat“ gewesen, zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Interfax.

Russland stellt nach dem Absturz weitere Gefangenenaustausche mit der Ukraine infrage. Niemand könne sagen, wie sich dies auf die Aussichten für einen künftigen Austausch von Gefangenen auswirken werde. Die Gespräche über einen Austausch müssten vertraulich bleiben. Einer Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA zufolge wurden beide Flugschreiber der Maschine gefunden. Die Agentur berief sich hierbei auf Rettungskräfte.

Russland leitete außerdem eine Untersuchung wegen „Terrorismus“ ein. Das russische Ermittlungskomitee, das für die Verfolgung schwerer Straftaten zuständig ist, erklärte am Donnerstag zudem, die Ermittler hätten bei der Absturzstelle menschliche Überreste und die Flugschreiber der Maschine gefunden. Außerdem würden Zeugen befragt.

Die russischen Ermittler wiederholten den seit Mittwoch von Moskau vorgebrachten Vorwurf, wonach das Flugzeug von ukrainischem Territorium aus mit einer Flugabwehrrakete abgeschossen worden sei. Moskau hat bisher keine Beweise dazu vorgelegt, dass sich ukrainische Soldaten an Bord befanden. Ebenfalls unbelegt blieb die Ausage, Kiew habe gewusst, dass ukrainische Soldaten an Bord des Flugzeugs gewesen seien. Auch die Identität der Menschen an Bord wurde nicht preisgegeben.

Auf diesem Foto, das von einem verifizierten UGC-Video via AP stammt, steigt Rauch aus der Absturzstelle eines Militärflugzeugs in einem Wohngebiet in der Nähe von Jablonowo auf.
Rauch steigt von der Absturzstelle auf: Das Militärflugzeug soll in einem Wohngebiet in der Nähe von Jablonowo abgestürzt sein. Das Foto stammt von einem verifizierten UGC-Video, das die Nachrichtenagentur AP zur Verfügung gestellt hat.

© dpa/Uncredited

Das sagen die Ukrainer

Die Ukraine hat nicht bestätigt, dass sie die Iljuschin Il-76 in der russischen Grenzregion Belgorod abgeschossen hat. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat aber eine internationale Untersuchung zu dem Vorfall gefordert. Er warf der Regierung in Moskau vor, „mit dem Leben der ukrainischen Kriegsgefangenen zu spielen“.

Laut ukrainischen Medien hat der Staatschef eine für Donnerstag geplante Reise in die Regionen abgesagt und gebeten, auf feierliche Gratulationen zu seinem 46. Geburtstag zu verzichten.

Der ukrainische Militärgeheimdienst GRU bestätigte, dass für den Tag ein Gefangenenaustausch geplant gewesen war. Ob es sich dabei um die Gefangenen an Bord der Maschine handelte, dazu äußerte sich Kiew allerdings nicht.

Der Militärgeheimdienst sei nicht wie sonst darüber informiert worden, wie Russland die Gefangenen zum Übergabepunkt bringen würde. Die Ukraine sei auch nicht aufgefordert worden, die Sicherheit des Luftraums um Belgorod zu gewährleisten, wie es bei früheren Austauschaktionen der Fall gewesen sein soll. Ein führender russischer Abgeordneter sagte hingegen, der ukrainische Militärgeheimdienst habe eine 15-minütige Warnung erhalten, bevor das Flugzeug mit ukrainischen Kriegsgefangenen das Gebiet erreichte, in dem es am Mittwoch abgeschossen wurde.

Ukraine sieht keine Hinweise auf große Zahl von Menschen an Bord

Auch die Angaben zu den Menschen an Bord sind umstritten. Die Ukrainer zweifeln an der Behauptung über einen Transport von Kriegsgefangenen. „Wir haben keinerlei Anzeichen dessen gesehen, dass sich im Flugzeug eine große Anzahl von Menschen befand – ob nun Bürger der Ukraine oder keine Bürger der Ukraine“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte Dmytro Lubinez am Donnerstag im Nachrichtenfernsehen.

Lubinez betonte, gemäß der Genfer Konvention trage das Aufenthaltsland die gesamte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Kriegsgefangenen. „Das ist die Russische Föderation“, unterstrich der Ombudsmann. Moskau sei vor dem Austausch verpflichtet gewesen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz über den Transportweg von Kriegsgefangenen zu informieren. Er warf der russischen Seite eine gezielte und lang geplante Kampagne zur Verleumdung der Ukraine vor

Auch der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Andriy Yusov, zweifelt an der russischen Darstellung. Er sagte „Radio Liberty“: „An Bord sollten sich ursprünglich einige militärpolitische VIPs des Aggressors befinden. Wir kennen ihre Namen und werden sie veröffentlichen, das Material wird im Rahmen einer internationalen Untersuchung übergeben. Aber im letzten Moment hat der FSB ihnen verboten, an Bord zu gehen.“

Außerdem hätten der FSB (russischer Inlandsgeheimdienst) und das russische Militär die Vertreter des Katastrophenministeriums praktisch vom Absturzort vertrieben. Yusov verwies darauf, dass es keine Fotos von sterblichen Überresten am Absturzort gebe. Im Leichenschauhaus von Belgorod seien nach Yusovs Kenntnis nur fünf Körper eingeliefert worden. Das entspreche der normalen Anzahl der Besatzung.

Ukrainisches Militär: Russland nutzt militärische Transportflugzeuge zum Transport von Raketen

Der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte teilte wiederum auf „Facebook“ mit, dass Russland militärische Transportflugzeuge vom Typ der abgeschossenen Maschine einsetze, um Flugabwehrraketen und ballistische Raketen in das Gebiet von Belgorod zu transportieren. 

Gleichzeitig stehe die Intensivierung des Beschusses ukrainischer Städte in direktem Zusammenhang mit der Zunahme der Flüge zum Flugplatz Belgorod.

„Um die Bedrohung durch Raketen zu verringern, kontrollieren die ukrainischen Streitkräfte nicht nur den Luftraum, sondern überwachen auch detailliert die Abschussorte von Raketen und die Logistik ihrer Versorgung, insbesondere durch den Einsatz von militärischen Transportflugzeugen“, heißt es in der Erklärung.

Und weiter: „In Anbetracht dessen werden die ukrainischen Streitkräfte weiterhin Maßnahmen zur Zerstörung von Trägermitteln und zur Kontrolle des Luftraums ergreifen, um die terroristische Bedrohung zu beseitigen, auch in der Richtung Belgorod-Charkiw“.

Unmittelbar nach der Nachricht über den Absturz der IL-76 tauchten in der Region Belgorod Berichte auf, wonach das Flugzeug Flugabwehrraketen an Bord hatte, die Russland unter anderem für den systematischen Beschuss von Charkiw einsetzt.

Das sagt das US-Institut für Kriegsstudien

Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington teilten mit, dass weder die russischen noch die ukrainischen Angaben unabhängig überprüft werden könnten.

Nach ISW-Angaben instrumentalisiert die russische Führung den Vorfall, um in der ukrainischen Gesellschaft Misstrauen zu säen gegen die Regierung in Kiew.

Besonders die Frage des Austauschs von Kriegsgefangenen gelte für Ukrainer und Russen gleichermaßen als sensibles Thema, das Emotionen auslöse. Zudem wollten russische Funktionäre mit unbewiesenen Behauptungen, dass die Ukraine für den mutmaßlichen Abschuss deutsche oder US-Raketen eingesetzt habe, die militärische Unterstützung des Westens für das Land schwächen.

Das russische Flugzeug stürzte auf den Tag genau 23 Monate nach Beginn des Moskauer Angriffskrieges gegen das Nachbarland ab.

Kremlchef Wladimir Putin hatte den Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 befohlen. Das Land verteidigt sich mit westlichen Waffen gegen die russische Invasion. Dabei hatten ukrainische Verteidiger zuletzt auch massiv die Region Belgorod beschossen, von der aus Russland auch seine Truppen versorgt. (dpa/Reuters/Tsp)

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