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Die von der Bundeswehr herausgegebene Aufnahme zeigt einen Kampfjet Tornado IDS ASSTA 3.0, bestückt mit dem Lenkflugkörper Taurus.

© dpa/ANDREA BIENERT

Update

„Sind wir hier im Kindergarten?“ : Strack-Zimmermann gegen Ringtausch und für direkte Taurus-Lieferungen an Ukraine

Kiew bittet seit Monaten eindringlich um deutsche Marschflugkörper. Scholz ist das zu riskant. Jetzt soll es einen Plan aus Großbritannien geben. Es hagelt Kritik für den Kanzler.

| Update:

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat sich zurückhaltend zu Plänen für einen Ringtausch geäußert, bei dem Deutschland Großbritannien Taurus-Marschflugkörper überlassen und die Ukraine dafür britische Storm-Shadows-Systeme erhalten würde. Er kenne ein entsprechendes Angebot nicht, sagte Pistorius in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung, Welt TV und dem Online-Magazin Politico am Donnerstag. Falls es Gespräche dazu mit dem Kanzleramt geben sollte, müssten diese ergeben, „ob das tragfähig ist oder nicht“.

Das „Handelsblatt“ hatte unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsvertreter berichtet, dass Großbritannien bereits angeboten habe, der Ukraine im Gegenzug für Taurus weitere seiner Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow liefern zu wollen. Dieses Angebot werde noch geprüft, hieß es. Auch nach dpa-Informationen gibt es Überlegungen, Nato-Partnern wie Großbritannien oder Frankreich Taurus-Marschflugkörper der Bundeswehr zu liefern. Das Kanzleramt wollte den Handelsblatt-Bericht am Mittwoch nicht kommentieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnt die von der Ukraine seit Monaten geforderte Lieferung bisher ab. Pistorius betonte nun, Taurus sei ein Waffensystem, das nicht mit Marschflugkörpern anderer Nationen vergleichbar sei. „Und deswegen muss sehr sorgfältig abgewogen werden, unter welchen Bedingungen man das tut. Und im Augenblick gibt es keinen neuen Stand dazu.“

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Der Bundesverteidigungsminister schloss eine Änderung in der Haltung Berlins in der Zukunft aber auch nicht aus. Er wisse natürlich von dem großen Interesse der Ukraine an Taurus, sagte er „Bild“, Welt TV und Politico. „Und deswegen wird es dem weiteren Verlauf der Gespräche überlassen bleiben müssen, ob es am Ende Auslieferungen gibt oder nicht.“

Das britische Verteidigungsministerium teilte auf eine dpa-Anfrage zu dem Bericht lediglich mit: „Das Vereinigte Königreich und unsere Partner, darunter Deutschland, arbeiten weiterhin zusammen, um die Ukraine bestmöglich für die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets auszurüsten.“

Offizielle Anfrage der Ukraine stammt von Mai

Über eine Internationale Koordinierungsstelle in Stuttgart würden erhebliche Mengen an Rüstungsgütern bereitgestellt. Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass Großbritannien seine Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Pfund aufstocken will (etwa 2,9 Milliarden Euro). Auf die Ringtausch-Idee ging der Sprecher nicht ein.

Die Ukraine hat die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Anfang Oktober entschieden, vorerst keine dieser Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern.

Dahinter steckt die Befürchtung, dass auch russisches Territorium getroffen werden könnte. Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite.

Ukraine versichert: Wir werden Moskau nicht angreifen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba war den deutschen Bedenken in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview von „Bild“, Welt.tv und „Politico“ erneut entgegengetreten. „Wir brauchen keinen Taurus, um Moskau anzugreifen“, versicherte er. Er betonte, dass die Ukraine das Waffensystem stattdessen benötige, um die russische militärische Infrastruktur auf dem von Moskau besetzten ukrainischen Gebiet zu zerstören.

Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine bereits Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp geliefert. Diese gelten aber als nicht so präzise wie die Taurus und haben auch eine geringere Reichweite.

Der französische Verteidigungsminister Sébastian Lecornu kündigte erst vor wenigen Tagen die Lieferung weiterer 40 Scalp-Raketen an. Frankreich soll knapp 400 davon haben. Der Taurus-Bestand der Bundeswehr liegt nach Experten-Schätzung bei etwa 500, allerdings sind nicht alle davon einsatzbereit.

Geteilte Meinung in Koalition zum Taurus-Vorschlag

In den Koalitionsfraktionen im Bundestag trifft die Ringtausch-Idee auf ein geteiltes Echo. Der für Verteidigung zuständige SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sagte dem „HB“: „Wenn es der Ukraine nutzt, dann ist das sicherlich eine Option im Zuge der internationalen Zusammenarbeit.“

Sind wir hier im Kindergarten und machen Ringelreihen oder was?

 Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses (FDP)

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann fand scharfe Worte: „Unsere europäischen Partner müssen uns für völlig bekloppt halten“, sagte die FDP-Politikerin am Donnerstag.

Bei dem britischen Angebot, der Ukraine mehr Storm-Shadow-Marschflugkörper zu liefern und gleichzeitig deutsche Taurus-Marschflugkörper für die britische Armee zu beziehen, gehe es nur um eine „gesichtswahrende Lösung für den Kanzler“, sagte sie der Agentur Reuters.

„Sind wir hier im Kindergarten und machen Ringelreihen oder was?“ Die Briten sollten die Storm Shadow an die Ukraine liefern und Deutschland gleichzeitig Taurus. „Wir brauchen keinen Ringtausch.“ 

Für den Grünen-Politiker Anton Hofreiter zeigen die Überlegungen „exemplarisch die Schwäche“ von Scholz bei der Unterstützung der Ukraine. Die Botschaft sei: „Großbritannien kann liefern, aber Deutschland nicht.“

Ein Ringtausch wäre zwar besser als gar nichts, sagte Hofreiter. Aber das deutsche Taurus-System sei deutlich besser als die Waffensysteme der Verbündeten, da es durch elektronische Kriegsführung kaum gestört werden könne, betonte der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags.

Für Deutschland ist es peinlich, wenn Großbritannien sich Gedanken macht, wie man dem Bundeskanzler aus der Patsche helfen kann.

Norbert Röttgen, Außenpolitiker der CDU

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen kritisiere die Überlegungen eines Ringtausches scharf. „Für Deutschland ist es peinlich, wenn Großbritannien sich Gedanken macht, wie man dem Bundeskanzler aus der Patsche helfen kann“, sagte Röttgen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Die Briten sind zu dem Schluss gekommen, dass die Koalition in Berlin aus eigenen Kräften nicht zu einer Entscheidung kommen wird. Das sagt leider alles über das internationale Ansehen der Bundesregierung.“

Röttgen fügte hinzu: „In der Sache ist der britische Vorschlag nur die zweitbeste Lösung. Die mit Abstand beste Lösung ist es, die deutschen Marschflugkörper Taurus in größtmöglichem Umfang an die Ukraine zu liefern und für Deutschland sofort nachzubestellen.“ Die Produktionsfirma sei lieferfähig und -willig.

Aus Sicht des Militärexperten Carlo Masala stehen die Chancen für einen Ringtausch allerdings nicht schlecht. „Das ist nicht unwahrscheinlich. Bundeskanzler Olaf Scholz hätte die Debatte damit innenpolitisch vom Hals“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

In der kommenden Woche wollen die Länder der Europäischen Union auf einem Gipfel auf Initiative von Scholz über weitere Waffenhilfe für die Ukraine beraten. In Vorbereitung dieses Gipfels hatte der Kanzler sich bereits am Montag in Berlin mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron getroffen.

Scholz will mehr Waffenlieferungen von EU-Staaten

Am Mittwochabend sagte er dazu auf einer Pressekonferenz mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, das Gespräch sei „so konkret und detailliert“ gewesen, dass daraus viele gemeinsame Initiativen entstehen könnten. Bereits Anfang Januar hatte Scholz alle EU-Partner dazu aufgerufen, mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten.

Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine nach den USA – weit vor großen EU-Partnerstaaten wie Frankreich, Italien und Spanien.

In einem am Mittwoch veröffentlichten „Zeit“-Interview sagte der Kanzler auf die Frage, ob er von den anderen Europäern enttäuscht sei: „Na, ich bin eher irritiert, dass ich mich in Deutschland ständig der Kritik stellen muss, die Regierung tue zu wenig und sei zu zögerlich. Dabei tun wir mehr als alle anderen EU-Staaten, sehr viel mehr.“ (dpa, lem)

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