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„Die Preise für Gas, Licht, Benzin steigen. Und die Gehälter?“ steht auf dem Plakat eines Demonstranten am Montag in Rom.

© imago/Andrea Ronchini

Bäcker, Bauern, Bürger - alle protestieren: Italiens heißer Herbst ist schon auf Temperatur

Menschen verbrennen öffentlich ihre Gas- und Stromrechnungen, Bäcker und Bauern gehen wegen der Preise auf die Straße. Die designierte Regierungschefin Meloni steht vor einem Berg an Problemen.

Auch ein Winter am Mittelmeer kann sehr kalt sein. Italiens neuer Regierung droht allerdings erst einmal ein heißer Herbst. Giorgia Meloni, die Siegerin vom 25. September, ist gerade dabei ihre Regierungstruppe zusammenzustellen - gegen den Widerstand ihrer Bündnispartner Silvio Berlusconi und Matteo Salvini, denen die geplante Regierung aus Fachleuten so gar nicht passt. Doch Meloni hat noch ganz anderen Widerstand zu gewärtigen: Im ganzen Land formiert sich inzwischen Protest gegen die nach oben schießenden Preise für Gas, Heizöl und Strom.

Ihren ersten öffentlichen Auftritt nach der Wahl absolvierte sie denn auch vor dem Bauernverband Coldiretti: Vor den Landwirt:innen, die sich in Mailand versammelt hatten, versprach sie am vergangenen Freitag, dass die Spekulationsgewinne nicht ausgeglichen würden - Deutschland erwähnte sie nicht - sondern dass sie beendet würden.

Dass sie noch nicht wisse wie, machte sie zugleich deutlich. Man sei dabei zu verstehen, die man politisch auf die Energiepreise einwirken könne. Auf jeden Fall - so ihr Seitenhieb auf noch amtierende Regierung Draghi und die Nicht-Entscheidungen in Brüssel „können wir nicht so weitermachen wie in den letzten Monaten“.

Bäcker, Bauern, Bürger - alle protestieren

Nicht nur Italiens Agrarsektor protestiert. Kurz zuvor hatten auf Neapels zentraler Piazza del Plebiscito die Bäcker der umgebenden Region Kampanien demonstriert. Sie erwarten eine Verfünffachung des Brotpreises durch die hohen Energiekosten. Und die Bewegung „Wir zahlen nicht“ - italienische Variante des britischen Modell „Don’t pay UK“ - schaffte es am Montag, in fünfzehn Städten, darunter Turin, Mailand, Bologna und Rom, Demonstrationen auf die Beine zu stellen. Dabei wurden Strom- und Gasrechnungen verbrannt und zur eigenständigen „Preisminderung“ aufgerufen, sollte der Preisgalopp nicht anders aufzuhalten sein.

Die hohen Energiepreise treffen eine Bevölkerung, die in den letzten Jahren deutlich ärmer geworden ist. Auf fünfeinhalb Millionen Menschen, nicht ganz ein Zehntel der italienischen Bevölkerung, ist jüngeren Berechnungen zufolge die Zahl der absoluten Armen gewachsen. Vier Millionen zählt das Heer der „working poor“, derer also, die mit ihrer Arbeit weniger als tausend Euro im Monat verdienen.

Mit einem Kabinett der Fachleute gegen die Krise

Schon jetzt ist abzusehen, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird, wenn die Energiepreise auch Italiens Unternehmen in die Knie zwingen. Im Programm der künftigen Rechtsregierung ist als Mittel dagegen wenig mehr zu lesen als Steuererleichterungen.

Selbst der Vorsitzende des Unternehmerverbands Confindustria, die sonst wenig gegen die künftige Regierung hat, ließ am Montag durchblicken, dass er von deren Lieblingsprojekt Flat tax wenig hält. Natürlich müssten Parteien ihre Wahlversprechen halten, „aber inzwischen sind Energie und öffenliche Finanzen die beiden Notstandsgebiete. Und die erlauben keine Verrücktheiten“.

Europa muss verhindern, dass Italien vom Weg abkommt.

Stefano Ciafani, Vorsitzender des italienischen Umweltverbands

Angesichts der Krise will die designierte Regierungschefin schon mit einem Regierungsteam beginnen, das maximale Seriosität und möglichst wenig Verrücktheit signalisiert. Schlüsselministerien wie Wirtschaft und Finanzen sollen mit Fachleuten besetzt werden, nicht mit Polit-Profis.

Dagegen wehren sich Matteo Salvini von der Lega und Berlusconis Chefverhandler für dessen „Forza Italia, Antonio Tajani, die angesichts eines ohnehin geschrumpften Parlaments - die Fünf Sterne hatten in der letzten Legislaturperiode die Verkleinerung von Abgeordnetenhaus und Senat durchgesetzt - auf möglichst wenige Posten und Pöstchen für die eigenen Leute verzichten wollen.

Im Falle Salvini kann Meloni hoffen, dass er im eigenen Haus genug zu tun hat. Umberto Bossi, der Gründer und Immer-noch-Übervater der einstigen Lega Nord, hat zu deren Neugründung aufgerufen. Ihm wie vielen andern bietet die Wahlschlappe für Salvini die Gelegenheit, mit dessen gesamtitalienischen Kurs abzurechnen.

Die Lega war ursprünglich die Partei des Nordens und trat für die Abspaltung der reichen Regionen Italiens dort, vor allem der Lombardei, von Italien ein. Unter der grün-weiß-roten Nationalflagge, mit der Bossi sich einst „den Hintern abwischen“ wollte, versucht Salvini heute Stimmen zu fangen („Italien zuerst“) - dieses Mal mit schwachem Erfolg.

Ökologischer Umbau - vom Minister gab’s wenig

Ob Melonis Technokratenkabinett - sollte es denn zustandekommen- ein Erfolg wird, dürfte sich erst etwas später herausstellen. Der Mythos des „Technikers“, der keine Politik macht, sondern das Notwendige, hält sich in Italien schon deswegen, weil die Staatspräsidenten jahrzehntelang immer wieder Nichtpolitiker in Regierungskrisen als Premiers beriefen - zuletzt eben Mario Draghi. Doch auch dessen Erbe ist sehr gemischt.

Dies gilt ausgerechnet für den Mann in Draghis Kabinett, der als erster den anspruchsvollen Titel „Minister für den ökologischen Umbau“ trug. Roberto Cingolani ist studierter Physiker und arbeitete zuletzt in der Technik eines Luftfahrt- und Rüstungskonzerns.

Italiens Umweltverband Legambiente machte jetzt ihre Rechnung für Cingolanis anderthalb Jahre im Kabinett auf und stellte sie unter dem Titel „Fossiles Italien“ ins Netz. Demnach war wenig Umbau, aber viel Weiter-so: 120 fossile Energie-Projekte hinterlässt er demnach, darunter Gaskraftwerke und Bohrgenehmigungen für die Erschließung heimischer Gasfelder.

Ausgerechnet in den Plänen von Melonis postfaschistischen Fratelli d’Italia allerdings sieht der Vorsitzende des Umweltverbands, Stefano Ciafani, Anlass für Hoffnung: Zwar rede das Rahmenprogramm des Rechts-Mitte-Bündnisses von Atomkraft als sauberer Energie.

FdI selbst allerdings, so Ciafani, spreche sich für grüne Stromnetze aus, wolle die Genehmigungen für Erneuerbare entbürokratisieren und kleinen grünen Stromerzeugern, „Energiegemeinschaften“ helfen. Das seien „wichtige Ausgangspunkte“, aber Druck müsse wohl von außen kommen: „Ich hoffe, dass Europa verhindert, dass Italien vom Weg abkommt.“

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