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 Enrico Letta, noch Vorsitzender des sozialdemokratischen PD - hier am Tag nach der Wahl - wird zurücktreten. 

© dpa/Mauro Scrobogna

Italiens Wahlverlierer: Links der Rechten herrscht Katzenjammer

Die Sozialdemokraten haben ihr bisher schlechtestes Ergebnis eingefahren. Parteichef Letta tritt zurück - doch der PD leidet an mehr als persönlichen Fehlern.

So richtig eilig haben es die Geschlagenen dieser Parlamentswahl nicht. Die Parteispitze der italienischen Sozialdemokraten, die am Sonntag das schlechteste Ergebnis ihrer kurzen Parteigeschichte eingefahren haben - der Partito democratico (PD) wurde 2007 gegründet - wollen sich erst in einer guten Woche treffen, am 6. Oktober. Dann soll nicht nur über das Desaster beraten, sondern auch ein außerordentlicher Parteitag einberufen werden, vermutlich für Anfang Januar.

Den allerdings mit großem Auftrag: Es müsse dann um „einen neuen PD“ gehen. Der bisherige Parteichef Enrico Letta, der zugleich bekannt gab, dass er seinen Posten räumen werde, rief auf zu einem „Parteitag tiefen Nachdenkens darüber, was der PD ist und was er tun muss, um seine Verbindung mit einem Teil der Gesellschaft wiederzufinden“.

PD - seit 15 Jahren Partei der Gegensätze

Das freilich ist nicht wirklich neu, um seine Neuerfindung rang der PD praktisch in allen 15 Jahren seines Bestehens. Das hat mit einem Kuriosum zu tun, das sich auch als Geburtsfehler sehen lassen könnte: Der Partito democratico versammelte die Reste und Erben der großen politischen Familien der Ersten Republik - die mit ihr Anfang der 1990er Jahre untergingen. Vor genau 30 Jahren, 1992, begannen die umfassenden Korruptionsermittlungen einer Gruppe Mailänder Staatsanwält:innen, die in einem Altersheim in Mailand begannen und schließlich das Machtkartell und das Parteiengefüge hinwegfegten, die Italien in der gesamten Nachkriegszeit geprägt hatten.

Nicht nur die Staatspartei Democrazia cristiana und die gelegentlich an der Macht beteiligten Sozialisten lösten sich auf. Auch die Zeit der ewigen Opposition, der Kommunistischen Partei (KPI) war vorbei, obwohl sie den Weg zur Richtung Sozilademokratisierung längst beschritten hatte. Man fand sich anderthalb Jahrzehnte wieder im PD, der sich als „Zusammenfließen großer Traditionen“ verstand, so steht es in dessen „Werteerklärung“ von 2008, die alle wüssten, „dass sie für sich allein nicht ausreichen“. Konkret benennt der Text „jenen tiefen einigenden Prozess, der die Grundlage für den Kampf gegen den Faschismus und den Befreiungskrieg war“.

Der Antifaschismus als - einzige - programmatische Klammer des PD, das hat sich nicht erst in diesem Wahlkampf als hinderlich erwiesen. Es machte auch einen wohl zu großen Sprung über Jahrzehnte, in denen sich die, die im Antifaschismus bis Kriegsende zusammenstanden, im demokratischen Italien politische Gegner:innen waren, vor allem DC und KPI. Die Frage nach der politischen Richtung der Nachfolgepartei blieb unbeantwortet beziehungsweise wurde, wie die linke Tageszeitung „il manifesto“ kürzlich spottete, salomonisch gelöst: „Die Ex-Kommunisten schreiben, aber die Ex-Christdemokraten haben das Kommando.“

Alles getan, um zu verlieren

Das stimmt auch für den Noch-Parteichef: Enrico Letta ist in der untergegangenen DC politisch erwachsen geworden. Der 56-Jährige Toskaner verabschiedete sich bereits am Tag nach der für den PD katastrophalen Wahl. Er will noch bis zum außerordentlichen Parteitag bleiben, aber nicht wieder kandidieren.

Mit Letta als Spitzenkandidaten hatte der PD in diesem Wahlkampf praktisch alles getan, was er tun konnte, um die Wahl zu verlieren: Man verbündete sich nicht mit der politisch nächsten Formation, den Fünf Sternen, sondern warb - erfolglos - um zwei entlaufene frühere Parteifreunde, Carlo Calenda und Ex-Premier und PD-Chef Matteo Renzi. Beide gingen von der Fahne, als Letta auch die winzigen italienischen Grünen und Linken (Sinistra Italiana SI) mit ins Boot holte. Einem etwas nach links verschobenen Bündnis wollten beide nicht angehören. Inzwischen flirtet der selbsternannte „Dritte Pol“ von Renzi-Calenda offen mit Giorgia Meloni.

Eine dicke Schicht Gemäßigtheit verdeckt unseren Blick auf die radikalen sozialen Herausforderungen.

Andrea Orlando, Vize-Parteichef und Sozialminister

Außerdem zog der PD mit einem stimmigen sozial-ökologischen Programm in den Wahlkampf, das er dann aber nicht zum Thema machte. Stattdessen setzte man ganz auf Faschismus-Alarm, warnte vor der Gefahr für Italiens Verfassung, wenn die Rechte regiere, und für die Rechte von Frauen und Minderheiten. Das erwies sich als Kassengift in den Wahlkampfwochen, als alle sich um Inflation und Energiepreise sorgten - und in einem Land, in dem die zwei Jahrzehnte unter Mussolini nie wirklich aufgearbeitet wurden und nur wenige verschrecken.

Parteichef Letta sucht die Schuld für die Niederlage bei andern

Ein Übriges dürfte getan haben, dass sich Letta und die Seinen hinter die „Agenda Draghi“ stellten, den Wähler:innen eine Fortsetzung der Linie des „Techniker“-Premiers Mario Draghi versprachen. Der gilt aber vielen als Ausdruck des verhassten Establishments, von Eliten und Privilegien. Stattdessen holten die Fünf Sterne seines Vorgängers Conte auf, die Draghi vor drei Monaten gestürzt hatten - und die Letta eben deswegen feierlich als Bündnispartner:innen ausschloss. Sie schafften gegen alle früheren Umfragen, die sie auf höchstens zehn Prozent schätzten, mehr als 15 P

Wenn Letta jetzt geht, verliert der PD Parteichef Nummer acht seiner kurzen Geschichte. Bisher hat als einzige Paola De Micheli angekündigt, sie wolle sich um seine Nachfolge bewerben. Die frühere Managerin und Ex-Verkehrs- und Infrastrukturministerin wäre die erste Frau in diesem Amt. Wahrscheinlicher ist, dass ein Mann mit Hausmacht folgt - hier wird Stefano Bonaccini genannt, der Ministerpräsident der Emilia-Romagna, wo zwei der nur drei Wahlkreise in Italien liegen, in denen am Sonntag linke Kandidat:innen direkt ins Parlament gewählt wurden.

Die Aufarbeitung der Wahlniederlage - der PD unterbot mit nicht einmal 19 Prozent Stimmanteil noch das katatrophale Ergebnis von 2018 - hat begonnen, und sie läuft entlang der bekannten Flügellinien. Der scheidende Parteichef verortete den Misserfolg gar nicht erst vor der eigenen Haustür: „Wenn wir jetzt eine Regierung Meloni bekommen, dann deswegen, weil Conte im Juli Draghi gestürzt hat“, sagte er. Das sei das Schlüsselmoment gewesen. Und dann hätten auch die, mit denen man ein „ein großes Feld“ hätte bilden können „gegen uns gearbeitet“- gemeint ist die Formation von Renzi und Calenda, die es auf sieben Prozent brachte.

„Die Partei muss neu gegründet werden“

Der sozialdemokratisch-linkere Flügel spricht sich dagegen bereits für das von Letta gewünschte „tiefe Nachdenken“ aus - allerdings übers eigene Haus. Andrea Orlando, Lettas Vize und bisher Arbeits- und Sozialminister, spricht von einer „extrem harten Niederlage“, auf die man nicht mit einem normalen Parteitag reagieren könne, auf dem es nur um eine neue Führung gehe. Auch er spricht von seiner Partei als „etwas Unentschiedenem“.

Der PD müsse „von links neugegründet“ werden. Eine „dicke Schicht moderatismo“, wie der Drang zur politischen Mitte auf italienisch heißt, „versperrt uns den Blick darauf, wie radikal die sozialen Herausforderungen im Land sind“. Als deren Grund nennt er „Ungleichheit und Entwertung der Arbeit“. Die Partei, so Orlando, brauche in Wirklichkeit „einen neuen Gründungskongresss“.

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