zum Hauptinhalt
Sofía Otero in  20.000 Arten von Bienen von Estibaliz Urresola Solaguren

© Gariza Films, Inicia Films

„20.000 Arten von Bienen“ im Kino: Bloß nicht so werden wie Papa

Die achtjährige Sofía Otero überzeugt in dem Coming-of-Age-Drama „20.000 Arten von Bienen“, einem liebevollen Film über die Suche nach geschlechtlicher Identität.

Von Andreas Busche

Manche Kinderfragen sind so einfach, dass sie einen Erwachsenen sprachlos machen können. „Wieso weißt du, wer du bist und ich nicht?“, fragt Lucia ihre Mutter, als diese zu ihr ins Bett krabbelt. Die im ersten Eindruck einfache Frage besitzt jedoch viele Facetten, die die spanische Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren in ihrem Debütfilm „20.000 Arten von Bienen“ behutsam aufblättert.

Denn Lucia hat sich ihren Namen selbst ausgesucht, weil sie mit ihrem Jungen- und Geburtsnamen Aitor nicht einverstanden ist – und sich auch mit dem neutralen Spitznamen Cocó unwohl fühlt. Ihre Mutter Ane hält dies nicht davon ab, das Kind immer wieder abwechselnd mit Tauf- und Spitznamen anzusprechen, was Lucia mal mit bösen, mal mit still protestierenden Blicken quittiert.

Die achtjährige Sofía Otero spielt das Mädchen mit einer wunderbaren Mischung aus Skepsis und Eigensinn, was ihr auf der diesjährigen Berlinale den Preis als beste Hauptdarstellerin einbrachte. Diese Besetzung zeigt auch, dass Solaguren es ernst meint, wenn sie in Interviews vom sozialen Konstrukt Gender spricht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ane (Patricia López Arnaiz) registriert, wie sich ihr Kind den (familiären) Vereinnahmungen entzieht, in denen Lucia stets als der kleine Bruder wahrgenommen wird; aber die Mutter hat eigene Sorgen. Da ist die komplizierte Ehe mit Gorka, der für Lucia noch weniger Verständnis aufbringt, und das noch schwierigere Verhältnis mit der eigenen Mutter (Itziar Lazkano), die das Mädchen für „verwirrt“ hält und Ane auffordert, endlich eine „Grenze“ zu ziehen.

Ane verbringt den Sommer mit ihren drei Kindern in ihrem baskischen Geburtsort, um in der Werkstatt des verstorbenen Vaters an der Bewerbung für einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule zu arbeiten. Doch die Enge des Dorflebens verstärkt die familiären Konflikte nur.

Solaguren hat wie ihre katalanische Kollegin Carla Simón mit „Alcarràs – Die letzte Ernte“ einen Sommerfilm gedreht, in dem die kindliche und die erwachsene Wahrnehmung gewissermaßen parallel verläuft. „20.000 Arten von Bienen“ handelt von drei Generationen von Frauen, die sich in ihren jeweiligen Lebensabschnitten über ihre Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden versuchen.

Großtante Lourdes (Ane Gabarain) ist da schon am weitesten, sie kümmert sich um ihre Bienenvölker, erntet den Honig und produziert Kerzen aus Bienenwachs. Die Tante führt Lucia in die Imkerei ein, ihre einzige erwachsene Verbündete. Sie spricht Lucia auch mit ihrem Wunschnamen an – womit sie gleich in doppelter Hinsicht als Vermittlerin zwischen zwei Töchtern und ihren Müttern fungiert.

Mädchen haben Schniedel, Jungs eine Mumu

Die Kindheit ist ein Stadium des Übergangs: ein Dazwischen, in dem sich die Dinge – und wie man sie benennen soll – noch nicht verfestigt haben. Die Tante nennt Lucias Vagina einen „Mädchenschniedel“. Und die Nachbarstochter sagt zu Lucia beim Baden im See, dass ein Schulfreund von ihr auch eine „Mumu“ habe.

Alles in der Kindwelt von „20.000 Arten von Bienen“ ist noch im Fluss begriffen; die Identität ein Spiel, das Lucia allerdings selbstbewusster angeht, als ihre Mutter verstehen will. Diesen Schwebezustand, im Flirren der Sonne, fängt die Kamera von Gina Ferrer García sehr haptisch ein. Wenn die Kinder – Geschwister, Freundinnen – unter sich sind, ohne Verhältnisse aushandeln zu müssen, hat „20.000 Arten von Bienen“ seine stärksten Momente.

Die Erwachsenen mit ihren mitunter problematischen Körperbildern stehen dem entgegen. Lucias Großvater, ein Bildhauer, war für seine Frauenskulpturen, die „Sylphiden“, bekannt; nachempfunden hat er sie Aktfotos von jungen Mädchen aus dem Dorf. (Ein „Skandal“, über den man nur hinter vorgehaltener Hand spricht.) Sie möchte nicht so werden wie ihr Papa, sagt Lucia einmal zu Ane. In diesem Punkt herrscht zwischen Mutter und Tochter ein blindes Verständnis. Die größeren Konsequenzen dieses kindlichen Wunsches muss Ane aber erst langsam lernen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false