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Vom selben Schlage. Indiana Jones (Harrison Ford) and Helena (Phoebe Waller-Bridge) sind hinter einem magischen Apparat her.

© Lucasfilm Ltd./Lucasfilm Ltd.

„Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ im Kino: Mit Hut und Peitsche auf der Jagd nach der Zeit

Mit über 80 Jahren kehrt Harrison Ford noch einmal als Kinoheld zurück. „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ ist ein unerwartet emotionales Spektakel und gibt der Saga eine finale Wendung.

Manische Persönlichkeiten können furchtbar nerven. Rastlos folgt so einer seiner obskuren Obsession, ohne Rücksicht auf die Belange anderer, ist besessen und uneinsichtig, weiß alles besser. Und dann gibt er hinterher meist denen die Schuld am Scheitern, die Schlimmeres verhindert haben. Weshalb es nicht ohne Risiko ist, solche Eiferer in den Mittelpunkt einer Erzählung zu stellen. Wer sollte die Marotten, die sie ausleben, liebenswert finden?

Unter den manischen Kinohelden ist Indiana Jones, stets verkörpert von Harrison Ford, ein ausgesprochen langlebiger Charakter. Aus mehreren Gründen: Einem Archäologen und Altertumswissenschaftler gehen die Trophäen nie aus, die es zu entdecken gilt; seine Schwächen sind verzeihlich und werden bei Weitem überwogen von einem harten Punch, seiner Lederpeitsche und seinem Hut, die ihn ziemlich cool aussehen lassen. Sie machen aus dem Mann der Bücher, Inschriften und toten Sprachen einen ewigen Glücksritter.

Jesus’ Blut und die Lanze des Führers

Dennoch schien auch dessen Zeit abgelaufen, als er 2008 im vierten Teil des Indiana-Jones-Franchise auf seinen halbstarken Sohn traf und die gemeinsame Schatzsuche auf die Pointe hinauslief, den Startmechanismus eines Raumschiffs in Gang zu setzen. Nicht, dass die Entschlüsselung komplizierter Apparaturen nicht von Anfang an zum Repertoire der Indy-Saga gehört hätte. Dennoch war die Entdeckung einer außerirdischen Göttlichkeit dann doch ein wenig zu abwegig, um das Ganze nicht endlich auserzählt zu finden. Der Bogen hatte sich nach 27 Jahren auch in familiärer Hinsicht geschlossen. Der Sohn (Shia LaBeouf) erwies sich als weniger verkommen denn befürchtet, und mit Langzeitgefährtin Marion Ravenwood (Karen Allen) ließ sich auch wieder auskommen.

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Es war dann auch immerhin 15 Jahre still um den verwegenen Grabräuber. Sein Selbstbild schien ohnehin immer weniger in die Zeit zu passen. Während allerorten heftig über Restitutionsansprüche und Dekolonialisierung diskutiert wird, wirkt ein Kinoheld deplatziert, der tief im Inneren verborgener Tempel nach letzten Schätzen indigener Völker sucht.

Sein Satz „Das gehört in ein Museum“ hat jedenfalls seinen idealistischen Charme verloren. Denn dass zu seinem Erscheinungsbild stets auch die obligatorische Umhängetasche gehörte, in die er kulturelle Kostbarkeiten stopfte und leichter Hand davonschleppte, machte klar, welche Art Museum er im Sinn hatte. Und die Sache wurde nicht unbedingt besser dadurch, dass der schlagfertige Professor die Schätze vor noch skrupelloseren Gesellen in Sicherheit zu bringen hoffte. Befand er sich stets doch bloß in einem Wettlauf mit seinesgleichen.

Warum also eine Rückkehr?

Als Harrison Ford die Rolle des Indiana Jones Anfang der achtziger Jahre annahm, da gehörte er zur Truppe um George Lucas, in dessen „Star Wars“-Trilogie er als Han Solo Kultstatus erlangt hatte. Doch erst das moderne Märchen des Indiana Jones, das Lucas’ Faszination für das absolute Böse – in Gestalt von Nazis –, für exotische Settings, magische Rituale, für Tempel und Grabstätten bündelte, machte Ford zu einem Superstar. Es spannte ihn allerdings gleich in das nächste Serienprodukt ein. So wie er schließlich im Schlussakt von „Star Wars“ noch mal als väterliche Figur auftrat und starb, scheint er seine serielle Existenz auch im Lederjacken-Kostüm des Grabräubers zu einem versöhnlichen Ende führen zu wollen.

Immer noch gut zu Fuß, auch mit über 80. Indiana Jones auf einer Yorker Konfettiparade für die Mond-Heimkehrer.
Immer noch gut zu Fuß, auch mit über 80. Indiana Jones auf einer Yorker Konfettiparade für die Mond-Heimkehrer.

© Jonathan Olley / Lucasfilm Ltd./Jonathan Olley

Doch was könnte der Figur noch hinzugefügt werden, das die Legende nicht verrät und zeitgemäß genug ist? Und wie mit dem hohen Alter des Hauptdarstellers umgehen, der schon vor Drehbeginn verkündete, dass es definitiv keine weitere Fortsetzung geben werde? Ein letzter Akt also, mit einem Schatz der Schätze?

Die goldene Steven-Spielberg-Formel

Regisseur James Mangold („Walk The Line“, „Le Mans 66“) beweist viel Geschick darin, die Ikonografie des Indiana-Jones-Kosmos um neue Figuren und historische Schichten zu erweitern. Ihm gelingt das Unmögliche: die stilbildende Handschrift des Übervaters Steven Spielberg fortzuführen, der sämtliche Indiana-Jones-Filme bisher verantwortet hatte und erst kurz vor Drehbeginn von dem Projekt zurücktrat. Das geht bis in kleinste Details hinein. Etwa wie sich die Kamera durch Actionszenen bewegt, wie sie an Bösewichter heranfährt. Wie tragende Personen trotz aller Popcornhaftigkeit des Plots als echte Charaktere erkennbar bleiben. Wie bei jeder Schlägerei immernoch Zeit für eine ironische Bemerkung bleibt.

Schon der Auftakt ist noch einmal ein rasantes Indy-gegen-Nazis-Spektakel. Schauplatz: eine österreichische Burg gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, in der Kulturgüter ausgelagert wurden. Eine SS-Einheit sucht zwischen den Kisten fieberhaft nach einem Objekt, das der Führer in seinen Besitz bringen will. Wie sich herausstellt, handelt es sich um nichts Geringeres als die Spitze jener Lanze, mit der auf Golgatha Jesus’ Leib aufgeritzt wurde. Die Reliquie soll, wohl wegen des heiligen Blutes, unermessliche Macht verleihen.

Das kannst du nicht behalten, das gehört in ein Museum

Indiana Jones, diesmal auch als Lebensbilanz

Und mittendrin der amerikanische Professor Jones, in deutscher Uniform, wundersam verjüngt und auf das Alter von Harrison Ford im Jahr 1981 gebracht – als er den Nazi-Schergen in „Jäger des verlorenen Schatzes“ die Bundeslade abspenstig machte. Dafür hat Disney aus zahllosen Bildern aus früheren Harrison-Ford-Filmen einen originalgetreuen digitalen Avatar errechnet. Der Effekt ist frappierend.

Von der Oberfläche des Monds in die Höhle des Dionysos

Natürlich ist Indiana Jones hinter derselben Speerspitze her wie das von Thomas Kretschmann angeführte SS-Sonderkommando. Als er sie zu fassen kriegt, so viel sei von dieser Ouvertüre verraten, erkennt er sie jedoch sogleich als „Fake“.

Das ist ein frühes, raffiniertes Echo auf die Gegenwart. Wie der Film überhaupt immer wieder geschickt Bezüge ins Heute herstellt. Etwa indem er populistische Geschichtsfälschungen und den verloren gehenden Glauben an reale Ereignisse nicht nur als Angriff auf die Wissenschaft (des Historikers Indiana Jones) darstellt, sondern sie mit dem Versprechen an überlegene Technologie verknüpft. Denn „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ spielt zur Zeit der Mondlandung. Die USA befinden sich in Aufbruchstimmung, drei der ihren haben erstmals eine Welt außerhalb der irdischen betreten. Was sollte Amerikas Optimismus jetzt bremsen?

Mit Hut und Peitsche und gelegentlich einem Schwert, so kennt man den Draufgänger (Harrison Ford).
Mit Hut und Peitsche und gelegentlich einem Schwert, so kennt man den Draufgänger (Harrison Ford).

© imago images/Everett Collection/Paramount/Courtesy Everett Collection via www.imago-images.de

Derweil erhebt sich Indy mühsam aus einem Bett, das unverkennbar das Lager eines alten Mannes ist: zerzauste Haare, faltiger Körper, von der Zeit eingeholt. Er brüllt aus dem Fenster, weil die Hippies nebenan zu laut sind; der seine schlechte Laune vor niemandem verbirgt, da er sie für berechtigt hält. Seine frühere manische Leidenschaft blitzt nur einmal auf, als er im Hörsaal von den Errungenschaften des griechischen Mathematikers Archimedes schwärmt. Niemand hört dem alten Kauz zu.

Was verbirgt sich hinter der Antikythera von Archimedes?

Dass in diesem Hörsaal allerdings die Tochter eines ehemaligen Gefährten auftaucht, bringt die Geschichte ins Rollen. In einem Moment der Schwäche – oder weil er in der jungen Frau (Phoebe Waller-Bridge) das Kind sieht, das er nicht mehr hat –, weiht er sie in ein Geheimnis ein: Er habe die von den Nazis erbeutete eine Hälfte des Mechanismus von Antikythera nicht wie versprochen vernichtet, sondern aufbewahrt.

Von diesem Punkt an ist die Jagd nach jenem Wunderding eröffnet, das früheren Trophäen der Serie an Schrecken und magischem Zauber, in nichts nachsteht. Nur Indiana Jones ist eben nicht mehr der Alte. Und das wird wunderbar einfühlsam erzählt. Bei Raufereien tut er sich erkennbar schwerer, er humpelt leicht. Meistens haut ihn jemand anderes raus.

Doch eröffnet diese körperliche Hinfälligkeit den Blick auf eine zentrale Frage – nämlich die, für was es sich weiterzuleben lohnen würde. Dass die antiken Schätze dabei für Indiana Jones an Bedeutung verlieren, wird sinnfällig, als er im Archiv seines Instituts einmal Regale mit Fundstücken wie Dominosteine umstürzt, und über die Scherben hinweg zu entkommen versucht. Aber wenn es die alten Dinge nicht mehr sind, was den Kenner untergegangener Reiche an die Gegenwart bindet, was dann?

Hoch zu Pferd – durch den New Yorker Konfettiregen

Seinem Höhepunkt strebt diese Fragestellung in dem Moment zu, da sich der Archäologe, und mehr sei nicht gesagt, leibhaftig in das Altertum versetzt sieht, das er nur aus Büchern und Bruchstücken kennt. Als der Pensionär angefleht wird, sich loszureißen und heimzukehren, da fragt er: „Für wen?“

Er hätte auch fragen können: „Wozu?“ Und es wäre die Frage nach einem Sinn gewesen. Für wen?, ist die Frage eines Menschen, der wider Willen zum Einzelgänger wurde.

Das ist ziemlich traurig.

Denn Harrison Ford hat seine Figur bis dahin aus dem Korsett der Klischees herausgeführt, und zwar durch den Trick, sie alle erfüllt zu haben - mit turbulenten Verfolgungsjagden, akrobatischen Luftnummern, lockeren Sprüchen und jeder Menge ekliger Kriechtiere, die in Höhlen aus verborgenen Ritzen krabbeln.

Das Autorentrio Jez und John-Henry Butterworth sowie David Koepp, das Regisseur Mangold beim Schreiben gehoplfen hat, lässt ständig Referenzen auf frühere Filme anklingen, die es lustvoll variiert. Einmal schnappt sich Indy wieder mal ein Pferd, um in wildem Galopp seinen Häschern zu entkommen – doch statt erneut durch eine Wüstenschlucht zu hasten, stört er nur die New Yorker Konfettiparade zu Ehren der Mondfahrer, deren Teilnehmer ihn, als er ihre offene Limousine passiert, entgeistert anstarren. Ein klassischer Steven-Spielberg-Moment.

Wie der Junior so der Senior

Am Ende sieht Indiana Jones seinen Widersacher (Mads Mikkelsen in der Rolle des diabolischen Nazi-Schergen) das Schicksal ereilen, das eigentlich ihm bestimmt war. Aber diesmal reicht es nicht, mit dem Leben davongekommen zu sein.

Die Frage, was gerettet wird, wenn man sich selbst rettet, beantwortet Hollywood meistens mit der Familie. Und eine verkappte Familensaga ist – wie alle Erfindungen von George Lucas und Steven Spielberg – auch die Indiana-Jones-Pentalogie.

In „Der letzte Kreuzzug“ hatte sich Jones Jr. 1989 mit dem Eigensinn seines noch manischeren Vaters (Sean Connery) auseinandersetzen müssen. 2008 folgte die Versöhnung mit dem Sohn und dessen kratzbürstiger Mutter in „Königreich des Kristallschädels“. Doch das Schicksal, von dem diesmal die Rede ist, hat keine spirituelle Dimension. Es wird durch Bindung bestimmt. Man könnte auch sagen: durch eine Liebe, die ein Achäologe auch zu Dingen niemals aufbauen könnte, und seien diese noch so wertvoll.

Das mag ein sentimentaler Ausklang sein. Wenn man bedenkt, wie viel auch hätte falsch gemacht werden können bei einem Großprojekt dieser Art – und in den allermeisten Retro-Franchises auch falsch gemacht wird –, dann ist dieses letzte Kapitel der Erfolgsstory allerdings sehr gelungen. Aus dem Setzbaukasten der Mythen-Lehre, wie George Lucas sie seit „Star Wars“ beherzigt, wurde ein belesener Superheld, und darf nun ein emeritierter Eigenbrötler werden, dem eine kleine Chance auf einen Neuanfang gegeben wird.

Das Leben, das dieser Neuanfang in Aussicht stellt, braucht keine Aufregung mehr. Fürs Kino ist es verloren.

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