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Nur als „Deko-Objekt“ behandelt?

© dpa

Ai Weiwei zurück in Berlin: „Die Deutschen haben nichts gelernt aus der Vergangenheit“

Ai Weiwei präsentiert in Berlin eine Reihe mit seinen Filmen, die nächste Woche im Kino Babylon zu sehen ist – und schimpft erneut auf die Deutschen.

Drei Filme, die er über Flüchtlinge gemacht habe, seien von der Berlinale nicht angenommen worden, sagt Ai Weiwei an diesem Montagvormittag. Der chinesische Dissident, der vor ein paar Monaten nach Cambridge gezogen ist, weil er sich in Berlin ausgegrenzt fühlte, ist für ein paar Tage zurück in der Stadt. Jetzt gibt er im Halbstundentakt Interviews. Ab kommenden Sonntag sind im Kino Babylon rund 50 Filme von und über ihn zu sehen. („Censored: Ai Weiwei's films“, Werkschau vom 19. bis 24. Februar) Fast alles, was er seit 2003 gedreht hat. Organisiert hat der Künstler das zusammen mit der Organisation Cinema for Peace.

Will er es der Berlinale zeigen? „Ja, ich tue das aus Protest“, sagt Ai Weiwei in seinem tief unter der Erde liegenden Atelier am Pfefferberg in Prenzlauer Berg, das er trotz seines Wegzugs erst einmal behalten hat. „Ich will, dass meine Stimme gehört wird“. Kein Protest gegen Deutschland sei das, sondern gegen autoritäre Staaten an sich. „Kein Staat sollte ein Individuum unterschätzen.“

„Kein Staat sollte ein Individuum unterschätzen.“

Zusätzlich zur großen Filmschau im Babylon soll an diesem Dienstagvormittag, den 11. Februar, Ai Weiweis Projekt mit dem Baumarkt Hornbach vorgestellt werden. Irgendetwas mit Do-it-Yourself-Kunst und Schwimmwesten. Mehr wurde am Montag nicht verraten. Am Dienstag kommen schließlich wieder zahlreiche Medienvertreter. Dieses Mal ging es abermals um die Sicht des chinesischen Künstlers auf die Deutschen. Gelegt hat sich seine Wut nicht.

Als Ai Weiwei den Deutschen in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ Ausländerfeindlichkeit und Nazismus attestierte, hat das viele Menschen bewegt. Die Reaktionen reichten von „recht hat er“ bis „soll er doch abhauen“.

Also: Sind wir Deutschen wirklich so schlimm? Ja, daran lässt der Künstler keinen Zweifel. „Die Menschen sagen ,Hau ab, geh zurück nach China!’ oder sie sagen ,Die Taxifahrer, die mich beleidigt haben, repräsentieren nicht Deutschland, Berlin repräsentiert nicht Deutschland.’ Das sind merkwürdige Argumente, ich kann mit solchen Leuten nicht einmal streiten. Warum steht der Taxifahrer, der hier geboren ist und in der zweiten oder dritten Generation hier lebt, nicht für Deutschland?"

Gelegt hat sich seine Wut nicht

Ai Weiwei erzählt, er habe selbst Taxifahrer in Berlin interviewt und Schockierendes erfahren. Die Deutschen würden so tun, als seien sie freundlich. Aber im Grunde hassten sie Ausländer. „Sie sind unmenschlich, und sie lieben es, andere Menschen zu erziehen. Sie denken in Deutschland gelten die höchsten Standards, sie sehen sich als Elite, lernen nichts aus der Vergangenheit“, sagt er. Und dass das Gedankengut Hitlers überall noch zu finden sei. Wumms. Das sitzt.

Als Beispiel bringt er einen Vorfall aus seinem eigenen Alltag. Beim Ausflug in einen Park habe sein mittlerweile zehnjähriger Sohn mit Flaschen gespielt, die er irgendwo gefunden hat. „,Bringen Sie Ihrem Sohn bei, dass man die Flaschen in den Mülleimer wirft’, riefen die Leute vom Eisstand herüber. Keine andere Nation würde sich so verhalten und in der Öffentlichkeit herumschreien. Sie wären respektvoller", sagt Ai Weiwei. Und bei den rücksichtslosen Berliner Fahrradfahrern, die sich verhalten als würden sie „Monsterautos“ fahren, geht es für ihn gerade weiter.

Der chinesische Künstler hat oft wiederholt, dass er in Deutschland wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse vom Diskurs ausgeschlossen gewesen sei. Dass er an den Diskussionen nicht teilnehmen konnte, habe ihn seiner Funktion beraubt. Er sei dadurch zum reinen „Deko-Objekt“ geworden, so hat er das einmal in einem früheren Interview formuliert.

„Ich bin ein Mensch, ich will integriert werden"

Bei den pauschal formulierten Urteilen, die er vorbringt, fragt man sich: Ist er überhaupt noch an einem Austausch über Ausländerfeindlichkeit und das Zusammenleben interessiert? Oder will er einfach provozieren? Kränken, weil man ihn gekränkt hat?

„Natürlich bin ich am Diskurs interessiert“, sagt er. „Ich bin ein Mensch, ich will integriert werden. Die Sprache ist das wichtigste Instrument unseres Denkens und unseres Ausdrucks. Ich werde hier wie ein Mensch mit Behinderung behandelt, weil ich die Sprache nicht spreche.“

Ai Weiweis Mittel, um sich Gehör zu verschaffen, sind nun seine Filme. Deshalb trifft es ihn umso mehr, dass die Berlinale seine Filme rund um Flüchtlingsthemen nicht zeigt. „Schon drei meiner Filme sind nicht gezeigt worden“, sagt er. „Aus Angst, es sich mit chinesischen Geldgebern und der chinesischen Regierung zu versauen.“ Die Berlinale-Leiter haben das mehrfach bestritten. In diesem Jahr sei sein Film „Vivos“ über 43 verschwundene Studenten in Mexiko, den er 2019 fertiggestellt hat, nicht angenommen worden, entgegnet Ai Weiwei. „Ich bin ein Dissident aus China, ich arbeite hart an diesen Filmen. Das Festival zeigt 400 Filme und kann den einen nicht zeigen? Und das schon zum dritten Mal. Denken Sie das ist normal? Dann liege ich wohl einfach völlig falsch.“

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"Die Berlinale zeigt 400 Filme und kann meinen nicht zeigen?"

Die Berlinale gilt als politisches Festival. 2019 wurden die Hauptdarsteller und die Hauptdarstellerin des chinesischen Films „So Long, My Son“, der unter anderem die Ein-Kind-Politik kritisierte, mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. „Es sind gute Filme, aber sie haben alle das sogenannte Drachen-Siegel der chinesischen Zensurbehörde“, sagt Ai Weiwei. Er sei sich ganz sicher, der Regisseur von „So Long, My Son“, Wang Xiaoshuai, sei ein enger Freund.

Ai Weiweis Filme haben das Siegel nicht. Brauchen sie als Berliner oder europäische Produktionen auch nicht. Dennoch würde er deshalb ausgegrenzt.

Immer wieder deutet er an, dass der lange Arm von China bis in die deutsche und amerikanische Filmindustrie reiche. Die großen Filmstudios seien auf den chinesischen Markt angewiesen, und ohne die großen Filmstudios gäbe es auch keine Festivals. Und dann verweist Ai Weiwei auf Richard Gere und Sharon Stone, die wegen ihrer Sympathie für den Dalai Lama keine Rollen in Hollywood-Produktionen mehr bekämen.

Die halbe Stunde ist um, und schon steht der nächste Kollege in Ai Weiweis Atelier im Pfefferberg, um ihn zu interviewen.

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