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Wandverkleidung in leuchtendem Blau. Eine Bleistiftzeichnung des von Alvar Aalto entworfenen Opern- und Musiktheaters Essen von 1959.

© Alvar Aalto/Alvar Aalto Foundation/Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnung, Berlin

Alvar Aalto im Museum für Architekturzeichnung: Gestrichelte Gedanken

Der finnische Architekt Alvar Aalto gehört zu den Hauptvertretern der Moderne. Er entwarf Begegnungsräume für Menschen. Die Tchoban Foundation zeigt seine Zeichnungen.

Von Bernhard Schulz

Der Name Alvar Aalto ist heute längst nicht mehr geläufig, und wenn, dann in Verbindung mit der gläsernen Vase in unregelmäßig gerundeter Form, die zum Inbegriff finnischen Designs geworden ist. Sie stammt aus dem Jahr 1936. In Deutschland, dessen Sprache der Architekt zur Zeit des Ersten Weltkriegs auf der Schule gelernt und das er danach mehrfach besucht hatte, kam die Zeit seiner Wirksamkeit erst nach dem Zweiten Krieg, als der Wiederaufbau zahlreiche Baumeister aus dem Ausland anzog, um neue und betont menschenfreundliche Ideen zu verwirklichen. Aaltos Architektur, in den Fachzeitschriften eifrig rezipiert, bot sich zumal öffentlichen Auftraggebern als Gegenposition zum amerikanisch dominierten Funktionalismus geradezu an.

In der jungen Bundesrepublik hat Aalto über ein Dutzend Vorhaben bearbeitet, wovon die Hälfte ausgeführt wurde. Die Entstehung dieser Entwürfe insbesondere in ihren allerersten Skizzen ist nun zum ersten Mal im Zusammenhang zu betrachten. Dem Museum für Architekturzeichnung der Tchoban Foundation ist es gelungen, 70 Blätter aus der Alvar Aalto Foundation auszuleihen und nach einem von Sofia Singler erarbeiteten und mit einem umfangreichen Katalogtext begleiteten Konzept vorzustellen.

Liebhaber einer architektonischen wie zeichnerischen „Handschrift“ werden im ersten Moment womöglich enttäuscht sein. Denn welches Scribble auf den weißen, teils meterlangen Papierbögen vom Meister selbst stammt oder aber von den zahlreichen Mitarbeitern seines Büros, ist nirgends gekennzeichnet und lässt sich jedenfalls vom unkundigen Betrachter nicht ausmachen. Da geht alles munter durcheinander, kleine Skizzen, Detailstudien, Zahlenangaben und kryptische Wortmitteilungen. Zumal die langen Papierbahnen haben etwas von écriture automatique, jenem unbewussten Hervorquellen von Gedanken und Eingebungen, das die Surrealisten zu ihrem Programm erhoben.

In der Tat ließ Aalto derlei zu, zumindest im Frühstadium der Entwurfsfindung, und dass seine Bauten so abwechslungsreich und voneinander verschieden gerieten, hat ohne Zweifel auch damit zu tun. Aalto, dessen Name doch viele Jahre lang in einem Atemzug mit denjenigen von Gropius, Le Corbusier und Mies van der Rohe als der eines Hauptvertreters der Moderne genannt wurde, suchte gerade nicht die universelle Sprache, in deren Syntax sich alle seine Bauten einzufügen hatten.

Gemeinschaftserlebnis Theater oder Gotteshäuser

So unterscheiden sich denn auch die bundesdeutschen Vorhaben durchaus. Die realisierten lassen sich drei Aufgaben zuordnen: Wohnbauten, Kirchen und Gemeindezentren sowie Kulturbauten. Unrealisiert blieben weitere Entwürfe in diesen Kategorien und zudem zwei Bürohäuser, ein Gebäudetyp, der in Aaltos fünf Jahrzehnte umspannendem Lebenswerk keine besondere Rolle spielt.

Aalto war der Architekt des in vollstem Sinne öffentlichen Raumes, des Raumes für Menschen, die einander sei's zwanglos begegnen, sei's am Gemeinschaftserlebnis von Theater oder Gottesdienst teilhaben.

Ein Wohnblock im Hansaviertel

In Berlin hat sich Aalto mit seinem Wohnblock im Hansaviertel verewigt. Die Einladung zur für 1957 angesetzten „Interbau“ verstand sich von selbst, um so mehr, als der finnische Architekt stets die Einbeziehung der Natur in den Lebensraum der Bewohner gesucht hatte, ein Kernthema des neuen Hansaviertels.

Auf den Zeichnungen der Ausstellung ist das zu erahnen. Daneben stehen Blätter eines späteren Entwurfsstadiums, die einen exakten Erdgeschossgrundriss sowie einen Fassadenaufriss zeigen, dieser auch mit angedeuteter Farbigkeit. Deren Fehlen auf nahezu allen Blättern überrascht, ist doch Aalto neben den gleißend hellen Wandverkleidungen später Projekte durchaus für kräftige Farben, besonders ein intensiv leuchtendes Blau bekannt, wie im Zuschauerraum des erst postum 1988 fertiggestellten, mit seinem Namen versehenenen Operntheaters in Essen.

Das übrigens wurde dank seiner zweiten Frau Elissa fertiggestellt, die nach Alvars Tod 1976 alle begonnenen Projekte zu Ende führte und schließlich für die Einrichtung der Stiftung sorgte, die das Lebenswerk des finnischen Architekten bewahrt. Erstaunlich genug, dass die manchmal mit fester, manchmal mit zittriger Hand hingeworfenen Zeichnungen überhaupt bewahrt wurden.

Auf einem Blatt für das Stadtzentrum von Wolfsburg – eines Vorhabens, dessen Wettbewerb Aalto einmal nicht gewann – findet sich der Name „Giedeon“, mit fehlerhaftem zweiten „e“, wenn denn der notorische Herold der internationalen Moderne, Sigfried Giedion, gemeint sein sollte. Es sind solche Petitessen, die den Blättern neben ihrem zeitlosen ästhetischen Reiz den Rang von Zeitdokumenten geben. An den Skizzen von Aalto und seinem Team lässt sich erkennen, dass die zeichnende Hand als Werkzeug des Denkens und Fühlens niemals ersetzt werden kann.

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