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Kultur: Ans Licht geholt

Kunst muss politisch sein: Hans Haacke wird mit einer Berlin-Hamburger Retrospektive geehrt

„Ich will Auseinandersetzung, nicht Verehrung“, hat Hans Haacke dieser Tage noch einmal betont. So kennt ihn der Kunstbetrieb: als den Verächter von dessen bewusstloser Verwertungsmaschinerie, als den Verweigerer, der lieber auf Ausstellungen in Museen verzichtet, als seinen aufklärerischen Anspruch zurückzunehmen. „Mir ist wichtig, dass meine Arbeit von Betrachtern, die sich darauf einlassen, verstanden wird.“

Wer ließe sich nicht von solcher Emphase begeistern! Doch steckt in diesem Satz auch die Kehrseite – der Makel, der Haackes Installationen stets angehängt wird: dass sie Verstandesarbeiten sind, didaktische Arrangements, nicht aber sinnlich wirkende Kunst. Das Problem verschärft sich, wenn die Arbeiten zu politischen, ökonomischen und kunstbetrieblichen Themen historisch werden und ihr jeweiliger Anlass sich aus dem öffentlichen Bewusstsein verliert. Haackes Arbeiten waren stets ort- und zeitbezogen, im besten Sinne aktuell – nun aber wird dem Künstler, der unlängst seinen 70. Geburtstag feierte, erstmals eine museale Retrospektive zuteil, gleich an zwei Orten, in den Hamburger Deichtorhallen und von heute an in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz.

Das passt, wie der Zufall es will, wunderbar zur Präsidentschaft von Klaus Staeck, Haackes Bruder im Geiste, der die Akademie wieder zu einem Ort politischer Diskussion machen will. Und wie stets hat Haacke, der seit 1965 in New York lebende gebürtige Kölner, eine frische Arbeit beigesteuert. An der Glasfassade des Behnisch-Baus hat er, akribisch recherchiert, die Namen und Lebensdaten von 46 hierzulande umgebrachten Ausländern angeheftet, versehen mit dem Schriftzug „Weil sie nicht deutsch aussahen“. Kein unmittelbar ad personam gerichteter Vorwurf, keine politische Attacke, sondern eine Feststellung ist diese Arbeit unter dem Titel „Kein schöner Land“: eine Erschütterung. Haacke, stets als „politischer Künstler“ rubriziert, ist zuallererst ein großer Moralist.

Das schließt die politische Provokation nicht aus. Doch zu einer solchen werden die Recherche und die ins Kunstwerk übersetzte Tatsachenfeststellung stets erst durch die Reaktion derer, die sich getroffen fühlen. Ein wunderbares Beispiel dafür findet sich unweit des Akademie-Glaspalastes, im südlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes, wo der erdgefüllte Trog mit dem Schriftzug „Der Bevölkerung“ wütende Proteste konservativer Abgeordneter hervorrief, die den – typographisch gleichartigen – Widmungsspruch des Gebäudes, „Dem Deutschen Volke“, verhöhnt fanden. In der Akademie macht Haacke daraus eine Neuinstallation, indem er unter einem Foto des Reichstagsgiebels einen Bildschirm mit der damaligen Bundestagsdebatte laufen lässt.

Eine Sternstunde für den Künstler muss das gewesen sein, noch dazu mit dem hauchdünnen Abstimmungsergebnis für die schlussendliche Installation von 260 zu 258 Stimmen. Heute stört sich kein einziger Abgeordneter mehr an dem allmählich zugewachsenen Trog mit Erde aus allen Wahlkreisen, und Haackes – beinahe melancholischer – Kommentar gestern galt allein dem eingesäten Brombeerstrauch, der nun schon zwei Buchstaben der Inschrift überwuchert.

Haacke hat überhaupt etwas gänzlich Unaufgeregtes. Er hat in den frühen sechziger Jahren mit Arbeiten begonnen, die physikalischen Phänomenen gewidmet waren, dem Wind etwa oder dem Kreislauf des Wassers, und diese im Umfeld der rheinischen „Zero“-Gruppe angesiedelten Werke sind jetzt leichthändig in die beiden Ausstellungsteile eingewoben. Es sind Versuchsanordnungen – wie im Grunde auch die späteren politischen Arbeiten. Nur stellt Haacke mit ihnen nicht länger die Natur, sondern die Gesellschaft auf die Probe.

Und wie sie reagiert, vor allem die so genannte bessere Gesellschaft, das hat oft genug seine schlimmsten Erwartungen übertroffen. Regelmäßig fühlten sich Museumssponsoren oder Firmenvertreter auf den Schlips getreten, wenn er schlichtweg aussprach, was sie zu verschleiern suchten. So begann überhaupt seine eigentliche Karriere im Kunstbetrieb: indem er offen legte, welche wirtschaftlichen Interessen und Verflechtungen hinter dem ach so generösen Engagement reicher Gönner steckte. Mit der Dokumentation eines New Yorker Immobilienimperiums unter dem Titel „Shapolsky et al.“ machte er sich das Guggenheim Museum zum Feind, das ihm 1971 eine Einzelausstellung einrichten wollte. Als Haacke auf das geradezu minimalistisch-karge Werk aus Fotografien der heruntergekommenen Häuser und zugehörigen Auszügen des New Yorker Grundbuches nicht verzichten wollte, blies das Museum die Ausstellung ab. Haacke wurde schlagartig berühmt.

Man sollte meinen, dass sich kein weiteres Haus derart bloßstellen wollte. Doch in Köln ging’s drei Jahre später genauso zu, als seine Dokumentation der Eigentümergeschichte einer stolzen Kölner Museumserwerbung, Edouard Manets „Spargelstillleben“, wegen der Nennung des Gönners Hermann J. Abs zurückgewiesen wurde. Manets Gemälde hat einmal Max Liebermann gehört – und so hängt Haackes Arbeit jetzt in der Akademie am denkbar geeignetsten Platz.

Während sich der Berliner Ausstellungsteil auf die dezidiert politischen Arbeiten konzentriert, von denen manche nur mehr in Fotografien überliefert sind, zeigt Hamburg die Arbeiten zur Verflechtung von Wirtschaft und Politik. Allein fünf Installationen befassen sich mit Südafrikas Apartheid. Sind sie darum gestrig geworden? Nicht, wenn man sie, abgelöst von ihrer historisch gewordenen Aussage, auf die sorgfältige künstlerische Komposition hin untersucht, auf das Zusammenspiel von Bild, Schrift, Objekten, in manchen Fällen auch nachgeahmten Gemälden. Gerade der milde Firnis, den der historische Abstand über die Arbeiten legt, lässt sie nun als Kunstwerke umso deutlicher erkennen.

Ihre Wirkung auf nachfolgende Künstlergenerationen, aber mehr noch auf den Kunstbetrieb und das Selbstverständnis seiner Akteure kann wohl kaum überschätzt werden. Die überaus prominente Platzierung einzelner Installationen – so war Haacke dreimal in der Kasseler documenta vertreten – hat ihnen eine Dauerexistenz im Bildervorrat des Jahrhunderts verschafft. Für die beklemmende Arbeit „Germania“ im Deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig 1993 erhielt er den Goldenen Löwen.

Haacke glaubt an das zoon politikon im Bürger, der sich der Missstände annimmt und das Unrecht anprangert. Das kann nicht in jedem einzelnen Werk funktionieren. So ist ihm der Umgang mit der US-Politik im Nahen Osten in seinen jüngsten Arbeiten wie „State of the Nation“ von 2005 nicht überzeugend gelungen. Hübsch sieht es aus, das zerrissene Sternenbanner an der Wand, plakativ auch der Guantanamo-Kopfüberzug mit Sternen auf blauem Grund. Aber eben auch arg allgemein. Gerade die nimmermüde Archivarbeit, die Haacke zumal in seinen Arbeiten zur Liaison von Geld und Kunst betrieben hat, geben den besten Arbeiten erst ihre bohrende Spitze.

In der großen Hamburger Deichtorhalle wellt sich weißer Stoff im Luftstrom eines Ventilators. „Weites weißes Fließen“ heißt diese poetisch-stille Arbeit von 1967. In diesem Jahrzehnt wurzelt Haackes Künstlerschaft. Sofort denkt man an Christo, den Zeitgenossen Haackes – und erkennt, dass beide demselben Impetus gefolgt sind, die Kunst zu öffnen und den Begriff des „Werkes“ radikal zu ändern. Beide haben die Kunst in die Mitte der Gesellschaft gerückt, auf ganz unterschiedlichen Wegen, aber so, dass man sie nicht länger ignorieren kann. Das wird als Haackes Leistung überdauern, mögen auch die politischen Anlässe selbst dereinst nur noch aus dem Geschichtsbuch zu entziffern sein.

Berlin, Akademie der Künste, Pariser Platz 4, bis 14. Januar. Hamburg, Deichtorhallen, bis 4. Februar. Katalog im Richter Verlag, 39 €. – Bilder im Internet unter www.tagesspiegel.de/fotostrecken

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