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Aus Holz und Lehm: Kapelle der Versöhnung am ehemaligen Mauerstreifen in der Bernauer Straße.

© Bruno Klomfar

Ausstellung Berlinische Galerie: Bauen im Einklang mit der Natur

Mit Pilz, Baum und Lehm: Die Berlinische Galerie stellt in der Ausstellung „Closer to Nature“ alternative Baumaterialien vor. Das heißt auch, weg vom Beton.

Auf den Großbaustellen Berlins wird Beton in rauen Mengen verbraten, als könnte es gar nicht anders sein. Klimaschädlich ist das Zeug, aufgrund des enormen Energieverbrauchs bei der Herstellung. Seinen Heldenstatus als Alleskönner der modernen Architektur hat der graue Werkstoff ohnehin längst verloren. Gibt es sonst keine Optionen?

Bauen mit Pilz, Baum, Lehm“ stellt einige vor. Die Architekturabteilung der Berlinischen Galerie will in die Zukunft blicken, nicht zurück. Das hauseigene Fotokunst-Archiv steuert trotzdem etwas bei, nämlich den Ausgangspunkt. Schwarz-Weiß-Serien von Elisabeth Niggemeyer und Ulrich Wüst zeigen Abstandsgrün, vereinsamte Bäume auf verlorenem Posten, aus Ritzen im Asphalt drängenden Wildwuchs. Bislang stehen sich Natur und Architektur meist als Kontrahenten gegenüber: in Konkurrenz und Feindschaft, eins gewillt, das andere zu verdrängen, einzuengen, auszumerzen oder zu überwuchern.

Natürlich hat der Mensch die Mittel, das Wachsende zu beherrschen. Aber diese Strategie ist am Ende. 45 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes bewirkt die Bauwirtschaft. Das unablässige Abreißen und Neuerrichten ist nicht mehr tragfähig für die Zukunft. Warum nicht, so fragt die Ausstellung, mit der Natur kooperieren und ausnutzen, was sie beisteuern kann. Drei Ideen werden an Praxisbeispielen greifbar.

Stampflehm kann wiederverwendet werden

Beim Eintreten stellt sich eine massige Skulptur in den Weg: oberflächenrau, anfassbar und von kleinen Kieseln durchsetzt. Stampflehmspezialist Martin Rauch aus Vorarlberg erklärt, alles sei so verarbeitet, wie es aus der Erde kommt. Kein Müll fällt bei eventuellem Abriss an: Der Werkstoff kann geschlämmt und wieder verwendet oder schadlos in die Grube zurückgefüllt werden.

Ob man per Hand stampft oder maschinell, sei letztlich egal: „Das Ergebnis ist dasselbe.“ Die Probe aufs Exempel lieferte er in Berlin mit der Versöhnungskapelle auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße. Ursprünglich sollte das Gotteshaus auf ovalem Grundriss aus Stahlbeton und Glas errichtet werden. Der Pfarrer opponierte, heftiger Streit brach aus. Statt wieder Beton an die Stelle der verschwundenen Berliner Mauer zu setzen, griff man zu Holz und verdichteter Erde.

Berliner Kollektiv MY-CO-X hat aus Achteckmodulen ein Pilzhaus gebaut.
Berliner Kollektiv MY-CO-X hat aus Achteckmodulen ein Pilzhaus gebaut.

© Birke Weber

Ein Leuchtturmprojekt sei das, so Rauch. Stampflehm lebt, atmet und kann enorm Feuchtigkeit aufnehmen. Das älteste Baumaterial der Menschheit hat sich im Gegenwartsbauen wieder Anerkennung verschafft. Auch freitragende Wände sind damit möglich. Die Kapelle der Versöhnung bewies es, erstmals seit über 100 Jahren.

Mix aus Iglu und Drachenschwanz

Weit experimenteller steht das Pilzhaus da. Ein ziemliches Getüm hat das Berliner Kollektiv MY-CO-X aus Achteckmodulen zusammengeschraubt: Die gebogene Form gleicht einem Mix aus Iglu und Drachenschwanz. Wer sich der Schuhe entledigt, darf eintreten. Es duftet nach Stroh und Wald. Aber die Optik der samtig-hellen Pilzpaneele erinnert an Schimmel, an Camembert. Pilzforschung sei global stark im Kommen, aber noch wild am Experimentieren, erklärt das Schöpferteam aus MikrobiologInnen, KünstlerInnen und ArchitektInnen.

In der Praxis eignet sich das extrem leichtgewichtige Material wohl eher für Dämmplatten. Dazu wird ein Füllmaterial, in diesem Fall Hanffasern als Abfallprodukt aus der Agrarindustrie, dem Pilz zum Überwuchern zur Verfügung gestellt. Das dichte Pilzmyzel wirkt wie ein Klebstoff. Binnen zwei Wochen sei so ein Panel fertig, dann muss der Pilz leider sterben: Dazu wird alles auf 70 Grad erhitzt. Auch die Lampenschirme im Inneren wurden von Pilzen erschaffen.

Bäume haben ebenfalls das Potenzial, Bauten zu errichten. Sie dürfen dabei sogar weiterleben. Beim Wettbewerb für das 2019 eröffnete Futurium, nahe dem Hauptbahnhof, reichte das Architekturbüro ludwig.schoenle einen Entwurf ein, an dessen Realisierung Hainbuchen mitarbeiten sollten. Die wuchsfreudigen Stämme haben, wie man seit Jahrhunderten weiß, die Fähigkeit, miteinander zu verwachsen.

Feste Verbindungen aus zwei oder mehr Baumindividuen können kreuzweise oder ineinander verdreht entstehen. Das tun die Bäume natürlich nicht ganz freiwillig, sie werden von Baubotanik in Form gezwungen: wie einst in barocken Gartenanlagen, wo die Natur nach des Menschen Gusto wachsen musste. Ökobewusstes Neobarock? Klar ist: Biodiversität im Bauen tut not. So weiterbauen wie bisher geht nicht. Ob wir künftig im Baumhaus, im Pilzhaus oder im Lehmhaus sitzen: Entscheidend ist, dass ein Umdenken einsetzt. Jetzt.

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