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Bilderrätsel. Gail Rothschilds Gemälde „Head and Shoulders“.

© Gail Rothschild

Ausstellung im Bode-Museum: Die Fäden der Zeit lösen sich langsam auf

„Think Big!“: Die New Yorker Künstlerin Gail Rothschild lässt sich von antiken Textilien zu Vanitasbildern anregen.

Einer merkwürdigen Gestalt sieht sich der Betrachter gegenüber: Kopf, Hals und armloser Körper scheinen von einem Dekorband eingefasst, in der Silhouette des Torsos ist immer wieder eine Szene dargestellt, die nur schwer zu deuten ist. Sie erinnert an Max Ernsts Gemälde „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind“.

Von weitem sieht die Gestalt auf rotem Grund aus wie ein Teppich oder gewebtes Bild, aber es ist gemalt. „Head and Shoulders“ (2019) nennt die New Yorker Künstlerin Gail Rothschild ihr großformatiges Gemälde, das im Bode-Museum ausgestellt ist.

„Think Big! Gail Rothschild porträtiert spätantike Textilfunde aus Ägypten“ lautet der Ausstellungstitel. Die Anregung zu ihren Gemälden lieferte die reichhaltige Sammlung des Museums für Byzantinische Kunst, der größten Sammlung spätantiker Textilien aus Ägypten in Deutschland.

Sie geht zurück auf eine Schenkung Wilhelm von Bodes, der die 80 Textilien umfassende Sammlung des ehemaligen deutschen Konsuls in Kairo, Carl Reinhardt erwarb und dem Kaiser-Friedrich-Museum stiftete, um eine Abteilung spätantik-byzantinischer Kunst- und Alltagsobjekte einzurichten.

Weitere Schenkungen und Übernahmen aus dem Ägyptischen Museum wie Kunstgewerbemuseum ließen die Sammlung auf rund 2000 Objekte anwachsen.

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Für Gail Rothschild war sie eine Quelle der Inspiration. In den antiken Textilien verbinden sich für sie Malerei und physikalische Struktur. Die New Yorkerin hatte zunächst vorsichtig per Mail angefragt, ob sie die Sammlung sehen könnte – „und sie haben dann alle Schätze vor mir ausgebreitet“, erzählt sie glücklich von ihren Besuchen 2019 und 2020 in Berlin und freut sich, dass parallel die Originale in Vitrinen ausgestellt sind.

Die kräftigen Farben haben die Zeit erstaunlich gut überdauert

In der Mitte des Saals stehen die Vitrinen mit den kleinen textilen Kostbarkeiten aus dem 4. bis 9. Jahrhundert. Viele werden nach fast 120 Jahren erstmals ausgestellt. Die kräftigen Farben haben die Zeit erstaunlich gut überdauert. „Das liegt an dem trockenen und heißen Klima in Ägypten,“ erklärt die Restauratorin und Kuratorin Kathrin Mälck.

„Viele Textilien lagen im Sand, in Gräbern oder in Schutthalden und wurden so gut konserviert.“ Rundum an den Wänden hängen Rothschilds großformatige Gemälde wie „Shepherd’s Pie“ und laden zum Vergleich mit der entsprechenden Vorlage in der Vitrine ein.

Die Künstlerin tritt in einen Dialog mit den antiken Werken

Rothschilds vergrößerte Darstellung zeigt Strukturen und Gewebeebenen, oft liegt ihr Exponat auf einer weiteren gemalten Stoffebene. Die Künstlerin betont, dass sie nicht kopiere, sondern in einen Dialog mit den historischen Stücken eintrete, sodass sich ihr Werk vom Original entferne.

Auf diese Weise lenkt sie den Blick wieder zurück auf die antiken Artefakte. Es sind Alltagsgegenstände: das Stück einer Tunika, ein Zierstreifen, das Fragment eines Kleides. Motive sind unter anderem ein Fruchtkorb, Reiterszenen und eine biblische Szene.

[Bode-Museum, Museumsinsel, bis 31.10.; Di bis So 10 – 18 Uhr. Katalog (Verlag Schnell & Steiner) 15 €.]

Als Vorlage dient der Künstlerin ein Foto, dazu einige Detailaufnahmen. Dann beginnt sie mit dem Malen, bei dem sie darüber sinniert, wie sich das Gewebe und die einst gesponnnenen Fasern im Laufe der Zeit auflösen. „Meine Bilder stehen in der Tradition der Vanitasbilder, sie sprechen von Zeit“, sagt sie.

Die Ausstellung „Think Big!“ lässt das Museum für Byzantinische Kunst in einem anderen Licht erscheinen. Der Dialog zwischen antikem Objekt und moderner Interpretation macht neugierig auf mehr und animiert, die Sammlung neu zu entdecken.

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