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Environment von Malte Nies.

© Foto: Ars Sacrow

Ausstellung im Schloss Sacrow: Durchbruch in die dritte Dimension

Acht Künstler:innen untersuchen einen Genius Loci. Die Schau widmet sich Grenzenüberschreitungen von Kunst und Natur.

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Kraftvoll blauer Wellengang. Vom stolzen Segelschiff sind nur Fragmente übrig, vom grauen Himmel ein paar Splitter. Über zwei Drittel des Bildes zieht sich vergilbt-bräunlicher Firnis, nackter Untergrund. Die fehlenden Farbpartikel hat Marjolein Knottenbelt in ein kleines Schraubglas gefüllt und auf einen weißen Sockel vor das historische Seestück gestellt.

Noch radikaler gleich daneben der pure Malgrund. Die Farbteilchen, wiederum abgekratzt und verschlossen, präsentiert die holländische Konzeptkünstlerin auf dem Postament. Was bleibt, sind Fragen und unerhörte Geschichten. Die Patina von Jahrzehnten, Jahrhunderten vielleicht. Patina, die sich auch in den Schichten der Wände und Decken von Schloss Sacrow abgelagert hat.

„Grenzüberschreitungen“ heißt die Ausstellung, mit der der Verein Ars Sacrow seine Reihe „Museum für einen Sommer“ nach pandemiebedingter zweijähriger Pause fortsetzt. Die Sprengkraft, die dem Thema in den Avantgarden des 20. Jahrhunderts innewohnte, steht hier nicht im Fokus, sondern subtile Grenzlinien und Geschichten um das ursprüngliche Herrenhaus, das 1840 durch den Ankauf Friedrich Wilhelms IV. nobilitiert wurde.

Deutsche Geschichte wie unter dem Brennglas

Architektonisch besticht Schloss Sacrow nicht – trotz des Anbaus von Ludwig Persius, den der König auch mit der nahe gelegenen Heilandskirche beauftragt hatte. Dafür spiegelt das Gebäude, inmitten des von Peter Joseph Lenné angelegten Parks, die wechselhafte deutsche Geschichte wie unter dem Brennglas.

Inspiriert von Fotografien aus Mauerzeiten, als die Gemeinde im DDR-Sperrgebiet lag, rücken Daniela Meyer, Künstlerin und Kuratorin der Ausstellung, und acht internationale Kolleg:innen den Genius loci mit künstlerischen Grenzüberschreitungen ins Blickfeld.

Das wirkt bisweilen ein bisschen aus der Zeit gefallen. Doch bietet der morbide Charme des Ortes eine Steilvorlage für Arbeiten wie die Assemblagen von Philipp Donald Göbel, der seine eigene Malerei recycelt, oder die Raum-Installation „Voice over Troubled Water“ von Charlotte Malcolm-Smith, mit der die Schottin Grenzen zwischen Spiritualität und Wissenschaft auslotet.

Einst war das Schloss Unterkunft für Grenzsoldaten

Malte Nies präsentiert seine geheimnisvollen Fotografien in einer Installation zwischen Mobiliar und Accessoires im 1950er-Jahre-Ambiente. So oder ähnlich mag es hier ausgesehen haben, als das Schloss Unterkunft der Grenzsoldaten und Hundeführer war und die Mauer den Blick auf die Havel bis in den ersten Stock versperrte. Das Teleskop stammt freilich aus der Gegenwart, und eigentlich geht es dem Fotografen um die Pionierzeit der Astrofotografie und die Heisenberg’sche Unschärferelation.

Einen Kontrapunkt zur Dekonstruktion der Malerei von Marjolein Knottenbelt – die vielschichtige Erinnerungsbögen spannt und mit ihrem Upcycling alter Gemälde unseren Konsumismus hinterfragt - bildet der Raum von Tom Früchtl. Gestützt von zwei Dachlatten lehnt Verpackungsmüll eines riesigen Kühlschranks oder kinoleinwandgroßen TV-Geräts an der Wand. Erst bei näherer Betrachtung entpuppt sich der mit Öl und Epoxidharz bearbeitete Pappkarton als höchst akribische Malerei.

„Was drauf ist, ist auch drunter“, schmunzelt Früchtl und erweitert so Frank Stellas „What you see is what you see“ um den Faktor Fundstück. Wie Reminiszenzen an Marcel Duchamp erscheinen auch die kleine MDF-Platte, eine Wellpappe oder das mit Kreppband umwickelte Irgendwas. Für den 1966 in München geborenen Künstler, der ebenda an der Akademie der Bildenden Künste studiert hat, ist das „Malerei im Kleidchen von Ready Mades“.

Was drauf ist, ist auch drunter.

Tom Früchtl, Künstler

Mit geradezu absurder Akribie holt Früchtl die Strukturen der Bildträger malerisch an die Oberfläche. Kitzelt mit seinem Prinzip der Wiederholung den Denkraum zwischen Trash, genialischem Kunsttun und dem Ausstellungswesen heraus. Mit Witz und Chuzpe – schließlich müssen wir uns den „Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, wusste schon Albert Camus.

„Floramorphismus“ nennt Antje Tschirner ihren wunderbar konstruktiven Ansatz der Grenzüberschreitung. Ein schönes Sinnbild für den Prozess, mit dem sich die Natur menschengemachte Grenzräume zurückerobert: In zwei großformatigen Abstraktionen durchbricht die 1977 in Zwickau geborene Graphikerin und Buchkünstlerin die Leinwand mit organischen Mitteln in die dritte Dimension.

Was an eine Naturlandschaft aus der Vogelperspektive erinnert, erweist sich als leicht angebräunte Kresse, der schwarzweiße Spiralnebel als Kressewurzeln, die sich ihren ganz eigenen Freiraum erobern. Lasst Kunst sprießen, wäre auch ein passendes Motto für Ars Sacrow.

Der Verein unterstützt den Erhalt des zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gehörenden Denkmals – das 1992 in die UNESCO-Welterbestätte „Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin“ aufgenommen wurde, als Museumsstandort allerdings verworfen wurde - mit großem bürgerschaftlichen Engagement.

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