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Foto-Ausstellung: Mut und Masse

Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau würdigt den „Stern“-Fotografen Harald Schmitt. Die Gunst der Geschichte hat ihn zu einem wichtigen Zeugen der Erosion des Ostblocks gemacht.

Als Erich Honecker 1979 auf Staatsbesuch in Sambia weilt, lässt er den Rolls Royce auf seinem Weg durch die jubelnde Bevölkerung anhalten. Mit weißem Anzug, weißen Strümpfen und weißen Schuhen tritt der Staatsratsvorsitzende aus der Limousine. Und auf dem Bild, dass „Stern“-Fotograf Harald Schmitt von dem Augenblick macht, sieht man Erich, den Weißen, die Menge wie einen Priester segnen. Ein Wohltäter ist er, denn den sozialistischen Ländern Schwarzafrikas gewährt er großzügige Entwicklungshilfen.

Da ist die Welt Honeckers noch in Ordnung. Dass der oberste SED-Funktionär gut informiert ist, lässt er auch seinen westdeutschen Begleiter spüren. Denn er erkundigt sich einmal beiläufig nach dessen Lebensgefährtin, einer DDR-Bürgerin. Trotzdem, sagt Schmitt heute, sei er nicht schikaniert worden, jedenfalls nicht über das in der DDR übliche Maß hinaus. Von 1977 bis 1983 arbeitete der stille, gewissenhafte Mann als „technisches Personal“ – unter dieser Tarnbezeichnung wurden Fotoreporter im DDR-Außenministerium akkreditiert – für den „Stern“. Wie sein Vorgänger Thomas Hoepker lebte er auch in Ostberlin. Als er seine spätere zweite Frau dort kennenlernte, tauchte er ganz im ostdeutschen Alltag ein, die Stasi fand: unter. 1983 reichte es den Behörden, sie schmeißen ihn raus. Schmitt sei nicht mehr observierbar, liest er später in seiner Stasi-Akte und nimmt es als Auszeichnung für journalistische Unabhängigkeit.

Dass der 61-jährige Fotograf erst jetzt mit einer eigenen Ausstellung geehrt wird, hat mit seinem eher defensiven Wesen zu tun, das ihn bei politischen Anlässen oft unbemerkt in die erste Reihe schleichen, aber unter den Granden der goldenen Bildreporter-Generation des „Stern“ wie Max Scheler, Rolf Gillhausen, Robert Lebeck und Thomas Hoepker auch blass erscheinen ließ.

Dabei hat ihn die Gunst der Geschichte zu einem wichtigen Zeugen der Erosion des Ostblocks gemacht. Beinahe beängstigend zuverlässig war er immer genau dann vor Ort, als der Untergang der alten Ordnung besiegelt wurde. So wurde Schmitt als DDR-Korrespondent 1980 auch nach Polen geschickt, wo er aus nächster Nähe den Streik der Werftarbeiter in Danzig und die triumphale Rückkehr Lech Walesas aus der Haft beobachtete. Er reiste 1989 in die CSSR und war Zeuge, wie Oppositionsführer Vaclav Havel bei einer Podiumsdiskussion des Bürgerforums aus dem Publikum zugerufen wurde, dass der Prager Parteivorsitzende zurückgetreten sei. Schmitt drückte auf den Auslöser, als Havel sich die Hand ans Ohr legt, weil er den Rufer nicht verstanden hat. Dann liegen er und der neben ihm sitzende Alexander Dubcek, Symbolfigur des Prager Frühlings 1968, sich in den Armen. Havel erhebt ein Sektglas.

So unspektakulär ging der Staatssozialismus in der Tschechoslowakei zu Ende. Es hatte sich in gewaltigen Menschenmassen auf dem Wenzelsplatz und dem klirrenden Geräusch abertausender Schlüsselbunde angekündigt, die die Menschen als Zeichen ihres Unbills schüttelten. Auch davon hat Schmitt eine Aufnahme gemacht. Auf seinen Fotos, die nun zum 20. Jahrestag des Umsturzes im Berliner Walter-Gropius-Bau gezeigt werden, ist deutlich zu sehen, wie die Menschen etwas in Bewegung setzen, das über ihre Vorstellung hinausgeht. Allein, dass sie sich überhaupt bewegen, steht in so starkem Kontrast zu der eingefrorenen Tristesse von Schmitts DDR-Ansichten, dass man sich noch immer wundert, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass die Leute aufhörten zu warten.

Auf alles seien sie vorbereitet gewesen, sagte Volkskammerpräsident Horst Sindermann, „bloß nicht auf Kerzen“. Die Massen in der DDR und in den östlichen Nachbarstaaten agieren in dem Bewusstsein ihrer selbst als eines Bildes. Menschen kann man zerstreuen, aber der Glanz des Augenblicks bleibt. Schmitt muss ihn nur festhalten. Das gelingt ihm besonders gut, als Moskauer Demonstranten nach dem Putsch im August 1991 die Sowjetflagge von einem Fahnenmast reißen, um dafür die russische Nationale zu hissen. Es ist die ikonografische Antwort auf Chaldejs berühmtes Reichstags-Bild von 1945, als Soldaten der Roten Armee ihr Siegeszeichen in den Berliner Himmel pflanzten.

Beeindruckend auch Schmitts Bilder flüchtender, blutüberströmter Chinesen während des Tian’anmen-Massakers. Näher kam er dem Tod nur in Riga, wo sich die Bevölkerung 1991 auf eine Stürmung ihrer Stadt vorbereitet. Tatsächlich kommt es zu Scharmützeln, weil Reformer Gorbatschow ausgerechnet im Baltikum militärische Stärke zeigen will. Ein Lette bricht neben Schmitt mit einem Bauchschuss zusammen.

Da begreift der frühere Sportfotograf, dass er sein Glück nicht überstrapazieren sollte. Hatte ihn doch vor allem die Reiselust zum Reporter gemacht, wie er freimütig bekennt. Als „Fernglas des Lesers“ schickten die großen Illustrierten erfahrungshungrige Leute wie ihn um die Welt. Und der „Stern“ war das exklusivste Reisebüro. Wohin auch immer dessen Bildjäger ausschwärmten, sie lernten Land und Leute wie in einem Intensivkurs kennen. Dass er sich dort besonders wohlgefühlt hätte, wo alles in Auflösung begriffen war, ginge zu weit. Aber er ist dort seinem Ideal einer ungestellten Wahrheit am nächsten gekommen.

- Harald Schmitt: Sekunden, die Geschichte wurden, Martin-Gropius-Bau, 3. 10. bis 13. 12., Mi - Mo 10 - 20 Uhr. Der Katalog erscheint im Steidl-Verlag, 18 €.

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