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Die Journalistin und Schriftstellerin Ronya Othmann

© dpa/Jörg Carstensen

Cancel Culture im globalen Literaturbetrieb: Auftritt von Ronya Othmann bei einem Festival in Pakistan abgesagt

Der Offene Brief eines feministischen Kollektivs veranlasst die Leitung des Literaturfestivals im pakistanischen Karatschi, die deutsche Schriftstellerin Ronya Othmann wieder auszuladen.

Das Karachi Literature Festival in Pakistans mit knapp 15 Millionen Einwohnern größter Metropole gehört vielleicht nicht zu einem Hotspot des globalen Literaturkalenders. Doch spiegeln die Ein- und vor allem Ausladung der deutschen Schriftstellerin Ronya Othmann im Moment ganz gut die wegen des Gaza-Kriegs höchst angespannten Verhältnisse im Kulturbetrieb im allgemeinen und auch im Literaturbetrieb im Speziellen wider.

Das Literaturfestival hatte unter Beteiligung des Goethe-Instituts die 1993 in München geborene Schriftstellerin nach Karatschi eingeladen. Sie sollte dort ihren Roman „Die Sommer“ und einige ihrer Gedichte vorstellen. Othmann war dann auch schon nach einem Auftritt in Sri Lanka in Pakistan angekommen, als die Festivalleitung der offene Brief eines feministischen Kollektivs erreichte.

Auch die Moderatorin zog zurück

Darin entsetzte man sich über die Einladung Othmanns wegen ihrer vorgeblich „zionistischer“ und „islamfeindlicher“ Positionen, wegen ihrer Teilnahme an Diskussionen mit dem Ziel, „pro-palästinensische Proteste in Deutschland als antisemitisch und islamistisch zu diskreditieren.“

Und was machte das Festival? Cancelte Ronya Othmanns Auftritt, nachdem schon die Moderatorin Claire Chambers von der University of York sich zurückgezogen hatte; aus Sicherheitsgründen musste Othmann auch das Hotel wechseln. In dem Brief wurden insbesondere zwei Kolumnen der Schriftstellerin genannt. In der „taz“ habe sie muslimische Einwanderer und pro-palästinensische Sympathisanten als „Dschihadisten“ und „Terroristen“ bezeichnet; und in der „FAZ“ „das widerliche, rassistische und zutiefst entmenschlichende israelische Narrativ“ wiederholt, die Hamas würde die Bewohner Gazas als „menschliche Schutzschilde“ nehmen, um „Israels Genozid“ als „legitime Selbstverteidigung“ zu verteidigen.

BDS-Kritikerin

Man kommt bei der Lektüre des Briefs kaum nach ob weiterer vermeintlicher Verfehlungen Othmanns, von ihr als BDS-Kritikerin bis hin zu einer Unterschrift eines Statements „Artists Against Anti-Semitism“. Und fast von selbst versteht es sich, dass in diesem von inzwischen knapp fünfhundert Akademikern, Aktivistinnen, Autorinnen und anderen Kulturschaffenden aus der Region unterzeichneten Brief mehrmals vom „Genozid“ Israels die Rede ist, aber kein Wort über die Gräueltaten der Hamas. Zwar verstehe man „the importance of KLF as a space for literary and intellectual discourse in a deeply polarized country.“ Aber: „We cannot remain ,neutral’ in the face of Israel´s violent dispossession and genocide of Palestinians.“

Mein Urgroßvater wurde ermordet, weil er sich weigerte, zum Islam zu konvertieren.“

Ronya Othmann in ihrem Roman „Vierundsiebzig“

Doch gerade Ronya Othmann hätte diesen Diskurs befruchten können in einem islamischen Land, in dem es immer wieder radikalislamistische Anschlägen gibt, eine Autorin, die 2020 in einem „taz“-Text schrieb: „Jeder Islamismus bedroht unsere Gesellschaft. Islamismus, nicht der Islam. Das eine ist Ideologie, das andere Religion.“  

Tochter eines Jesiden

Othmann ist die Tochter eines im Nordosten Syriens geborenen Jesiden und Kurden, der nach 1980 nach Deutschland flüchtete. Und ihre Großeltern und andere Verwandte entkamen nur knapp dem Genozid, den der IS 2014 im irakischen Shingal an den Jesiden verübte.

Othmann hat darüber in ihrem Debütroman „Der Sommer“ geschrieben. Auch in ihrem neuen, Mitte März erscheinenden Roman „Vierundsiebzig“ steht das Schicksal der Jesiden vor und nach 2014 im Zentrum, historisch noch einmal raumgreifender. Häufig erzählt die Autorin darin von Besuchen in der Heimatregion ihres Vaters: „Das ist also die Landschaft, in der meine Großeltern aufgewachsen sind. Fruchtbares grünes Land, es zu besitzen bedeutete Reichtum. (...) Es ist auch die Landschaft, in der mein Urgroßvater ermordet wurde, weil er Êzîde war.“ Und: „Weil er sich weigerte, zum Islam zu konvertieren.“

Aus jesidischer Perspektive schreibe sie, hat Othmann dieses Wochenende gegenüber der „FAZ“ gesagt, und zwar über „islamistische Kontinuitäten und Vergewaltigung als Kriegswaffe.“ Darüber schien man in Karatschi nun ganz und gar nicht reden zu wollen.

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