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Adania Shibli. Sie wurde 1974 geboren.

© Hartwig Klappert

Debatte um Adania Shibli: Die Literatur, die Boykotte und die Gewalt des Realen

Nach der Absage der Preisverleihung an Adania Shibli und ihren Roman „Eine Nebensache“ gibt es auf der Frankfurter Buchmesse weiterhin Diskussionen um die palästinensische Schriftstellerin und ihre politische Haltung. Sie selbst äußert sich nicht.

Am Freitag hätte auf der Frankfurter Buchmesse eigentlich die Verleihung des „LiBeraturpreises“ an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli für ihren Roman „Eine Nebensache“ stattfinden sollen. Sie wurde abgesagt, vor dem Hintergrund des Hamas-Massakers im Süden Israels und einer Debatte darüber, ob Shiblis auch international für einige Preise nominierter Roman antiisraelische und antisemitische Narrative bedient.

Der Roman, Shiblis Vita und der Umgang mit der Preisverleihung gehören nicht zuletzt wegen des Kriegs im Nahen Osten zum meistdebattierten Thema auf der Messe. Slavoj Žižek hatte die Absage in seiner Rede auf der Eröffnungsfeier am Dienstag als „skandalös“ bezeichnet, als ein „Paradox der Cancel Culture“.

Damit war er ganz auf der Seite von inzwischen mehr als 1300 Schriftstellerinnen, Autoren und Mitarbeitern aus dem Literaturbetrieb, die einen Tag vor der Buchmessen-Eröffnung in einem Offenen Brief gegen die Absage protestiert hatten. Dazu zählte auch Prominenz wie Annie Ernaux, Abdelrazak Gurnah oder Ian McEwan.  

Gibt es eine BDS-Nähe?

Die Buchmesse habe die „Verantwortung“, hieß es in dem Offenen Brief, „palästinensischen Schriftstellern Raum zu geben“. Kritisiert wurde auch die Begründung der Absage durch den für den Preis zuständigen Vereins Litprom, der „Begegnungen zwischen dem Lesepublikum und den diversen Stimmen des Globalen Südens“ fördern möchte. Diese Absage sei unter anderem im Einverständnis mit der Autorin getroffen worden.

„Die Entscheidung wurde ihr mitgeteilt. Wenn die Verleihung stattgefunden hätte, wäre das für Shibli ein Anlass gewesen, um über die Rolle der Literatur in diesen grausamen und schmerzhaften Zeiten nachzudenken“.

Das hat Litprom, dessen Vorstandsvorsitender der Direktor der Frankfurter Buchmesse Jürgen Boos ist, auf seiner Website inzwischen korrigiert. Weiterhin jedoch weist der Verein „die in Teilen der Presse erhobenen Vorwürfe und Diffamierungen gegen die Autorin und den Roman (…) entschieden und als inhaltlich nicht begründet zurück“.

Zu den vermeintlichen „Diffamierungen“ gehört, dass Adania Shibli mit der BDS-Bewegung sympathisiert, einer Kampagne, die zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel aufruft. Ihre Methoden und Argumentationsmuster wurden 2019 in einer Resolution des Bundestags als antisemitisch bezeichnet.

2019 unterschrieb Shibli eine BDS-Note gegen die Aberkennung des Dortmunder Nelly-Sachs-Preises an die pakistanisch-israelische Schriftstellerin Kamilla Shamsie. Aberkannt wurde Shamsie der Preis, weil sie sich an BDS-Boykottaufrufen beteiligt hatte.

Eine weitere Unterschrift

Doch das ist nicht die einzige Unterschrift, die Shibli unter ein „Boycott-Israel“-Statement gesetzt hat, wie die „taz“, die die Debatte um Shiblis Roman eine Woche vor der Buchmesse entfacht hatte, jetzt in einem neuerlichen Artikel meldet.

„Für Chaos auf Festivals sorgen“

2007 forderte die Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels (PACBI), die 2004 gegründet wurde und Teil der BDS-Bewegung ist, dazu auf, ein Rolling-Stones-Konzert in Israel zu boykottieren. Unter den 350 Unterzeichnenden findet sich auch der Name von Shibli. Von „ethnischen Säuberungen“ durch die Israels ist in dem Statement die Rede, von einem israelischen „Apartheitssystem“, das noch schlimmer sei, als es das jemals in Südafrika gegeben habe.

Zwei Jahre später wiederum hat Shibli einen – von der „taz“ ausgegrabenen und jetzt von Markus Lemke übersetzten – Artikel für die libanesische Zeitung „al-akhbar“ geschrieben. Dieser handelt von der Debatte um einen Boykott des Toronto Filmfestivals durch arabische Filmemacher sowie von einer Absage Shiblis nach der Einladung zu einem Literaturfestival in Marseille, zu dem auch israelische Autoren wie etwa A. B. Jehoshua kommen sollten.

Shibli schrieb, eine potenzielle Teilnahme in Marseille würde bei ihr „Übelkeit und ein Gefühl fehlender Selbstachtung auslösen“. Und sie überlegte in dem Text, was noch besser, wirksamer wäre als solche Festivals nur zu boykottieren. Man könnte zum Beispiel „für Chaos auf Festivals sorgen, die Israel feiern“, man müsste was dafür tun, „um die israelische Teilnahme dort nicht friedlich über die Bühne gehen zu lassen“.

Nun sind Shiblis Unterschriften unter die Boykottaufrufe und ihr „al-akbar“-Artikel zwischen vier und sechzehn Jahre alt; auch ein Podium in der Schweiz, auf dem Shibl zusammen mit einer BDS-Aktivistin saß, datiert aus dem Jahr 2011. Beatrice Faßbender, Mitarbeiterin des Berenbergs Verlags, in dem der Roman erschienen ist, sagte im Deutschlandfunk, Adania Shibli würde jede Einladung zu politischen Festivals ablehnen. „Zahllose“ Absagen seien das gewesen. Sie wolle ihren Roman nicht „im Zusammenhang mit politischem Aktivismus sehen“, so Faßbender.

Leider gibt es von Adania Shibli selbst noch immer keine Äußerung zu der Debatte um sie und ihren Roman. Eine Tagesspiegel-Interviewanfrage vor der Frankfurter Buchmesse lehnte Shibli ab. Sie wollte nur ein einziges Interview geben, das hatte sie schon einem anderen Medium versprochen. Erschienen ist dieses Gespräch bislang nicht.

So bleibt es bislang bei Aussagen, die Shibli 2022 in einem Interview über ihren Roman und ihr Schreiben mit der Schweizer „Wochenzeitung“ gemacht hat: „Wir sind es gewohnt, dass die Geschichten aus Palästina immer an die News oder an historische Fakten gebunden sind – deshalb möchten viele mein Buch auch in diesem Kontext lesen. Doch für mich ist das Buch nur an Literatur gebunden.“

Für sie sei Literatur „eine unverzichtbare Form, um die Gewalt des Realen umzustürzen, um neue Empfindsamkeiten und Möglichkeiten zuzulassen“. Damit macht sie es sich womöglich ein bisschen einfach. So leicht lassen sich gerade in politisch aufgeladenen Zeiten die Literatur und die Realität nicht voneinander trennen. 

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