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Setzt auf Kontraste. Dirigent Christian Thielemann.

© Matthias Creutziger

Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker: Ekstatisch

Das Wort wird Mensch: Die Berliner Philharmoniker und Christian Thielemann führen Beethovens Missa solemnis auf.

Am Anfang war das Wort – aber nicht in Beethovens Missa solemnis. Einige Zeit bewegt sich der Komponist im rein symphonischen Klang, und Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker wissen diese Zeit in der Philharmonie auszufüllen: Expressiv, aber kontrolliert erheben sich die Linien der Bläser über das Geschehen, bis endlich doch Chor und Solisten mit Kyrierufen einsetzen. Doch auch jetzt noch hat der Klang etwas Übersprachliches, Unnahbares. Die äußerst präzise gestalteten Crescendi und Decrescendi des Rundfunkchors Berlin erzählen mehr vom Staunen über die Gewalt der Klangmaterie als von individueller Betroffenheit. Und auch den Gesangslinien der Solisten wohnt noch eine gewisse instrumentale Objektivität inne.

Das Bild wandelt sich, als die „Christe“-Rufe einsetzen. Denn hier dürfen die Solisten Klang und Ausdruck etwas unmittelbar Verzweifelt-Kreatürliches beimischen, sodass das Wort buchstäblich Mensch zu werden scheint. Mit großer Genauigkeit und Sinn für Spannungsbögen spüren Thielemann und seine Mitstreiter den Aggregatzuständen religiöser Emotion nach. Faszinierend, wie die fast formelhaften Kontrapunkte der Gloriafuge in der Gesamtschau eine monumentale Struktur von abstrakter Schönheit ergeben – die dann wiederum von ekstatischen Rufen überhöht wird, die zugleich Gegenpol und Auflösung dieser Strenge bedeuten. Elisabeth Kulman (Mezzo), Daniel Behle (Tenor) und Franz-Josef Selig (Bass) tragen Thielemanns Konzept mit großer Disziplin mit. Und auch die eingesprungene Sopranistin Luba Orgonášová, die sich mehr spontanere Gefühligkeit erlaubt, trägt zur klanglichen Geschlossenheit bei.

Dass Thielemann nicht nur auf den Kontrast von Masse und Individuum, Klang und Ausdruck fixiert ist, zeigt sich im Sanctus, dessen Violinsolo Daniel Stabrawa einen Hauch von Süße verleihen darf. Unpathetisch, fast überraschend tritt nach dem Agnus Dei Stille ein. Das Publikum weiß diesen Ausdruck des Friedens recht lange durch Schweigen zu würdigen.

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