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Sonderbare Therapeutin: Eine Szene aus „Work-Life-Balance“.

© Reprodukt

Comic „Work-Life-Balance“ von Aisha Franz: Ein Fall für die Couch

Nicht woke, nicht hip, nicht fair: In ihrer neuen Graphic Novel entlarvt die Berliner Zeichnerin Aisha Franz die Abgründe der modernen Arbeitswelt.

Anita, Rex und Sandra haben drei Dinge gemeinsam: Sie sind jung, liegen mit ihren Jobs voll im Trend – und sie scheitern daran fulminant. In farblich auf die Protagonist:innen abgestimmten Episoden macht die Comiczeichnerin und Illustratorin Aisha Franz in ihrer Graphic Novel „Work-Life-Balance“ (Reprodukt, 256 S., 20 €) eine unschöne Kehrseite des Millennial-Alltags sichtbar.

Ausbruch: Eine Seite aus „Work-Life-Balance“.
Ausbruch: Eine Seite aus „Work-Life-Balance“.

© Reprodukt (Aisha Franz: „Work-Life-Balance“)

Die ehemalige Kunststudentin Anita verliert beim Hashtag-Tippen für den Online-Shop die Beherrschung und zerschlägt ihre getöpferten Werke. Sandra ist in ihrem Job als „Graduate Database Strategist“ in einem hippen Start-up unterfordert. Um der Langeweile zu entkommen, versucht sie sich als Lifestyle- Influencerin – und nutzt einen Kollegen sexuell aus. Rex hat als Programmierer das Zeug zum Erfolg in der digitalisierten Arbeitswelt. Doch er wird betrogen, ausgerechnet von einem Kumpel, der Rex’s Idee nahezu unbezahlt verwendet.

Alle landen in der Therapiepraxis von Dr. Sharifi, der wohl eigenwilligsten Figur des Ensembles, die auch das Cover des kompakten Bandes ziert. Sie scheint sich nicht wirklich für die Probleme ihrer Patient:innen zu interessieren und konzentriert sich stattdessen auf sich selbst.

Ob mit oder ohne die Hilfe der sonderbaren Psychologin – Sandra, Anita und Rex finden Wege mit ihren Problemen umzugehen. Allerdings entsprechen die nicht den Bewältigungsstrategien eines ausgeglichenen, trendigen Mindsets, wie es etwa von Influencer:innen und Coaches in den sozialen Medien beworben wird. Stattdessen kommen niedere Beweggründe wie Rache und Zerstörungswut an die Oberfläche.

Mit beinahe dilettantischem Zeichenstil, fesselnd, witzig, ironisch überspitzt und mit einem Hauch von Punk erweist Aisha Franz sich einmal mehr als scharfe Beobachterin und starke Erzählerin. Mit ihren scheinbar hingekritzelten Frisuren und den absurd großen Schuhen taumeln die pausbäckigen Figuren durch eine oberflächliche Welt, in der nicht einmal Gespräche mit der Therapeutin in die Tiefe gehen.

Die gekünstelte Wohlfühl-Atmosphäre im Büro mit der durch gläserne Wände zur Schau gestellten Transparenz und mit Sushi am Büffet ist ebenso wenig authentisch wie der aufgesetzte Hype um ein Kunstwerk, das eigentlich austauschbar und beliebig ist.

Das Titelbild des besprochenen Bandes.
Das Titelbild des besprochenen Bandes.

© Reprodukt

Zu ihrem Comic sagt Aisha Franz, dass ihre Figuren und deren Erlebnisse auf Erzählungen aus ihrem Umfeld sowie öffentlichen Debatten aus dem Silicon Valley beruhen. Sie entlarvt ein Unwohlsein, das zwischen Start-ups, kryptischen Job-Bezeichnungen und Selbstoptimierungsdruck wohl viele jungen Menschen kennen dürften.

Thematisch steht „Work-Life-Balance“ damit dem Comic „Über Spanien lacht die Sonne“ der Zeichnerin Kathrin Klingner nahe, der 2020 ebenfalls bei Reprodukt erschien und eine Community Managerin bei der Arbeit mit digitalen Hass-Kommentaren zeigt.

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Die in erster Linie digitalen Zeichnungen wechseln sich mit einzelnen handgezeichneten Seiten ab. Vornehmlich im Gittermuster sind die Panels nur durch dicke Rahmungen getrennt – wie etwa auch Nadine Redlich verzichtet Aisha Franz auf den klassischen, sogenannten Gap, den freien Raum zwischen den einzelnen Bildern. Dies verdichtet die Erzählung und erweckt den Eindruck, dass die Figuren atemlos durch ihre eigene Story hasten.

Aisha Franz, geboren 1984 in Führt, lebt und arbeitet als freischaffende Comicautorin und Illustratorin in Berlin. Nach „Alien“ (2011), „Brigitte und der Perlenhort“ (2012) und „Shit Ist Real“ (2016) ist dies ihre vierte Graphic Novel, die bei Reprodukt erscheint. Die englische Übersetzung von „Shit Is Real“ war 2019 nominiert für den L.A. Times Book Prize, den renommierten Literaturpreis der „Los Angeles Times“.

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