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Eine Seite aus  „Weegee – Serial Photographer“.

© Reprodukt

Comicbiografie „Weegee“: Serientäter mit der Kamera

Der Comic „Weegee – Serial Photographer“ erzählt kurzweilig die Lebensgeschichte des berühmten Fotografen, kommt ihm aber nicht wirklich nahe.

Die Lower East Side in der 1930er Jahren: Ein Gangster ist auf offener Straße erschossen worden, die Tatwaffe liegt wenige Meter daneben. Doch bevor die Polizei überhaupt am Tatort ist, hat ein anderer längst das Titelfoto für alle New Yorker Zeitungen im Kasten: Arthur Fellig, genannt Weegee, der wie kein anderer das Amerika der Depression mit all seinem Glanz und Elend festgehalten hat.

Da er den Polizeifunk abhört, war er mal wieder als Erster vor Ort. „Die Tragödie steht den New Yorkern so gut“, kommentiert der stets Zigarre-rauchende Fotoreporter die Bluttat, die für ihn bloßes Alltagsgeschäft ist.

Für ein gutes Foto kennt Weegee keine Skrupel

In „Weegee – Serial Photographer“ (aus dem Französischen von Marion Herbert, Handlettering von Olav Korth, Reprodukt, 144 S., 20 €) zeichnen die Belgier Max de Radiguès („Bastard“) und Wauter Mannaert („Yasmina“) ein ambivalentes Bild des Fotografen, der bis heute für seinen harten, ungeschönten Realismus gefeiert wird, der aber gleichzeitig dem Leid um sich herum gefühlskalt und geschäftstüchtig gegenüberstand: Egal ob es um Mordopfer, Betrunkene, Schaulustige oder in Tränen aufgelöste Angehörige geht – für ein gutes Foto kennt Weegee keine Skrupel.

Eine Seite aus  „Weegee – Serial Photographer“.

© Reprodukt

Auch mit der Wahrheit nimmt er es nicht immer genau: Als eine Leiche nicht fotogen genug daliegt, verändert Weegee kurzerhand die Stellung der Arme.

Ein Hansdampf in allen Gassen

Dreistigkeit plus Tempo sind das Erfolgsrezept des Fotografen: Um Zeit zu sparen, hat Weegee ein mobiles Fotolabor im Kofferraum seines Autos, wo er mitten auf der Straße die neuen Schnappschüsse entwickelt. Da er ausschließlich nachts arbeitet, porträtiert Weegee auch die Nachtschwärmer:innen, Prostituierten und Obdachlosen der Lower East Side, aus der er selbst stammt.

Obwohl ihm die Ablichtung dieses Milieus viel Geld einbringt, möchte er genau diesem gerne entfliehen und sehnt sich danach, als Künstler anerkannt zu werden. Erst mit der Veröffentlichung seines legendären Fotobandes „Naked City“ gelingt ihm der große Durchbruch.

Das Titelbild von „Weegee – Serial Photographer“.

© Reprodukt

De Radiguès und Mannaert lassen in ihren Schwarzweiß-Zeichnungen das New York der 1930er Jahre wiederauferstehen und stellen dafür viele von Weegees Fotos nach. Immer wieder verweilen sie bei detaillierten Straßenszenen, in denen sich das Alltagsleben der Obstverkäufer, Hausfrauen und Straßenkinder abspielt.

Der lässige Strich passt zur Hemdsärmeligkeit der Hauptfigur: Weegee ist ein Hansdampf in allen Gassen, dessen schillerndes Leben zweifellos guter Stoff für einen Comic ist.

Dennoch will die Nacherzählung seiner Lebensgeschichte nicht recht zünden: Zwischendurch beschleichen Weegee zwar Schuldgefühle ob seines voyeristischen Tuns, doch eine wirkliche Charakterentwicklung findet nicht statt. Als Porträt eines fotografischen Triebtäters, der für eine gute Leiche alles stehen und liegen lässt, ist „Weegee – Serial Photographer“ bei aller Kurzweiligkeit letztlich zu blass.

Am ehesten funktioniert der Comic als atmosphärische Zeitreise in ein New York, in dem es so etwas Presse-Ethik noch nicht wirklich gab – und Tatortsicherung anscheinend auch nicht. Dazu reicht aber vielleicht auch einfach ein Blick in „Naked City“.

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