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Nicolas Mahler im Selbstporträt.

© Reprodukt

Comiczeichner Nicolas Mahler: Zen und die Kunst, ein Strichmanderl zu zeichnen

Der österreichische Comic-Minimalist verarbeitet in seinem neuen Buch weitere Erfahrungen mit der Kunst- und Literaturwelt. In Leipzig kann man ihn persönlich kennenlernen.

Cartoons für die „FAZ“, „Die Zeit“ oder „Titanic“, Comics über Comic-Festivals, Strips über Männer in Heizdecken, Superheldenparodien, Godzilla-Hommagen, illustrierte Spam-Mails, grafische Gedichte und unorthodoxe Literaturadaptionen von Thomas Bernhard bis Robert Musil – es gibt kaum etwas, was Nicolas Mahler noch nicht im Comic ausprobiert hat.

Der 53-jährige Österreicher genießt eine Ausnahmestellung im deutschsprachigen Comic: Rund 30 Bücher hat er veröffentlicht, seine Werke erscheinen sowohl in großen kommerziellen Häusern wie Carlsen als auch in kleinen Independent-Verlagen wie Reprodukt.

Zugleich war Mahler der erste, der einen Comic bei Suhrkamp herausgebracht hat. Dreimal wurde er mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet, 2010 als bester deutschsprachiger Comic-Künstler.

Das ist umso überraschender, als dass Mahlers schlichter Zeichenstil auf den ersten Blick etwas spröde wirkt; auf den zweiten Blick stellt er sich jedoch als gut zugänglich und auf den dritten als urkomisch heraus.

Hintergründe sind meist nur spärlich angedeutet oder fehlen ganz, die Figuren sind entweder klein und gedrungen oder große schmale Balken. Gesichter im klassischen Sinne haben sie nicht, meist besitzen sie nur große Nasen und Turmfrisuren.

„Mit solchen Figuren kann man alles erzählen, von Weltliteratur bis zum Sketch“, sagt Mahler mit gemächlichem Akzent. Der 1,90 Meter große Wiener ist seinen Figuren nicht ganz unähnlich: Ein Mann der leisen Töne und des Understatements.

In seinem aktuellen autobiografischen Comic, „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“ (Reprodukt, 128 S., 16 €) erzählt er davon, wie er Ende der 90er Jahre versuchte, in der Comic-Welt Fuß zu fassen und sich beim Fix-und-Foxi-Magazin bewarb – erfolglos.

Ein Herz für skurrile Figuren

Nach vielen weiteren Absagen beschloss Mahler, kommerzielle Comics hinter sich zu lassen: „Ich wollte einen Stil haben, der ernster und erwachsener ist, deshalb habe ich die Köpfe immer kleiner gezeichnet. Dabei ist mir aufgefallen, dass dann kein Platz mehr für Gesichter ist.“

Eine Seite aus „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“. 
Eine Seite aus „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“. 

© Reprodukt

Das schweizerische Kunstmagazin „Strapazin“ wurde zum Sprungbrett für den gebürtigen Wiener. Sein erster Comic „Lone Racer“, eine tragikomische Geschichte über einen abgehalfterten Rennfahrer, erschien 1999.

Es blieb nicht die letzte Figur dieser Art: Flaschko, der den ganzen Tag in seiner Heizdecke verbringt, Kratochvil, der mit seiner Aktentasche die Wildnis durchstreift, der Superheld Engelmann, der über die Kraft „Gut-zuhören-Können“ verfügt – Mahlers Comics sind bevölkert von skurrilen Charakteren, deren absurde Existenz viel Stoff für Situationskomik bietet. Der lakonische Tonfall erinnert dabei nicht selten an skandinavische Komödien.

Der Kulturkritiker Georg Seeßlen hat Mahlers narrative Kunst einmal so beschrieben: „Aufbau einer Spannung, die meistens auf gekonnte Art ins Leere geht“. Ähnlich wie bei einem Monty-Python-Sketch ist die Schlusspointe eher Nebensache.

Charmante Frechheiten

Als Mahler in diesem Stil Thomas Bernhards „Alte Meister“ als Comic für Suhrkamp interpretierte, war das Feuilleton begeistert. Gleiches galt für „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, die natürlich nicht komplett, sondern nur auszugartig adaptiert wurden.

Eine weitere Seite aus Mahlers aktuellem Buch.
Eine weitere Seite aus Mahlers aktuellem Buch.

© Reprodukt

In „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“ berichtet Mahler davon, dass er neben der Comic-Adaption von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ auch ein gleichnamiges Notizbuch mit leeren Seiten herausgebracht hat – letzteres bekam auf Amazon wesentlich bessere Bewertungen als das Original von Proust. Kein Wunder: „Bei manchen Verlagen verkaufen sich ‚Non Books‘ am besten, also Sachen wir Notizbücher und Bleistifte“, so Mahler.

Früher hätten Mahlers respektlose Literatur-Adaptionen bei Kulturwächtern entweder Naserümpfen oder Ignoranz ausgelöst, heute werden sie als charmante Frechheiten gefeiert. Sind Comics erwachsen geworden? „Nein, der Kulturbetrieb vertrottelt nur zunehmend“, heißt es in Mahlers Buch. Vielleicht ist er einfach nur pragmatisch: Durch Comics lassen sich immerhin neue Zielgruppen für die „hohe Literatur“ erschließen.

Von Schund und Kunst

Dass das nicht immer so war, kann man in Mahlers aktuellem Werk nachlesen: In den 60er Jahren galten Comics noch als gefährlicher Schund, weshalb viele deutsche Bibliotheken ihre Regale radikal säuberten und Comic-Hefte bei „Schmökergrab-Aktionen“ vergruben.

Japanischer Strich: In einer Episode in seinem neuen Buch erzählt Mahler von einer prägenden Asienreise.
Japanischer Strich: In einer Episode in seinem neuen Buch erzählt Mahler von einer prägenden Asienreise.

© Reprodukt

Ganz so schlimm ist es heute nicht mehr, allerdings hatte Mahler in seinem ersten autobiografischen Comic „Kunsttheorie vs. Frau Goldgruber“ noch davon berichtet, dass die ihm zugeteilte Finanzbeamtin daran zweifelte, ob die „Strichmanderln“, die er da mache, wirklich Kunst seien (wovon in Österreich den Steuersatz von zehn oder zwanzig Prozent abhängt). „Da sind sie ja eher ein Werbegrafiker“, so Frau Goldgruber.

Comics wie Haikus

Dass seine Literatur-Adaptionen im Buchhandel meist bei den „Witzbüchern“ liegen, stört Mahler nicht, die strenge Aufteilung in Hoch- und Popkultur ist ihm ohnehin zuwider.

Das Titelbild von Mahlers aktuellem Buch.
Das Titelbild von Mahlers aktuellem Buch.

© reprodukt

In Japan sei das anders, heißt es in „Akira Kurosawa und der meditierende Frosch“: Als Mahler dort 2015 eine Ausstellung hatte, war er begeistert von den Zeichnungen des Zen-Meisters Sengai. „Tiefsinn und Blödelei liegen da ganz nah beieinander; das ist etwas, was ich in europäischer Kunst nicht wirklich finde.“

Tatsächlich gibt es eine Verwandtschaft zwischen Mahlers Zeichnungen und der japanischen Kultur: Sein minimalistischer Stil und seine Liebe für das Absurde haben durchaus etwas Zen-buddhistisches, seine Panels und Texte (etwa bei Kratochvil) wirken bisweilen wie Haikus.

„Bei meinem Japanbesuch hat mir der Manga-Zeichner Kotobuki Shiriagari gesagt, dass er Jahre gebraucht habe, um von der schönen und perfekten Zeichnung wegzukommen“, sagt Mahler. „Die spontane Zeichnung ist meist ausdrucksstärker.“

Eine Einstellung, die er übernommen hat: Seit 2015 hat Mahler die Feder gegen den Pinsel getauscht. Bei seinen nächsten Comics – zwei Bücher über Franz Kafka – will er weitestgehend ohne Vorzeichnung und Korrektur arbeiten. „Da schwingt natürlich immer die Gefahr mit, dass die Leser am Ende sagen: Jetzt strengt er sich gar nicht mehr an!“, sagt Mahler.

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