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Eine Auswahl der Zwerchfell-Titel der vergangenen Jahre.

© Gestaltung: Tagesspiegel/Zwerchfell; Freepik

„Es ergibt für uns keinen Sinn mehr“: Comic-Verlag Zwerchfell zieht sich zurück

35 Jahre lang hat der Zwerchfell-Verlag die deutsche Comiclandschaft mitgeprägt. Jetzt ist damit Schluss. Verlagsleiter Stefan Dinter erklärt, wie es dazu kam.

Der letzte große Auftritt fand Anfang Juni dieses Jahres auf dem Comicfestival München statt. Einer der Stargäste dort: die kanadische Autorin Kate Beaton mit ihrem international gefeierten Buch „Ducks“, das soeben auf Deutsch erschienen ist. Veröffentlicht hat es – in diesem Fall als Kooperation mit Reprodukt – der Zwerchfell-Verlag aus Stuttgart.

Was damals in München kaum jemand wusste: „Ducks“ ist vorerst das letzte Buch aus dem Hause Zwerchfell. Die Verlagsleiter ziehen einen Strich unter 35 Jahre Zwerchfell-Geschichte. Das bestätigte Stefan Dinter (58), der das Unternehmen seit 14 Jahren zusammen mit Christopher Tauber führt, jetzt dem Tagesspiegel.

Die beiden Verlagsleiter Stefan Dinter (links) und Christopher Tauber mit Zeichnerin Sarah Burrini auf dem Comicfestival München 2013.
Die beiden Verlagsleiter Stefan Dinter (links) und Christopher Tauber mit Zeichnerin Sarah Burrini auf dem Comicfestival München 2013.

© Lars von Törne

„Wir legen Zwerchfell auf Eis und werden keine neuen Bücher mehr akquirieren und veröffentlichen“, sagt Dinter beim Videogespräch in seinem Stuttgarter Arbeitszimmer. „Wir machen vielleicht noch ab und zu ein Buch, das uns persönlich am Herzen liegt, und beenden einige Projekte von Künstler:innen, die bereits in Arbeit sind. Aber es wird keine neuen Veröffentlichungen im bisherigem Umfang geben.“

Gefragt nach den Gründen, sagt Dinter: „Es ergibt für uns keinen Sinn mehr.“ Seit einigen Jahren hätten Tauber und er sich zunehmend gefragt, wo sie mit ihrem Verlag hinwollten. „Wir arbeiten ja als Verlag mit kleinen Auflagen, aber bieten Künstler:innen, von denen viele auch unsere Freund:innen sind, eine gewisse Sichtbarkeit.“ Aber wenn dann von manchen Titeln, an denen die Autor:innen zwei oder drei Jahre gearbeitet haben und die in der Presse und auf Festivals gefeiert werden, gerade mal wenige hundert Exemplare verkauft werden, „dann ist das zum Heulen.“

„Ducks“ von Kate Beaton ist Anfang Juni auf Deutsch erschienen und nun wohl die letzte größere Veröffentlichung des Zwerchfell-Verlages.
„Ducks“ von Kate Beaton ist Anfang Juni auf Deutsch erschienen und nun wohl die letzte größere Veröffentlichung des Zwerchfell-Verlages.

© Zwerchfell / Reprodukt

Stefan Dinter und Christopher Tauber, beide seit Langem in der deutschen Comicszene aktiv, übernahmen Zwerchfell 2009 von seinem Gründer Christian Heesch und machten ihn zu einem der wichtigsten deutschen Independent-Verlage, vier Jahre lang bis 2019 war zudem auch die Zeichnerin Asja Wiegand Mitglied des Zwerchfell-Teams. Das Verlags-Programm bestand größtenteils aus deutschen Eigenproduktionen und zeichnete sich durch künstlerisch ambitionierte Werke, originelle Geschichten und anspruchsvollen Humor aus.

Zum Kreis der Autor:innen, deren Bücher Zwerchfell in den vergangenen Jahren veröffentlichte, zählen Aike Arndt, Sarah Burrini, Jeff Chi, Naomi Fearn, Olli Ferreira und Calle Claus, Lukas Kummer, Josephine Mark, Albert Mitringer, Ingo Römling, Martina Schradi, Roya Soraya und Andreas Völlinger. Außerden haben Stefan Dinter und Christopher Tauber bei Veröffentlichungen auch immer wieder selbst als Autoren mitgewirkt.

Comics sind noch mehr als zuvor ein Luxusprodukt geworden.

Stefan Dinter

Tauber kennt man ansonsten vor allem als Zeichner der populären Comic-Fortsetzungen der Reihe „Die drei ???“, Dinter hat an zahlreichen Comics aus großen Verlagen wie Carlsen und Egmont Ehapa mitgearbeitet, darunter bei „Asterix“ als Letterer, und Comic-Projekte mit Schüler:innen organisiert sowie das Buch „Comics Machen Schule“ veröffentlicht. Seit gut fünf Jahren arbeitet er hauptberuflich als Lehrer an einem Berufskolleg in Stuttgart, wo er inzwischen auch stellvertretender Schulleiter ist.

„Wir haben in den vergangenen Jahren mit unseren Veröffentlichungen immer das abzubilden versucht, was wir mögen“, sagt Stefan Dinter. „Nun ist die Frage, ob das für die Künstler:innen noch reicht – und auch, ob das nicht die Aufgabe von jüngeren Leuten als uns ist.“

Hinzu komme, dass die gestiegenen Papierpreise und andere Kosten es zunehmend schwer machten, gute Comics zu Preisen zu verlegen, die für das Zwerchfell-Publikum noch bezahlbar sind. „Comics sind noch mehr als zuvor ein Luxusprodukt geworden“, sagt Dinter.

Wir haben fast alles gemacht, es war ein guter Run.

Stefan Dinter

Bei Albert Mitringers vielgelobtem Titel „Requiem“ zum Beispiel scheiterte eine zweite Auflage kürzlich daran, dass die Verleger sie statt des ursprünglichen Verkaufspreises von 25 Euro für 35 Euro hätten anbieten müssen, damit es sich rechnet. „Das ist einfach nicht drin, wenn man keine Coffee-Table-Bücher, sondern Comics für Leser:innen mit einem normalen Geldbeutel machen will“, sagt Dinter.

Der Name Zwerchfell soll vorerst dennoch als Imprint erhalten bleiben, die GbR soll es auf absehbare Zeit weiterhin geben: „Wir haben eine Backlist von über 40 Titeln, die wir noch verkaufen wollen“, sagt Stefan Dinter.

Er und Christopher Tauber werden möglicherweise weiter an besonderen Projekten arbeiten, wie zum Beispiel die Comics zu historischen Themen, die sie in Zusammenarbeit mit verschiedenen Museen veröffentlicht haben. Oder an Kooperationen wie bei dem Comic „Elbe Pegel 959“ von Vanessa Drossel, der in Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk entstand. „Von dem haben wir, auch dank der Vorbestellungen vom THW, knapp unter 20.000 Exemplare verkauft – unser absoluter Bestseller“, sagt Dinter. Das seien mehr verkaufte Exemplare als alle anderen Titel der vergangenen vier Jahren zusammen

Neben der Arbeit für Zwerchfell machen die beiden Verleger noch andere kreative Dinge gemeinsam, von Musik bis zu Drehbüchern, die sie in erster Linie für sich selbst schreiben, wie Dinter sagt. „Für so etwas fehlte aber lange die Zeit.“ Nach 35 Jahren Verlagsgeschichte könne er sagen: „Ich glaube, wir haben fast alles gemacht, es war ein guter Run. Da höre ich doch lieber jetzt auf, als irgendwie verbittert weiterzumachen.“

Dadurch, dass das letzte große Zwerchfell-Buch Kate Beatons „Ducks“ war, schließt sich für die beiden Verleger ein Kreis, wie Dinter sagt: Als sie 2009 den Verlag übernahmen, war das erste Projekt, das sie sich vorgenommen hatten, die deutsche Veröffentlichung von Kate Beatons „Obacht Lumpenpack“, der zuvor als Online-Strip große Erfolge gefeiert hatte. „Nun ist ihr „Ducks“ unser großer Endstein geworden. Das finde ich passend.“

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