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Eine Seite aus „Crossover“.

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Hommage-Comic „Crossover“ : Ringelpiez mit Rasterpunkten

Wieder einmal werden Comicfiguren real – die angestrebte Metaebene gerät im Comic „Crossover“ jedoch schnell zum Spielplatz allzu großer Jungs.            

In „Crossover“, von unter anderem Donny Cates und Geoff Shaw, manifestieren sich Zombies aus „The Walking Dead“ in der realen Welt, ebenso die untoten, weil immer wieder ausgegrabenen Kolleg*innen wie Madman, Witchblade oder Savage Dragon. Doch nicht nur geistiges Eigentum des Image-Verlags oder der für diesen tätigen Künstler*innen taucht hier auf und unter, nein, als Bild- oder Wortzitate mischen Abkömmlinge anderer Wettbewerbsteilnehmer der US-amerikanischen Verlegergilde wie Hulk oder Batman mit.

So wird auf einer sehr im skizzenhaften belassenen Zeichnung eines Kindes mit dem Symbol vom Urvater der Umhangträger gespielt, der sich dann aber als Michael Allreds „Madman“ entpuppen wird; ein laut Entstehungsgeschichte untot ins Leben Gekommener, dessen brustschmückender Blitz in der Skizze freilich als „S“ gelesen werden kann.

Ist’s ein Vogel ... ein Flugzeug ... nein, es ist eine optische Täuschung.
Ist’s ein Vogel ... ein Flugzeug ... nein, es ist eine optische Täuschung.

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Angefertigt hat die Zeichnung ein von den Comics ins Leben übergewechseltes Kind, entstammend der Stadt Denver, Colorado, die am 11. Januar 2017 von sämtlichen aus Bildgeschichten bekannten Superhelden wie einem Virus befallen wurde; so zumindest drückt es der Autor des Werkes aus.

Das Wechselbalg wurde dabei von seinen Eltern getrennt, und soll nun von der Hauptfigur, Angestellte eines Comicshops, nebst dessen Inhaber, einem weisen alten Weißen mit ganz viel und enorm wichtigem Hintergrundwissen, in die seitdem von den Behörden zur Eindämmung besagter viraler Plage abgesperrten Stadt zwecks Familienzusammenführung begleitet werden.

Rasterman Vibration

In der Darstellung unterscheidet sich das vorübergehende Waisenkind durch Punkte im Gesicht, sogenannten Benday-Dots. Eingebrannt hat diese Rasterpunkte den Gehirnen museenbesuchender Massen ab den 1960er Jahren Roy Lichtenstein, im Rahmen der Kunstrichtung Pop Art.

Comics nutzten diese von Benjamin Day begründete Drucktechnik bereits seit den 1950er Jahren; Lichtenstein hingegen imitierte oder zitierte diese per Hand und später mittels Schablonen. Das Zitatwesen, ein weites Feld also.

Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt - Madman und der Welthandtuchtag als Umhangssurrogat.
Da wird ja der Hund in der Pfanne verrückt - Madman und der Welthandtuchtag als Umhangssurrogat.

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Der erste Band, betitelt „Kinder lieben Ketten“, übrigens ein Kommentar Todd McFarlanes zu seiner von stahlgeschmiedetem Gliederwerk behängten Figur „Spawn“ (hey, das ist immer noch ein Event des Image-Verlags, Leute!) endet im Cliffhanger-Verfahren – mit einer weiteren von Benday-Dots befallenen Figur, die wir bisher als menschlich verkauft bekommen haben, weil diese bis dato in einem anderen Druckverfahren abgebildet ward.

Und, oh Wunder, die Cliffhanger~in trägt ein „Invincible“-T-Shirt! Die Erwähnung dieser Reihe, wie „The Walking Dead“ von Robert Kirkman miterfunden, wirft die Frage auf, ob dieses Hinweisen auf dessen bekanntestes und über die Comic-Ghettogrenzen hinaus durch das Fernsehen bekannt gewordene Werk Kirkmans, dessen Name ein Synonym für TWD geworden ist, als große Metapher für das ewige Gefleddere am und im Comic stehen mag – wobei ja die abgeriegelte Stadt mit ihren oft herumfliegenden und immer kämpfenden Superwesen die Lesart der Ghettoisierung geradezu heraufbeschwört.

Wie auch immer, Madman, der in „Invincible“ mal einen Gastauftritt hingelegt hat, ist eine dem Grotesken zuzurechnende Figur, deshalb wirkt sein hier als Held mit Erlösertendenzen inszenierter Auftritt bemüht; so recht will das zu dieser gern Jo-Jo-spielenden Weirdo-Figur nicht passen.

Allerdings wird ihm, im Gegensatz zu den sonstigen Darstellungen durch seinen Erfinder Michael Allred, seitens einer eher der Konventionalität gehorchenden Ästhetik zumindest etwas Glaubhaftigkeit verliehen, gleichzeitig verliert die Figur aber ihren ursprünglichen Reiz und Charakter.

Auf den Punkt gebracht - wortwörtlich eine der raren gelungenen Pointen.
Auf den Punkt gebracht - wortwörtlich eine der raren gelungenen Pointen.

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Verlaufen im Sand

Individuelle Aspekte von Charakteren gehen bei einem Crossover traditionell eh in der Masse unter. Und, wie bei derlei Stadionkonzerten üblich, gibt es schwer auf die zwölf – wobei die Erfinder*innen der Figuren zum Teil sogar mit dran glauben müssen; Meta eben, ne?

Anfangs noch vermutete Ironie, sich beispielsweise im Titel „Die Groschenheftplage“ des bereits angekündigten zweiten Bandes zaghaft zeigend, bleibt letztlich, neben der visuellen Originalität, auf der Strecke, wie auch ein Haufen der gemeuchelten Autoren, während sich von einer Standardsituation zur nächsten gelangweilt wird.

Es hilft außerdem nicht, mit einem Zitat aus Psychiater Frederic Werthams berühmt-berüchtigten und 1954 erschienenem „Seduction of the Innocent“ zu eröffnen: „Die Welt der Comics ist die Welt der Starken, der Gnadenlosen, der Blender, der durchtriebenen Betrüger, der Folterer und der Diebe … In Comics sind Leben einen Dreck wert. Es gibt keine Achtung vor dem menschlichen Leben.“

Was als 1A-Beschreibung der frühkapitalistischen Verhältnisse in Folge teils mafiöser Strukturen innerhalb der amerikanischen Comic-Branche nicht nur in ihren Anfängen durchgehen mag, von Wertham aber auf die Inhalte und deren Bedeutung für jugendliche Fehlentwicklungen gemünzt war, findet in „Crossover“ selbst keinerlei Aufgriff oder Widerhall. Auch nicht die Inbeschlagnahme von Werthams unfertigen Thesen als wertvolle Beiträge zur Comic-Kritik, vergleiche Kritiker-Kollege Ken Parille 2013 in The Comics Journal.

Donny Cates/Geoff Shaw, „Crossover: Kinder lieben Ketten“ (Heft 1 bis 6 der Serie), Übersetzung Katrin Aust, Splitter-Verlag, 176 Seiten, 25 €
Donny Cates/Geoff Shaw, „Crossover: Kinder lieben Ketten“ (Heft 1 bis 6 der Serie), Übersetzung Katrin Aust, Splitter-Verlag, 176 Seiten, 25 €

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Dafür aber scheint Cates sowieso nicht der Typ zu sein. Er möchte im Sandkasten mit all diesen tollen Actionfiguren spielen, die ihm etablierte und ausschließlich männliche Kollegen zur Verfügung gestellt haben, belegt durch eine stolz am Ende abgedruckte Dankesliste mit deren Namen, nebst jeweiligen Figuren. Zu dieser zusätzlichen und serienübergreifenden Werbung liefert Cates im Verbund mit Zeichner, Kolorist und Letterer eben reinen Fanservice ab. Nun, die Zielgruppe zumindest wird zufrieden sein.

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