zum Hauptinhalt
Eine Seite aus „Im Krieg“.

© Nora Krug/Penguin

Illustrierte Tagebücher aus der Ukraine und Russland: Die zwei Seiten des Krieges

Die Illustratorin Nora Krug („Heimat“) hat sich nach der eigenen Familiengeschichte mit dem russischen Angriff auf die Ukraine beschäftigt. Ihr Buch „Im Krieg“ provoziert gemischte Gefühle.

Jagdbomber am Himmel, Leichensäcke auf einem Lastwagen, Hände von Angehörigen, die einen Sarg berühren. Mit wenigen, klaren Linien verdichtet die Illustratorin Nora Krug die Schrecken des Krieges in ihren Bildern. Die Zeichnungen stehen zwischen tagebuchartigen Alltagsschilderungen aus der Ukraine und Russland, die den Kern ihres aktuellen Werkes bilden, das jetzt auf Deutsch erschienen ist.

Mit „Im Krieg – zwei illustrierte Tagebücher aus Kiew und St. Petersburg“ erweist sich die aus Karlsruhe stammende und in New York lebende Künstlerin ein weiteres Mal als sensible Betrachterin komplexer politisch-historischer Sachverhalte. Allerdings steht diesmal im Gegensatz zu ihrem international gefeierten autobiografischen Buch „Heimat“ nicht ihre eigene Geschichte im Zentrum.

Stattdessen fungiert Krug hier eher als Kuratorin der Erlebnisse einer ukrainischen Journalistin und eines russischen Künstlers, mit denen sie seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren in Kontakt steht. Deren Schilderungen zwischen Alltag und Ausnahmezustand hat sie in kurzen Textblöcken verdichtet, die sich mit freistehenden Illustrationen abwechseln, die in der Regel ein Detail oder einen Ausschnitt aus einer auf derselben Seite beschriebenen Situation zeigen.

„Im Krieg“ wurde ab 2022 zuerst in der  „Los Angeles Times“ veröffentlicht, hier eine Seite aus der ersten Kriegswoche aus russischer Perspektive.
„Im Krieg“ wurde ab 2022 zuerst in der  „Los Angeles Times“ veröffentlicht, hier eine Seite aus der ersten Kriegswoche aus russischer Perspektive.

© Nora Krug/Penguin

So sieht man zum Beispiel einen Mann, der aus Angst vor bei Bombenangriffen zerberstenden Fensterscheiben im Badezimmer neben der Wanne schläft, Eltern und Kinder beim Abschiednehmen vor der durch den Krieg erzwungenen Reise eines Teils der Familie ins westliche Ausland oder von Russen misshandelte ukrainische Kriegsgefangene.

Kriegsalltag per Kurznachrichten

Als Vignetten verstärken diese Bilder die textlichen Schilderungen und heben einzelne Aspekte visuell hervor. Im Gegensatz zu „Heimat“ fügen die Zeichnungen aber bis auf wenige Ausnahmen kaum weitere Bedeutungsebenen hinzu. Mit ihrem 2018 veröffentlichten autobiografischen Werk war sie auch in künstlerischer Hinsicht tief in die eigene Familiengeschichte und die ihres Herkunftslandes eingetaucht und hatte darin mit grafischer wie erzählerische Finesse die Spuren der NS-Diktatur und ihrer Auswirkungen freigelegt.

Ihre Bildsprache war formal innovativ, originell und teilweise spielerisch, indem sie Familienfotos und Flohmarkt-Fundstücke, freie und oft assoziative Zeichnungen, sequenzielle Passagen, Faksimiles von historischen Dokumenten und persönlichen Fundstücken zu einer einzigartigen Wort-Bild-Collage verarbeitete.

Für „Im Krieg“ nimmt sie sich als Bilderzählerin radikal zurück und überlässt die Bühne größtenteils den Texten ihrer zwei Hauptfiguren, die etwa drei Viertel des Buches ausmachen. Die beiden werden zum Schutz ihrer Identitäten nur als K. (eine in Kiew lebende Journalistin) und D. (ein in St. Petersburg lebender Künstler) vorgestellt.

Mit beiden hatte Krug vor Beginn des Krieges kurze Kontakte, kannte sie aber nicht weiter. Nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erkundigte sich Krug bei beiden nach ihrem Wohlbefinden, woraus ein regelmäßiger Austausch per Kurznachrichten entstand, die wiederum die Grundlage für die Texte in „Im Krieg“ darstellten.

Zerrissene Familie: Die Journalistin K. und ihr Mann haben die gemeinsamen Kinder kurz nach dem Überfall der Sowjetunion nach Dänemark gebracht, wo ihre Großmutter lebt.
Zerrissene Familie: Die Journalistin K. und ihr Mann haben die gemeinsamen Kinder kurz nach dem Überfall der Sowjetunion nach Dänemark gebracht, wo ihre Großmutter lebt.

© Nora Krug/Penguin

Diese illustrierten Erlebnisberichte hat Nora Krug, die sich als „visuelle Journalistin“ versteht, zuerst ab Februar 2022 in der „Los Angeles Times“ und danach auch in Zeitungen in vier europäischen Ländern veröffentlicht. Das war zum Zeitpunkt seiner ersten Veröffentlichung innovativ, vor allem durch den Fokus auf zwei persönliche Perspektiven, die zu Beginn der Invasion in den auf den Kriegsverlauf konzentrierten Nachrichten eher weniger zu sehen und zu hören waren.

Nun, zwei Jahre nach Beginn des Projekts, wirkt „Im Krieg“ daher weniger wie ein journalistisches Projekt, das für aktuelle Vorgänge einen ungewöhnlichen Zugang findet, sondern eher wie eine künstlerisch angereicherte historische Rückschau. Gerade die Schilderungen der ersten Monate nach der Invasion durch die zunehmend als Kriegsreporterin arbeitende Journalistin D. scheinen angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine gefühlt eine halbe Ewigkeit her zu sein.

Alltag unter Dauerbeschuss

Dazu kommt, dass man nach dem Februar 2022 in vielen Medien, auch im Tagesspiegel, bereits zahlreiche persönliche Berichte aus der Perspektive von Ukrainerinnen und Ukrainern über die Folgen des Krieges für ihren Alltag gelesen hat. Dadurch wirkt zumindest die eine Hälfte des Buches aus heutiger Perspektive wie eine Wiederholung von inzwischen hinlänglich Bekanntem.

Der russische Künstler D. kehrt wegen des Krieges und Angst vor Einberufung seinem Land den Rücken, hier eine Szene aus Riga, wo er vorübergehend unterkommt.
Der russische Künstler D. kehrt wegen des Krieges und Angst vor Einberufung seinem Land den Rücken, hier eine Szene aus Riga, wo er vorübergehend unterkommt.

© Nora Krug/Penguin

Was man hingegen in westlichen Medien in den vergangenen zwei Jahren weniger gelesen oder gesehen hat, sind Erfahrungsberichte aus Russland über die Folgen des Krieges für den Alltag der Menschen dort. Die sind zwar deutlich weniger drastisch als der Alltag unter Dauerbeschuss oder Besatzungs-Willkür. Dennoch ist es durchaus erhellend, wie auch das Leben von Nora Krugs russischem Bekannten und seiner Familie durch den Krieg erschüttert wird.

Nora Krug: „Im Krieg“, aus dem Englischen von Alexander Weber, Penguin, 128 Seiten, 28 Euro.
Nora Krug: „Im Krieg“, aus dem Englischen von Alexander Weber, Penguin, 128 Seiten, 28 Euro.

© Nora Krug/Penguin

Als der Putin-Gegner sich aus wachsender Angst vor einer Einberufung ins westliche Ausland flüchtet, bleiben seine Frau und die Kinder vorerst in Russland. Das erzeugt beim Lesen Mitgefühl, was man bezüglich russischer Akteure derzeit ja sonst eher selten erlebt, und gewährt interessante Einblicke in den Alltag unter Putins Regime. Immer wieder irritiert allerdings, wie viel Platz die teilweise eher banalen, von Selbstmitleid durchzogenen Schilderungen des Russen D. hier bekommen.

Durch die formale Struktur von „Im Krieg“ wechseln sich jeweils eine Seite aus der ukrainischen und eine aus der russischen Perspektive ab, erkennbar an unterschiedlichen Grundfarben. Das zeigt einerseits anschaulich, wie ein Krieg die Leben der Menschen auf beiden Seiten der Front prägt, im Land der Angegriffenen wie dem der Angreifer. Es führt aber auch dazu, dass die erschütternden Berichte von K. über Bombennächte, Massaker und Kriegstraumata ähnlich viel Platz einnehmen wie die im Vergleich dazu fast belanglos wirkenden Monologe von D. über sein schwieriges Verhältnis zu Putins Russland, der Spaltung seines Landes oder der Einsamkeit im Exil. Angesichts der diametral unterschiedlichen Folgen des Krieges für die Bevölkerungen beider Länder wirkt das unangemessen nivellierend.

„Im Krieg“ endet genau ein Jahr nach der Invasion vom Februar 2022, was offensichtlich eine künstlerisch-formale Entscheidung der Autorin ist. Der Krieg in der Ukraine jedoch tobt weiter, während die internationale Unterstützung schwindet. Gerne wüsste man, wie D. und K. die Entwicklung sehen, wie es ihnen und ihren Familien heute geht. Das aber verrät dieses Buch leider nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false