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Donald Trumps Vorläufer: Eine Seite aus „Die Akte Kennedy“.

© © 2019, Erik Varekamp, Mick Peet / Scratch Books © Carlsen Verlag GmbH • Hamburg 2023

US-Geschichte im Comic: Als ein Kennedy mit den Faschisten sympathisierte

Mit ihrem Comic „Die Akte Kennedy“ ergründen Mick Peet und Erik Varekamp die Geschichte der amerikanischen Familiendynastie und lassen an Donald Trump denken.

Die Verwandtschaft ist jedem der männlichen Familienmitglieder anzusehen. Rotblondes, volles Haar, ein burschikoses, jungenhaftes Gesicht mit Tendenz zum Dauerlächeln, sportliche Figur – die Kennedys sehen sich über mehrere Generationen hinweg alle ähnlich, und viele von ihnen zog es in die Politik.

Der irischstämmige Kennedy-Clan ist spätestens seit John F. Kennedys US-Präsidentschaft und seiner Ermordung in Dallas 1963 jedermann bekannt. Reichtum, hohe politische Ämter und Skandale (wie die Affäre John F.s mit Marilyn Monroe und deren obskure Todesumstände) prägen die Familienhistorie.

Die Graphic Novel „Die Akte Kennedy“ (Übersetzung aus dem Niederländischen: Rolf Erdorf, Carlsen, 176 S., 24 €), geschrieben vom niederländischen Autor Mick Peet und gezeichnet von seinem Landsmann Erik Varekamp, ist Auftakt zu einer dreibändigen biografischen Comicerzählung über die berühmte Familie. Im Zentrum des ersten Kapitels mit dem Untertitel „Der Mann, der Präsident werden wollte“, steht nicht etwa der bis heute alle weiteren Familienmitglieder überstrahlende John F. Kennedy, sondern dessen Vater, der ebenfalls höchste politische Ambitionen hatte.

Appeasement und Korruption: Eine Seite aus „Die Akte Kennedy“.

© © 2019, Erik Varekamp, Mick Peet / Scratch Books © Carlsen Verlag GmbH • Hamburg 2023

Joseph Patrick Kennedy (1888-1969), Vater von John F. und weiteren acht Geschwistern, ist heute wohl hauptsächlich Historikern ein Begriff. Die Graphic Novel schließt diese Lücke und zeigt auf pointierte wie profunde Weise, dass der „Joe Kennedy Sr.“ genannte Patriarch eine nicht weniger schillernde Persönlichkeit war als sein Sohn. Und dass sich hinter dessen Glamour zahlreiche Abgründe verbargen.

Whisky-Schmuggel als Nebenerwerb

Joe Kennedy war ein erfolgreicher Geschäftsmann (der unter anderem im Bank- Film- und Schiffsbaugeschäft hohe Posten innehatte) und Börsenspekulant, der bereits mit 30 Jahren Millionär wurde und Präsident Roosevelt im Wahlkampf 1932 unterstützte. Mit dessen Sohn Jimmy importierte Kennedy heimlich irischen Whisky in die USA, was er auch noch während seiner politischen Karriere als „Nebenerwerb“ fortsetzte.

Der Comic konzentriert sich auf die brisanteste Episode aus Joe Kennedys Leben, als dieser im Dezember 1937 von Präsident Franklin D. Roosevelt zum US-Botschafter in London berufen wurde – damit hatte er das höchste politische Amt außerhalb der USA inne.

Joe Kennedy hatte selbst Ambitionen aufs Präsidentenamt und vertrat - im Gegensatz zu seinem Präsidenten - eine isolationistische Haltung, die angesichts der aggressiven Politik Hitlers die USA aus dem sich bereits abzeichnenden neuen Krieg in Europa heraushalten wollte.

Im zweiten Kapitel des Bandes, das die Überschrift „In geheimer Mission“ trägt, sandte Kennedy seine beiden ältesten Söhne Joe Jr. und John F. („Jack“) Mitte des Jahres 1939 quer durch Europa, nach Polen, Spanien und ins Deutsche Reich, um die reale politische Situation zu sondieren.

Hitlers Antisemitismus als Bagatelle

Dabei wird deutlich, dass Kennedy Sr. mit den faschistischen Regimes sympathisierte und auch den offenen Antisemitismus Hitlers bagatellisierte. Sehr zum Groll Roosevelts, Churchills und weiterer britischer Politiker, die Hitlers expansive Absichten realistischer einschätzten. John F. Kennedys Einschätzung der unmittelbaren Vorkriegsverhältnisse fiel dagegen differenzierter und aus heutiger Sicht zutreffender aus.

Eine weitere Seite aus dem besprochenen Band.

© © 2019, Erik Varekamp, Mick Peet / Scratch Books © Carlsen Verlag GmbH • Hamburg 2023

Band 1 endet mit dem Beginn des 2. Weltkrieges. Zusammengehalten werden die Kapitel von einer im Jahre 2009 spielenden Rahmenhandlung: Darin besucht Joseph P. Kennedy III, jüngster Spross der Familie mit politischen Ambitionen, seinen Großonkel Edward M. Kennedy, genannt Ted, jüngster Sohn Joe Kennedys, der lange Senator in Massachusetts war. Ted Kennedy blickt als Erzähler auf die lange zurückliegenden Ereignisse zurück.

Familienforscher: Joseph P. Kennedy III und sein Großonkel Edward M. Kennedy in einer Szene aus „Die Akte Kennedy“.

© © 2019, Erik Varekamp, Mick Peet / Scratch Books © Carlsen Verlag GmbH • Hamburg 2023

Autor Mick Peet hat für diese (im Original auf sechs Teile angelegte, für die deutsche Ausgabe in drei Teilen mit je 2 Kapiteln aufgeteilte) abgründige politische Biografie zahlreiche Joe Kennedy Sr. belastende historische Dokumente berücksichtigt, die im kundigen Nachwort von Kennedy-Experte Nigel Hamilton abgebildet und kommentiert werden.

Politisches Lehrstück

Der vorliegende erste Teil von „Die Akte Kennedy“ liest sich flott und packend, pointierte Dialoge geben der Erzählung eine ironische Note. Zu Beginn des Bandes stellen die Autoren klar, dass es sich um eine satirische Darstellung einiger wesentlicher Momente im Leben der Kennedys handeln soll. Doch wie das Nachwort nahelegt, sind wohl nur szenische Details und Dialoge dazuerfunden worden, die Fakten sind belegt.

Appeasement und Korruption: Das Titelbild des ersten Bandes von „Die Akte Kennedy“.

© Carlsen Verlag

Erik Varekamp zeichnet diese historische Comicbiografie realistisch, in gedeckten Farben und mit starken Konturierungen seiner Figuren im klaren Zeichenstil der Ligne Claire Hergés („Tim und Struppi“).

Dabei überzeichnet er seine Charaktere sehr subtil, lässt seinen höchst ambivalenten Protagonisten und manchmal lackaffigen Frauenhelden Joe Kennedy Sr. mit Marlene Dietrich flirten und im leichtlebigen Upperclass-Milieu Londons am Vorabend des Zweiten Weltkrieges herumtänzeln.

In vielerlei Hinsicht verweisen Joe Kennedys Karriere und seine Skrupellosigkeit auf Donald Trump, nur war Kennedy wohl der geschicktere Unternehmer, während Trump es mit krimineller Verve sogar ins Weiße Haus schaffte. So überzeugt dieser Band als lesenswertes politisches Lehrstück, das auch an die (Fehl-)Einschätzungen heutiger geopolitischer Konflikte und Kriege denken lässt.

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